Deutscher Diversity Preis Die Mischung macht´s

Vielfalt in der Belegschaft ist kein Gutmenschentum, sondern entscheidend für die Wettbewerbsfähigkeit eines Unternehmens. Um dieses Bewusstsein zu fördern, verleihen Henkel, McKinsey und die WirtschaftsWoche in diesem Jahr erstmals den Deutschen Diversity Preis.

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Diversity-Team der Lufthansa Quelle: Stefan Kröger für WirtschaftsWoche

Die Oberfläche zu glatt, der Abstand zum Nachbarn zu knapp – das Votum war eindeutig: Die Testkunden mochten die in die Sitze integrierten Cocktailtischchen der neuen Lufthansa-Businessclass in der Boeing 747-8 nicht besonders.

Obwohl die Entwicklung des Prototyps des Sitzes schon weit fortgeschritten war, gab es für Produktmanagerin Uta Kötting nur eine Konsequenz: Das Team, das die neue Businessclass der Lufthansa entwickelte, musste noch mal ran ans Design. Ein kommunikativer Drahtseilakt innerhalb der siebenköpfigen Truppe – denn Köttings Kollegen waren sich nicht auf Anhieb einig.

Die 43-Jährige, die erst Geschichte und Geografie, danach Betriebswirtschaft mit Schwerpunkt Touristik studiert hatte, gilt unter Kollegen als besonders kommunikativ und kundenorientiert. Doch als sie den Kollegen die Botschaft zum Nachsitzen überbringt, rollt Teamchef Christoffer Stratmann mit den Augen. Als ausgebildeter Restaurator und studierter Designer hat er zwar durchaus Verständnis für ergonomische Details. Doch Stratmann war mal Unternehmensberater – und sieht das Problem auch mit anderen Augen: Wie soll er dem beauftragten Sitzhersteller jetzt klarmachen, dass sich die Produktion verzögert und verteuert – wo der längst mit seinen Lieferanten verhandelt?

Zusammensetzung ist kein Zufall

Auch Carsten Burow grätscht dazwischen: "So einfach geht das nicht!" Die neue Variante habe Auswirkungen auf Beschaffung, Wartung und Pflege – keine gute Idee aus Sicht des gelernten Bergbau-Mechanikers und Maschinenbau-Ingenieurs, der auf die Funktionalität des Produkts achtet.

Steffen Voltz ist ebenfalls skeptisch – er koordiniert den Kontakt zu Boeing: "Weitere Verzögerungen", sagt der Luft- und Raumfahrt-Ingenieur, "sind nicht drin."

Die Diskussion bleibt kontrovers, über Wochen. Aber ein gutes Dutzend Meetings, diverse Entwürfe und Debatten später ist der neue Businessclass-Sitz fertig, neues Cocktailtischchen inklusive.

"Wir haben größten Respekt vor der Expertise jedes Einzelnen", erklärt Teamleiter Christoffer Stratmann das Erfolgsrezept. "So entsteht erst produktive Reibung – und daraus ein optimales Ergebnis für den Kunden."

Die Zusammensetzung des Lufthansa-Teams ist kein Zufall. Sondern – neben den fachlichen Anforderungen – Ergebnis des konzernweit verankerten Diversity-Gedankens. Also der Idee, eine Belegschaft aufzubauen, die so heterogen ist wie die Märkte, Kunden und Produkte des weltweit tätigen Unternehmens.

Diversity ist ökonomisch sinnvoll

Das Ziel: Mitarbeiter mit ihren vielfältigen Kompetenzen so einzusetzen, dass sie diese optimal einbringen können. Und die Auswahl völlig unabhängig ist von Geschlecht, Hautfarbe, Alter, Nationalität, Religion oder sexueller Orientierung.

"Wir suchen die Besten, die Persönlichkeiten", sagt Monika Rühl, seit zehn Jahren Diversity-Beauftragte bei der Lufthansa. "Das ist ein entscheidender Wettbewerbsvorteil für uns."

Diese Erkenntnis findet in der deutschen Wirtschaft immer mehr Anhänger. Laut einer Studie des Beratungsunternehmens Synergy Consult vom Herbst 2010 setzen 16 von 30 Dax-Unternehmen auf einen zentralen Diversity-Manager. Und zwar nicht erst seit der jüngsten Debatte um Frauenquoten im Management. Globalisierung, Migration, demografischer Wandel, veränderte Wertesysteme und soziale Bewegungen führen zu unterschiedlichen Lebensformen und Lebenslagen, die es immer weniger angemessen erscheinen lassen, von "Normalbiografien", "Normalarbeitsverhältnissen" oder "Normalarbeitnehmern" zu sprechen.

Dass Diversity-Management ökonomisch sinnvoll ist, bestätigen diverse wissenschaftliche Studien seit zwei Jahrzehnten: Schon 1991 wies Taylor Cox, Professor für Organisationspsychologie und Personalmanagement an der Universität von Michigan nach, dass heterogene Gruppen einander weniger nach dem Mund reden, Probleme kritischer hinterfragen und so bessere Entscheidungen treffen. Jennifer Rhodes von der Cornell Universität erkannte 1999, dass sich eine vielfältig zusammengesetzte Belegschaft besser in die Wünsche einer zunehmend heterogenen Kundschaft hineinversetzen kann. Eine Befragung der EU-Kommission aus dem Jahr 2003 unter 200 Unternehmen in vier EU-Staaten zeigte, dass Diversity-Strategien bei mehr als der Hälfte der Unternehmen dazu beitrugen, das Image zu verbessern, hoch qualifiziertes Personal zu finden und zu binden, Motivation und Leistungsfähigkeit der Mitarbeiter zu stärken, die Zufriedenheit der Kunden zu erhöhen und das Unternehmen innovativer zu machen.

Auch die Beratungsgesellschaft McKinsey kommt in ihrer jüngsten Corporate-Governance-Studie zu dem Schluss, dass gerade auf Vorstandsebene verschiedene Perspektiven zu einer besseren Diskussionskultur führen, die wiederum bessere Ergebnisse nach sich zieht. 

Vielfalt, die sich rechnet: Allein 10.000 Euro könnten Unternehmen jährlich pro Mitarbeiter durch konsequentes Vielfaltsmanagement sparen. Hochgerechnet entspricht das einem volkswirtschaftlichen Volumen von rund 21 Milliarden Euro pro Jahr, so das Ergebnis einer kürzlich veröffentlichten Roland-Berger-Studie.

Logo des Deutschen Diversity Preises

Geld, das viel sinnvoller eingesetzt werden könnte. Um Vielfalt und besseres Diversity-Management hierzulande zu fördern, stiftet die WirtschaftsWoche gemeinsam mit der Unternehmensberatung McKinsey und dem Konsumgüterhersteller Henkel in diesem Jahr erstmals den Deutschen Diversity Preis.

Gesucht werden Unternehmen, soziale und öffentliche Institutionen, die diese Vielfalt in ihrer Belegschaft vorbildlich umgesetzt haben. Denn professionelles Diversity-Management fördert keine starre, sondern eine starke Unternehmenskultur. Eine, die die Unterschiede im Denken und Handeln der Mitarbeiter aus- und erhält, um daraus nachhaltig Wettbewerbsvorteile zu schöpfen. Oder wie McKinsey-Partner Thomas Barta es auf den Punkt bringt: "Diversität ist ein Wettbewerbsfaktor, der vorrangig die Leistungsfähigkeit des Unternehmens im Blick hat."

Diversity: Längst mehr als ein Modewort

Beim Softwareriesen Microsoft etwa steht professionelles Diversity-Management längst auf der Agenda. Deren Umsetzung wird über eine sogenannte Scorecard gemessen und schlägt sich für Führungskräfte in ihrer Vergütung nieder.

Es gibt Projekte, die Männern und Frauen die Balance zwischen Familie und Job erleichtern sollen. Allein 200 Mitarbeiter arbeiten permanent von zu Hause aus, 140 in verschiedenen Teilzeitmodellen. Rund ein Dutzend hat 2010 gar eine mehrmonatige Auszeit genommen. Das Unternehmen hat eine freiwillige Integrationsvereinbarung für Schwerbehinderte unterzeichnet, unterstützt ein unternehmensinternes Netzwerk für homosexuelle Mitarbeiter und bietet Gesundheitsprogramme, die speziell auf die Bedürfnisse älterer Kollegen abgestimmt sind.

"Diversity ist längst mehr als ein schickes Modewort", bestätigt auch Dieter Wagner, Professor für Organisation und Personalmanagement an der Universität Potsdam. "Es entwickelt sich zum Synonym für professionelle Personalpolitik."

Davon ist auch die Deutsche Telekom überzeugt – und zwar nicht erst, seit Personalvorstand Thomas Sattelberger im März 2010 die Einführung einer 30-prozentigen Frauenquote für Führungskräfte verkündete, die der Konzern bis 2015 freiwillig erfüllen will. Auch andere Dimensionen des variantenreichen Talente-Managements sind längst Bestandteil der Personalpolitik des Bonner Konzerns.

Konstruktive Querdenker öffnen Augen

Beispiel Albert Henn: Der 43-Jährige ist seit 24 Jahren bei der Telekom, hat die Entwicklung des Unternehmens von der verschnarchten Bundespost zum börsennotierten, international tätigen Telekommunikationskonzern mit allen Höhen und Tiefen miterlebt. Derzeit verantwortet er den Bereich Personal und Organisation bei der Shop-Vertriebsgesellschaft des Konzerns, mit rund 800 Läden und 5000 Mitarbeitern. Um in Sachen Internet, Online-Business und sozialen Netzwerken stets auf dem neuesten Stand zu sein, hat Henn sich Hilfe geholt – von Alexander Derno.

Der 30-Jährige brach sein Demografiestudium ab, um Online-Journalismus zu studieren. Er stieß vor sechs Jahren als Praktikant zur Telekom und hat gerade ein Studium für Leadership in digitaler Kommunikation in Berlin und St. Gallen abgeschlossen. Er steht in der Hierarchie klar unter Henn. Geht aber als sogenannter Digital Native mit den Mechanismen des Internets wesentlich selbstverständlicher um als sein älterer Kollege.

"Es wäre fatal, die Folgen der virtuellen Kommunikation zu ignorieren", sagt Henn. "Alex hat mir die Augen geöffnet für die unsichtbaren Regeln des Netzes."

Man duzt sich seit dem zweiten Treffen, der einstige Postbeamte Henn schätzt seinen jüngeren Kollegen als "konstruktiven Querdenker, der seine Ideen mutig und motiviert ins Unternehmen trägt".

Werner Meyer, 63, Commerzbank Quelle: Christof Mattes für WirtschaftsWoche

Eine ähnlich hohe Wertschätzung seines Arbeitgebers genießt Thorsten Scheibe. Der 43-Jährige hat sein gesamtes Berufsleben bei der Deutschen Bank verbracht – auch, weil die großes Verständnis für seine private Situation zeigt: Scheibe will sich so intensiv wie möglich an der Pflege seines geistig behinderten 18-jährigen Sohnes beteiligen. So kann auch seine Frau berufstätig bleiben.

Um so flexibel wie möglich arbeiten zu können, hat Scheibe seinen Posten als Leiter einer Bankfiliale in Berlin nach acht Jahren aufgegeben und arbeitet seit Dezember 2009 als Vertriebscoach für die Deutsche Bank. So kann er nicht nur regelmäßig um 15 Uhr zu Hause für seinen Sohn da sein, sondern diesen auch in akuten Notfällen – Scheibe junior leidet unter epileptischen Anfällen – sofort abholen und zu Hause versorgen.

Aufs Abstellgleis hat die Deutsche Bank Scheibe deswegen nicht geschoben: Als "Karrierepause" beschreiben beide Seiten Scheibes Situation – ein Zustand, der enden kann, sobald Scheibes Sohn eine betreute Einrichtung besucht.

"Mitarbeiter mit diesem Engagement und diesem Fachwissen lässt man nicht ziehen", sagt Kerstin Pramberger, die in Deutschland das Diversity-Management der Deutschen Bank verantwortet. "Wenn wir gute Mitarbeiter halten wollen, müssen wir ihnen attraktive und flexible Arbeitsbedingungen bieten."

Offene Atmosphäre bei der Commerzbank

Eine ähnlich offene Atmosphäre herrscht bei der Commerzbank: Hier hat sich mit Arco das größte deutsche Unternehmensnetzwerk für homosexuelle Mitarbeiter gebildet. Gegründet 2002, engagieren sich inzwischen knapp 400 Mitarbeiter der Bank für ein Betriebsklima, das heute weitgehend frei ist von Ressentiments in Fragen sexueller Orientierung.

Das hat auch Werner Meyer ermutigt, offen zu seiner Homosexualität zu stehen. Der 63-jährige Experte für die Finanzierung kommunaler Projekte arbeitet seit 1968 bei der Commerzbank – schon damals, mit Anfang 20, wusste er, dass er sich eher zu Männern als zu Frauen hingezogen fühlte. Trotzdem gründete er eine klassische Familie, führte jahrzehntelang ein Doppelleben.

Die Angst, sich zu outen, lähmte ihn zusehends. Er ließ Aufstiegschancen ungenutzt, rund 30 Prozent seiner Produktivität blieben deswegen über Jahre auf der Strecke, schätzt er heute. "Seine eigene Identität so konsequent zu unterdrücken raubt unheimlich viel Kraft", sagt Meyer. "Das geht auf Kosten der Arbeitsleistung."

Mittelstand mit Nachholbedarf

Unterstützt durch das Commerzbank-Netzwerk Arco, machte Meyer schließlich vor sechs Jahren seine Homosexualität publik. Heute ist die kein Thema mehr: Meyer arbeitet wieder hoch motiviert für die Commerzbank, "meine Handbremse ist gelöst – das rechne ich der Bank hoch an."

Barbara David hört das gern – und bleibt doch realistisch: "Wir machen das nicht nur aus Altruismus", sagt die Leiterin des Diversity-Managements der Commerzbank. Diversity-Management helfe einem Unternehmen, als attraktiver Arbeitgeber wahrgenommen zu werden "und die besten Mitarbeiter zu finden".

Die sucht auch Kai Teckentrup. Und weil der Geschäftsführer des mittelständischen Tür- und Torherstellers aus Verl qualifizierte deutsche Bewerber in der ostwestfälischen Provinz immer seltener findet, hat das Thema Diversity für ihn strategische Bedeutung.

Als einer der wenigen Mittelständler unterschrieb er die Unternehmensinitiative "Charta der Vielfalt", die sich dem Thema Diversität verschrieben hat. Seit 2000 wirbt er gezielt Menschen mit Migrationshintergrund an, um den Export anzukurbeln. Und etablierte eine Atmosphäre der Offenheit und Wertschätzung, um die Effektivität im Unternehmen zu erhöhen. Etwa durch verstärkten Austausch mit den größten Mitarbeitergruppen – Türken, Polen, Deutsch-Russen. Deren heimliche Gruppenchefs fungieren heute als Sprachrohr in die Belegschaft.

Zusätzlich organisierte er Workshops für seine homogene Führungsmannschaft – weiß, deutsch, katholisch, Familienvater mit zwei Kindern. "Woher sollten die auch wissen", sagt Teckentrup, "was ihre Kollegen aus Anatolien so umtreibt?"

Aushänge weisen hin auf die Regeln des islamischen Fastenmonats Ramadan, umgekehrt sind für Ausländer Deutschkurse Pflicht. Teckentrup bildete multinationale Teams, deren Expertise auf die Bedürfnisse der lokalen Märkte abgestimmt ist. Das Ergebnis: Der Exportumsatz stieg in kurzer Zeit um fünf Prozent. "Wo jemand herkommt, ist mir egal", sagt Teckentrup. "Hauptsache, die Leistung stimmt."

Michelle Cheung, 44, Henkel

Eine Geisteshaltung, von der auch Michelle Cheung profitiert hat. Dass die 44-jährige Hongkong-Chinesin seit vier Jahren von Shanghai aus das chinesische Kosmetikgeschäft von Henkel leitet, mag logisch erscheinen – selbstverständlich war es allerdings nicht. Zwar hatte Cheung sich innerhalb von vier Jahren erst zur Finanzchefin für China, anschließend für die gesamte Region Asien-Pazifik hochgearbeitet.

Doch damit hatte sie in ihrem Bereich und der Region auch das Ende der Karriereleiter erklommen – als Finanzexpertin hatte Cheung nicht das klassische Profil zur Leitung eines operativen Geschäftsbereichs. Zumal sie wegen ihrer Tochter örtlich gebunden war.

Doch weil der Konzern sie für höhere Aufgaben geeignet hielt, wurde sie zur Top-Managerin befördert. Ihren Job erledigt sie vornehmlich von Shanghai aus – und am Wochenende kann sie sich ganz auf Mann und Tochter konzentrieren.

Optimale Rahmenbedingungen schaffen

"Wir brauchen die richtigen Mitarbeiter für unsere Projekte, unabhängig von Alter, Herkunft, Geschlecht", sagt Markus Dinslacken, bei Henkel weltweiter Leiter des Diversity & Inclusion Managements. "Wenn Mitarbeiter sehr gute Leistung bringen, müssen wir optimale Rahmenbedingungen für sie schaffen."

Damit das noch besser als bisher gelingt, wird es künftig Zielvereinbarungen geben, die Führungskräfte stärker zur Vielfalt anhalten.

Dinslacken misst sich selbst an einem anderen Ergebnis: "Ich will letztlich meine Position überflüssig machen – erst wenn wir kein separates Diversity-Management mehr brauchen, sind wir am Ziel."

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