Diversity-Management Der Autist im Büro

Erst SAP, dann Vodafone: IT-Unternehmen entdecken das Potenzial von Autisten. Wer die Mitarbeiter in den Betrieb integriert, muss sie in ihrem Berufsalltag unterstützend führen.

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Dustin Hoffman und Tom Cruise im Filmdrama Rain Man von 1988 Quelle: dpa

Fabian Hoff starrt auf einen Computerbildschirm, klickt sich durch ein paar Applikationen und landet schließlich in einem Quellcode. Nicht allzu lange darf man ihm dabei über die Schulter schauen. Immerhin arbeitet der EDV-Spezialist mit vertraulichen Kundendaten in der Deutschland-Zentrale von Vodafone, dem britischen Mobilfunkkonzern. Der 30-Jährige programmiert Schnittstellen, die Datenbanken verschiedener Abteilungen miteinander verbinden. In Quellcodes mögliche Fehler suchen, Daten und Zahlen analysieren – Hoff ist ziemlich gut darin. Auch deshalb, weil er Autist ist.

Weltweit versuchen Unternehmen von deren besonderen Begabungen zu profitieren.

Der Software-Konzern SAP gab kürzlich bekannt, in den kommenden sieben Jahren 650 Autisten einstellen zu wollen – das wären ein Prozent der Belegschaft. Weltweit sollen sie als Programmierer, Software-Tester und Datenmanager arbeiten. In Indien und Irland hat SAP die Zusammenarbeit mit Autisten bereits in Pilotprojekten getestet; nun soll das Autisten-Programm in den USA, Kanada und Deutschland starten.

Betreuung von Autisten

Etwa ein Prozent der Weltbevölkerung leidet an einer autistischen Störung. Autismus ist wohl erblich, zumindest entwickelt er sich bereits im Mutterleib. Es ist eine angeborene und bisher unheilbare Störung der Wahrnehmungs- und Informationsverarbeitungs des Gehirns, die sich schon bei Kleinkindern zeigt. „Autisten haben Schwierigkeiten im Umgang mit anderen Menschen, Sarkasmus verstehen sie nur schwer, Gesichtsausdrücke können sie nicht interpretieren,“ sagt Hermann Cordes, Leiter des Bremer Instituts für Autismus-Forschung (IfA). Das Spektrum der intellektuellen Störung reicht von kleinen Verhaltensauffälligkeiten bis hin zu schweren geistigen Behinderungen.

Eine Variante ist das so genannte Asperger-Syndrom, davon sind weltweit zehn Prozent der Autisten betroffen. Im Gegensatz zum frühkindlichen Autismus sind Menschen mit Asperger in ihren ersten Lebensjahren nicht verhaltensauffällig. Sie entwickeln sich normal, haben beispielsweise keine Sprachstörungen. Die Probleme tauchen erst später auf, vor allem im sozialen Umgang. „Asperger-Autisten sind oftmals Eigenbrötler,“ sagt Cordes. „Sie sind aber oftmals hervorragende Arbeiter - sie sind präzise, können sich gut konzentrieren, auch bei sich immer wiederholenden Tätigkeiten.“ Die Talente der Asperger-Autisten unterscheiden sich stark. Manche sind musikalisch, andere gute Mathematiker. So wie Fabian Hoff.

Bilder von der Preisverleihung des Diversity-Preises 2013
Um ihn ging es gestern Abend: Den Deutschen Diversity Preis. Quelle: Werner Schüring für WirtschaftsWoche
Über den roten Teppich ging es zum Empfang. Quelle: Werner Schüring für WirtschaftsWoche
Noch sind die Gäste nicht da: Die Halle vor Beginn der Festlichkeiten. Quelle: Werner Schüring für WirtschaftsWoche
Die Preisverleihung bot den Gästen viele Möglichkeiten sich auszutauschen. Quelle: Werner Schüring für WirtschaftsWoche
Jury-Mitglied Rita Süssmuth, Bundestagspräsidentin a.D. Quelle: Werner Schüring für WirtschaftsWoche
Jury-Mitglied Frank Mattern, Chef von McKinsey Deutschland. Quelle: Werner Schüring für WirtschaftsWoche
Frank Mattern (Chef von McKinsey Deutschland) und Anka Wittenberg, bei SAP zuständig für Diversity, mit dem Preis. Quelle: Werner Schüring für WirtschaftsWoche

Er erhielt vor drei Jahren die Diagnose: Asperger-Syndrom. „Im Studium fielen mir Fächer wie Programmieren und Mathematik einfacher als vielen anderen Studenten,“ sagt er. „Allerdings hatte ich Schwierigkeiten beim Auswendiglernen ohne Kontext.“ Zwei Studiengänge brach Hoff ab, schlug sich mit verschiedenen IT-Jobs durch - eine typische Biografie für einen Asperger-Autisten, die Mehrheit von ihnen ist arbeitslos. Verschenktes Potenzial, dachte sich Dirk Müller-Remus und gründete 2011 das Berliner Start-Up Auticon.

Der Unternehmer hat selbst einen autistischen Sohn und kam so auf die Geschäftsidee. Das IT-Unternehmen arbeitet ausschließlich mit Autisten zusammen und vermittelt die Mitarbeiter an Unternehmen, sie bleiben bei Auticon angestellt.

Über diesen Weg fand Hoff zu Vodafone. In seinem Berufsalltag hilft ihm ein Jobcoach von Auticon, beispielsweise wenn er sich überlastet fühlt. Autisten würden sich anbieten, schnell ausgenutzt zu werden, sagt Hoff. So erging es einem Auticon-Mitarbeiter. Der kam in einem Call-Center zum Einsatz und wachte einst in der Notaufnahme auf. Der Chef hatte ihm befohlen, solange am Computer sitzen zu bleiben, bis er mit der Arbeit fertig sei. Der Angestellte verbrachte dann 24 Stunden am Rechner - ohne Essen und Trinken.

Vorbereitung und Beratung

Deshalb bereitet das Start-Up bereitet die Mitarbeiter auf ihre Einsätze in den Unternehmen vor und berät gleichzeitig die Betriebe, worauf sie im Umgang mit Autisten achten müssen. „Wer Autisten einstellt, muss Strukturen schaffen, sonst kann der Versuch auch nach hinten losgehen,“ sagt Autismusforscher Cordes. Zum einen ist das die Betreuung. Klare Ansagen seitens der Vorgesetzten sind unter Umständen entscheidend.

Viele Autisten würden eigenen - selbst geschaffenen - Regeln folgen, in einem Unternehmen kann das unter Umständen zu Schaden führen. Neben der Betreuung bräuchten viele Autisten eine bestimmte Umgebung am Arbeitsplatz. „Manche lassen sich nicht gerne beim Arbeiten über die Schulter schauen,“ sagt Cordes.

Auch das dänische Unternehmen Specialisterne berät Betriebe bei der Einbindung von Autisten in den Arbeitsalltag. Wenn sich Unternehmen die nötige Zeit bei der Einarbeitung nehmen, profitieren sie nicht nur von den Begabungen der Autisten.

Der Vorteil Vielfalt

Dass Autisten teilweise IT-Genies sind, ist laut Vodafone nicht der Grund, warum sie die Mitarbeiter einstellen. „Durch dieses Projekt vermitteln wir unseren Mitarbeitern den Wert von Vielfalt,“ sagt Vodafones Reputationsmanager Marc Ruckebier. Bei Vodafone weiß man, dass hinter „Diversity“ ein Wettbewerbsvorteil stecken kann. Zahlreiche Studien belegen diesen Zusammenhang.

„Unsere Analysen zeigen, dass Diversity Management gerade für Unternehmen mit Wachstums-, Innovations- oder Globalisierungsstrategien unverzichtbar ist,“ sagt Michael Stuber von „Ungleich Besser“, einer Kölner Unternehmensberatung. Betriebe mit einer bunten Belegschaft profitieren von vielfältigen Ideen. Solche Unternehmen antworten kreativer auf Anforderungen verschiedener Kundengruppen. Hinzu kommt, dass immer mehr Kunden auch auf das Image des Unternehmens achten und ihre Kaufentscheidungen davon abhängig machen. Über 100 Studien hat die Beratung zum Thema Diversity ausgewertet. Die Untersuchungen unterstreichen den Zusammenhang zwischen Vielfalt der Belegschaft und Wirtschaftlichkeit. 80 Prozent der EuroStoxx50-Unternehmen greifen das Thema in ihrer Finanzkommunikation auf, auch für potenzielle Investoren wird der Faktor Vielfalt wichtiger.

Dass sich die Arbeit mit Autisten auf den Erfolg des Unternehmens positiv auswirken kann, weiß man bei Alliance Data bereits seit zwölf Jahren. Das texanische Marketing-Unternehmen (Börsenwert: neun Milliarden US-Dollar) analysiert unter anderem Kreditkarten-Daten. In Zusammenarbeit mit einer wohltätigen Organisation sucht der Konzern gezielt nach Asperger-Autisten – wegen der Vielfalt, aber auch wegen ihrer unglaublichen Talente.

„Einer unserer Mitarbeiter mit Autismus analysiert Daten, er ist dreimal so produktiv wie ein herkömmlicher Arbeiter und erzielt Genauigkeitsraten von 98 Prozent,“ sagt Alliance Data Manager Jim Pierce. „Das ist etwas sehr Besonderes.“

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