Cascade, Amarillo oder Chinook – das klingt nach Geländewagen, amerikanischen Provinzstädten, Hunderassen oder tropischen Früchten. Es sind aber die klangvollen Namen von Hopfensorten. Hopfen – das ist nach gängigem Verständnis der deutschen Biertrinker eine der vier Zutaten, die überhaupt etwas im Bier zu suchen haben. 1516 – das ist das Stichjahr der Verordnung, dass Bier aus nichts anderem zu bestehen habe als Wasser, Gerste, Hopfen und Hefe. Sie stammt aus einer Zeit, als in den bierähnlichen Getränken vieles verklappt wurde, was den Menschen am folgenden Tag mehr oder minder guttat. Es handelt sich um eine Bereinigung der Zutatenliste, erlassen am 23. April 1516 durch die bayrischen Herzöge Wilhelm IV. und Ludwig X. in Ingolstadt.
Seit fast 500 Jahren berufen sich deutsche Brauer darauf mit Leidenschaft und Stolz. Es hat ihnen nicht geschadet. Den Ruf als Biernation genießen deutsche Brauer bis heute. Allein – der Konsum lässt nach. Alle wichtigen Eckdaten sinken: Produktionsmenge, Anzahl der Brauereien, Pro-Kopf-Verbrauch. Eine Wachstumsstory sieht anders aus. Der Umsatz ist zwischen 2000 und 2009 um 14 Prozent gesunken. Mineralwasser konnte im gleichen Zeitraum um 16 Prozent zulegen. Und trotzdem wirbt der Brauer-Bund mit seinen rund 1300 Braustätten als Mitgliedern in schwarz-rot-goldener Optik für die Reinheit im Bier. Jedes Jahr feiern viele deutsche Brauer am 23. April den Tag des Bieres – und preisen das Reinheitsgebot.
In Kelheim hält auch Brauereibesitzer Georg Schneider am Reinheitsgebot fest. „Das wird so bleiben, dafür ist gesorgt“, sagt Martin Deutsch, Geschäftsführer Vertrieb und Marketing von Schneider Weisse. Dennoch brachte die Brauerei im September ein Bier auf den Markt, das auf Anhieb so gar nicht nach traditioneller Herstellung klingt. Nach einem Versuch im vergangenen Jahr hat der Braumeister nun eine größere Menge des sogenannten TAPX-Bieres abgefüllt. Anders als die meisten Biere reifte es in Eichenfässern. In schillernden Worten schildert die Brauerei die Analogie zur Weinbereitung. Dem Einerlei der führenden Biermarken soll mehr geschmackliche Vielfalt entgegengesetzt werden. „Wir sind offen“, sagt Deutsch, „solange dem Bier vor dem Abfüllen nichts hinzugefügt wird.“
Das hinderte Inhaber Georg Schneider nicht daran, Anfang Oktober auf der Fachmesse Bar Convent Berlin in der Sonderschau Brew Berlin aufzutreten und einer neuen Gruppe von Brauern Mut zu machen, die das Reinheitsgebot als Empfehlung versteht und im Begriff ist, die deutsche Braulandschaft aufzumischen: „Brew Berlin ist ein entscheidender Fortschritt zur Entwicklung des Craft-Beer-Marktes in Deutschland.“ Craft-Bier – das Zauberwort der Stunde.
Gourmetabfüllungen wie Schneiders TAPX sind nur ein Teil eines Trends (WirtschaftsWoche 15/2012). Die amerikanische Craft-Beer-Welle hat inzwischen auch Deutschland erfasst. In den USA entstanden schon vor Jahren als Gegenentwicklung zur geschmacklichen Dominanz der Großbrauereien wie Anheuser-Busch, Miller oder Coors quer durchs Land winzige Brauereien, die Geschmacksintensität und Sortenvielfalt ohne Scheuklappen bei den Zutaten auf ihre Fahnen schrieben. Diese Entwicklung holt Deutschland gerade nach.
Schwindelig mit Etikett
Es sind zumeist junge Leute, die eifrig mit Hopfensorten und neuen Hefen experimentieren, aber auch in belgischer Tradition nicht davor zurückschrecken, Zutaten wie Koriander oder Banane mit zu vergären. So betreibt der Kölner Brauer Peter Esser in Köln-Ehrenfeld die Braustelle. 500 Hektoliter produziert er im Jahr, das meiste wird gleich vor Ort getrunken, denn, wie in Kölner Brauhäusern üblich, serviert Esser auch Essen. Die Craft-Bier-Welle hat nun auch ihn eingeholt. „Neulich rief ein Kunde an und fragte, ob er ein paar Flaschen bestellen könne, ich sei doch eine Craft-Brauerei“, sagt Esser mit mildem Amüsement. Er selber sehe sich immer noch als Hausbrauer.
So altmodisch seine eigene Berufsbezeichnung, so wild sein Marketing. Pink Panther heißt eine seiner erfolgreichsten Kreationen, in der er Hibiskusblüten mit vergären lässt, demnächst füllt er ein Schokoladenbier ab. Zur Kultur des Brauens im kleinen handwerklichen Stil gesellt sich der Bruch mit der Sprache der traditionellen Brauereien. Der schottische Betrieb Brewdog, der vielen hiesigen Brauern mit seinem Image als Punk-Brauerei als Vorbild dient, nennt seine Biere unter anderem Dead Pony Club, 5am Saint, Punk IPA oder Dogma. Die Berliner Brauerei von Thorsten Schoppe bezeichnet eine Sorte sprachwitzelnd als Roggen Roll, ein anderes Bier soll den Konsumenten gar warnen, dass es heftig werden könnte. Es heißt Holy Shit Ale.
Die Etiketten vieler dieser Brauereien wetteifern in der Gestaltung mit der Kreativität von Plattencovern. In der Summe wirken sie wie das Resultat eines Workshops von Damien Hurst oder Tracey Emin: je wilder, desto effektvoller. Die Insignien deutscher Braukunst, die mit Goldrand oder Wappen die Geschmäcker der Traditionalisten bedienen, werden ausgetauscht gegen ein möglichst buntes Wirrwarr, das den Betrachter schon schwindelig zurücklässt, bevor er eines der mit bis zu zehn Prozent Alkohol enthaltenden Biere leert.
Bier: "Tradition und Moderne verbinden"
Die Großen schnuppern
Jan Niewodniczanski ist Geschäftsführer Technik der Bitburger Braugruppe und behält trotz der aufregenden Entwicklung am Biermarkt kühlen Kopf. Zur Bitburger Braugruppe gehören neben dem namensgebenden Bier auch die Pilsmarken König, Licher, Königsbacher, Nette und Wernesgrüner sowie das Schwarzbier Köstritzer. Seit 1991 betreibt die Bitburger Brauerei eine Pilotbrauerei mit einer Sudgröße von maximal 2000 Litern. Hier experimentieren die Braumeister. Dieses Jahr nun erblickte das jüngste Kind der Braugruppe das Licht der Welt. 2012 noch als Weihnachtsabfüllung für Mitarbeiter gebraut, sind nun unter dem knackigen Namen Craftwerk drei Sorten per Versand erhältlich: Holy Cowl, Tangerine Dream und Hop Head IPA7– mit Typografien, die aussehen wie angegriffener Beton auf schwarzem Grund.
Junge Konsumenten und Individualisten zurückzugewinnen
„In den vergangenen zwei Jahren haben wir einen Trend gesehen, den wir ernst nehmen. Die Entwicklung betrachten wir gespannt und haben uns deshalb entschieden, früh mit dabei zu sein“, sagt Niewodniczanski. Im großen Stil den Markt zu überrollen sei dabei nicht das Ziel. Die Anlage, auf der gebraut wird, ist zu klein, um flächendeckend das Bier zu vertreiben, erhältlich ist es bisher lediglich im Online-Shop. Wichtiger seien zunächst die Erkenntnisse, die die Gruppe über Herstellung und Zielgruppe gewinnt.
Eines der drei Biere ist ein India Pale Ale – kurz IPA. Kaum eine handwerklich arbeitende Brauerei, die dieses aus den USA stammende, kräftige Bier nicht im Angebot hätte. Denn trotz des Innovationswillens vieler Craft-Brauereien setzen sich bestimmte Sorten durch. Ähnlich wie die wachsende Zahl an kleinen Kaffeeröstereien, die im Gleichtakt bestimmte Sorten wie Yirgacheffe oder Kopi Luwak führen, ist IPA das Kürzel, das Wiedererkennungswert und zugleich Individualität verspricht. Während die Kunden in der Gaststätte oder im Getränkemarkt vielleicht noch nach der Rebsorte des Weins fragen, erkundigt sich kaum jemand nach der Zusammensetzung der Biere. Craftwerk listet wie alle Craft-Brauer säuberlich die Malzsorten – vier – und Hopfenarten – zehn – auf, die mit Hefe und Wasser vergoren werden. Reinheitsgebot – das ist auch für Craftwerk weiterhin eine Leitlinie. „Wir wollen zeigen, dass auch damit Abwechslung möglich ist. Das ist technisch die größere Herausforderung. Ob man bei weiteren Spezialitäten später einmal davon abweicht, das werden wir sehen“, sagt Niewodniczanski. Der Brauriese sieht sich nicht als Konkurrent der kleineren Mitbewerber, die teils neidisch, teils neugierig die technischen Möglichkeiten der Pilotbrauerei beobachten. „Auf den Braufestivals wie in Berlin stößt man auf eine gewisse Offenheit für uns, auch weil einige denken, dass einer der Großen als Lokomotive dem Thema helfen kann.“
Skandalöse Namen
Vielleicht ist es aber auch genau andersrum. Denn kaum ein Genussmittel hat so große Probleme, junge Kunden zu gewinnen. Alcopops oder auch die alkoholfreien Getränke wie die Limonade Club-Mate stehen bei der Jugend und vielen sich für ewig jung haltenden Mittvierzigern nicht zuletzt wegen ihres frischeren Auftretens höher im Kurs. Marken wie Astra mit seinem Rotlicht oder Rothäuser mit seinem Tannenzäpfle sind Ausnahmen der Regel.
Niewodniczanski sieht den Charme der experimentierenden Craft-Brauer, die mit entstaubtem Marketing das Lebensgefühl der 20- bis 30-Jährigen genau treffen: „Craft-Biere helfen sicher, junge Konsumenten und Individualisten für das Thema Bier zurückzugewinnen.“
Und sei es nur durch einen vermeintlich skandalösen Namen. Eine in Berlin ansässige Vertriebsgesellschaft verkauft ein Bier, das der österreichischen Gemeinde Fucking gewidmet ist. Es ist ein typisches Helles, gebraut in Ostdeutschland. Einen Erfolg feierte die Marke beim europäischen Markenamt, das der Kombination aus Ortsnamen und Brauart seinen Segen gab: Fucking Hell.