Fragwürdige Mode Warum es vielen Deutschen an Stil fehlt

Politisch korrekt, modisch daneben - so geben sich deutsche Geschäftsleute gern und kombinieren ihren Anzug mit Kurzarmhemd, Funktionsjacke und Rucksack. Auf den Spuren des deutschen Stils.

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So kleiden sich Menschen in aller Welt
DeutschlandStil: Reduziert, schlicht, funktional Weniger ist mehr: „Deutsche möchten auf den zweiten Blick wirken und nicht auf den ersten Blick blenden“, sagt Psychologin Ines Imdahl vom Kölner Rheingold Salon. Anstatt durch viel Schnickschnack besticht der gehobene deutsche Modestil durch klare, puristische Formen. Kleidung dient weniger dem großen Auftritt, sondern muss vor allem funktional sein. Dazu zählt auch, dass sie eine gewisse Langlebigkeit aufweist – seitens der Qualität und des Designs. Diese Einstellung brachte etwa den Zwiebel-Look von Jil Sander hervor. Ihre puristischen Einzelteile ließen sich je nach Lust, Temperatur und Anlass frei miteinander kombinieren. Sehr praktisch eben. Die Bilder zeigen Outfits von Porsche Design (links) und Jil Sander. Quelle: Porsche Design (links) und Reuters
ItalienStil: Prächtig, verspielt, gewagt Dolce Vita bestimmt in Italien auch die Mode. Anstatt modischer Zurückhaltung wie in Deutschland herrschen dort Extravaganz und Überfluss vor. Der italienische Stil zeigt sich farbenfroh, verspielt und üppig barock. Gerne darf es gewagt sein – wie der „Schlampen-Chic“ von Dolce & Gabbana oder Gianni Versaces wilde Kombination unterschiedlicher Muster, Formen und Farben. „Wenn jemand in Florenz aufwächst und von all dieser schönen Architektur und Kunst umgeben ist, dann hat er ein anderes Verhältnis zu Mode als jemand, der sich in einem von schlichten Nachkriegsbauten geprägten Deutschland ästhetisch sozialisiert“, sagt Gerd Müller-Thomkins, der das Deutsche Mode-Institut leitet. Auf den Bildern sind Looks von Etro (links), Giorgio Armani (Mitte) und Versace (rechts) zu sehen. Quelle: DPA (linkes und mittiges Bild) und Reuters (Bild rechts)
FrankreichStil: Elegant Der Wegbereiter des französischen Kulturguts schlechthin ist ausgerechnet ein Brite. Ende des 19. Jahrhunderts kam der britische Modeschöpfer Charles Frederick Worth nach Paris, verband britisches Textilhandwerk mit französischer Pracht – und begründete damit die Haute Couture, zu deutsch „Hohe Schneidekunst“. Heutzutage orientiert sich die gesamte Modewelt an den zweimal jährlich stattfindenden Haute-Couture-Schauen in Paris. Die handgefertigten, teils imposanten Roben richten sich an einen kleinen, gut betuchten Kundenkreis, dienen vor allem der Markenpflege der Modehäuser und sollen den Verkauf ihrer Konfektionsbekleidung ankurbeln. Grundsätzlich besticht der gehobene französische Modestil durch seine Eleganz. Diese brachte Designer wie Christian Dior oder Yves Saint-Laurent hervor. Diors teils kiloschwere Abendkleider wirkten etwa dank weiter Petticoats und enger Korsagen federleicht und Saint-Laurents Hosen und Smokings für Damen besaßen trotz ihrer maskulinen Vorbilder einen erotischen Charakter. Die Bilder zeigen Outfits von Chanel (linkes und rechtes Bild) sowie Louis Vuitton (mittiges Bild). Quelle: DPA (linkes und rechtes Bild) und AP (mittiges Bild)
GroßbritannienStil: Traditionsbewusst, klassisch „Die bestgekleidete Frau ist die, deren Kleider auch auf dem Land nicht absurd aussehen würden“, sagte einst der ehemalige Hofschneider von Queen Elizabeth II., Hardy Amies und trifft damit den gehobenen britischen Stil auf den Punkt. In Großbritannien zählen Traditionsbewusstsein und Etikette – und das spiegelt sich in der vornehmlich klassischen britischen Kleidung wider. Typischer Vertreter des „Brit Chic“ ist Burberry, der Erfinder des Trenchcoats. Das kamel-schwarz-rot-weiße Karomuster des Innenfutters gilt als Markenzeichen des Unternehmens. Mittlerweile ist es teils überdimensioniert auch auf anderen Kleidungsstücken und Accessoires zu finden. Hier sind Kreationen der britischen Designer Margaret Howell, Ashley Williams sowie von Burberry zu sehen (v.l.n.r.). Quelle: British Fashion Council (linkes und mittiges Bild) und Burberry ( Bild rechts)
USAStil: Sportlich elegant Neue Welt, neue Konventionen. Amerikanische Designer nahmen Anfang des 20. Jahrhunderts die aus Europa überschwappenden Trends auf und passten sie den amerikanischen Bedürfnissen an. Dadurch entstand ein Stil, der bis heute die gehobene US-Mode prägt: „Elegant mit einer sportlichen Note“, fasst ihn Bernhard Roetzel zusammen, Modeexperte und Buchautor. Dadurch wurden die USA ab den Vierzigerjahren zum Geburtsland sportlicher Mode. US-Designer Michael Kors beschreibt ihre Ursprünge so: „Sportswear existiert, weil amerikanische Frauen die ersten waren, die das moderne, schnelle Leben lebten.“ Er selbst steht für einen zeitlosen Chic, der elegant und einfach zugleich ist. Als Inbegriff des „American Look“ gilt Ralph Lauren. Einerseits veredelte der Designer die Jeans und Fransenlederjacken amerikanischer Cowboys, andererseits verjüngte er den traditionsbewussten britischen Stil, an dem sich die US-Oberschicht ohnehin schon immer orientiert hatte. Die Fotos zeigen Outfits von Tommy Hilfiger (linkes und mittiges Bild) sowie von Ralph Lauren (Bild rechts). Quelle: Tommy Hilfiger (linkes und mittiges Bild) und DPA (Bild rechts)

Seit elf Jahren trägt Jürgen Geßler seine Titanuhr - von früh bis spät. „Ich liebe ihren zeitlosen Stil“, sagt der Chef von Porsche Design. Der Accessoires- und Modemarke von Porsche ging es jedoch um weit mehr als Aussehen, als sie 1980 die weltweit erste Titanuhr auf den Markt brachte. Sie war nicht nur hautverträglicher und leichter als ihre Vorgänger aus Edelstahl, sondern auch genauso präzise und widerstandsfähig.

Ihr Schöpfer Ferdinand Alexander Porsche steht hinter zahlreichen Design-Ikonen. Schon im Gründungsjahr der Marke 1972 sorgte er mit der weltweit ersten schwarzen Uhr für Aufsehen. Sechs Jahre später folgte die tropfenförmige Sonnenbrille mit auswechselbaren Gläsern. „Das Credo von F.A. Porsche war, dass gutes Design ehrlich sein muss“, sagt Geßler und betont: „Nicht schön, sondern ehrlich. Nur dann erhalten sich Produkte ein Leben lang.“

Das heißt, dass sie nicht vorgeben sollen, mehr zu sein als sie sind. Anstatt mit viel Deko zu blenden, beschränkt sich das Design aufs Wesentliche und hebt die Funktion der Produkte hervor. Das gilt auch für die 2003 eingeführten Bekleidungskollektionen. So kommt der aus einem einzigen Stück Leder hergestellte „RawTec Blazer“ schlicht und schnörkellos daher und erhielt so 2012 einen Red Dot Award.

Das bedeuten Dresscodes für Männer
Stufe 1: Baseline Casual für MännerDie Zeiten, in denen Anzug tragen Pflicht war, sind lange vorbei. Viele Unternehmen setzen jetzt auf den „Baseline Casual“-Look. Also: Hübsche T-Shirts oder Polohemden, dunkle Jeans ohne Waschungen und geschmackvolle, nicht zu sportliche Sneaker.Aber Achtung: Folgen Sie immer der +1/-1 Regel. Sie können immer eine Stufe schicker gekleidet ins Büro kommen und am „Casual Friday“ oder zu anderen entspannteren Events auch mal eine Stufe weniger schick. Kleiden Sie sich dagegen gleich zwei Stufen schicker, wirkt das nur overdressed und überheblich. Quelle: Peek&Cloppenburg
Stufe 2: Mainstream casual für MännerAls Mann tragen Sie auf dieser Stufe am besten Shirts und Pullover in verschiedenen Farben. Gerne darf es auch kariert oder gestreift sein, Hauptsache, Sie treffen die richtige Mischung zwischen schick und locker. Auch die Kombination aus Hemd und einem lockeren Sakko bietet sich an. Untenrum machen Sie mit einer schicken Chino oder Leinenhose alles richtig. Dazu die passenden eleganten Schuhe, idealerweise aus hellem Leder, fertig ist ihr "Mainstream casual"-Look. Quelle: Peek&Cloppenburg
Business CasualHier bleibt die Jeans im Kleiderschrank, dafür darf die Krawatte raus – bei Bedarf. Grundsätzlich ist ein Anzug mit Hemd und darüber eventuell ein feiner Strickpulli absolut ausreichend. Quelle: dpa
Stufe 2: Mainstream casual für MännerAls Mann tragen Sie auf dieser Stufe am besten Shirts und Pullover in verschiedenen Farben. Gerne darf es auch kariert oder gestreift sein, Hauptsache, Sie treffen die richtigen Mischung zwischen schick und locker. Auch die Kombination aus Hemd und einem lockeren Sakko bietet sich an. Untenrum machen Sie mit einer schicken Chino oder Leinenhose alles richtig. Dazu die passenden eleganten Schuhe, idealerweise aus hellem Leder, fertig ist ihr "Mainstream casual"-Look. Quelle: Peek&Cloppenburg
Stufe 5: Boardroom attire für Männer Schick, adrett und schwarz-weiß - diese drei Schlagworte sollten bei diesem Outfit im Vordergrund stehen. Als Mann kommen Sie um einen schwarzen oder dunkelgrauen Anzug nun nicht mehr herum. Auch die Qualität spielt jetzt eine große Rolle. Weißes Hemd und unifarbene Krawatte machen das Outfit komplett. Quelle: Peek&Cloppenburg
Black Tie / Cravate NoireDamit ist keine schwarze Krawatte, sondern eine schwarze Fliege gemeint – die zum Smoking getragen wird. Quelle: REUTERS
White Tie / Cravate BlancheHier tragen Männer Frack mit weißer Fliege.  Dies ist bei besonders festlichen Anlässen wie dem Wiener Opernball angesagt. Und was ist mit den Damen? >>Das bedeuten Dresscodes für Frauen Quelle: dpa

Innovation, Schlichtheit, Funktionalität – wenn sich Jürgen Geßler anschaut, was seine Marke ausmacht, gibt er zu: „Das sind alles ziemlich deutsche Eigenschaften.“ Das beginnt schon bei ihren Ursprüngen im Automobil.

Daneben spiele Mode für die auf Technik fixierten Deutschen nur eine untergeordnete Rolle, findet Stilexperte Bernhard Roetzel: „Deutschland ist das Land der Erfinder“, sagt der Autor des Bestseller-Ratgebers „Der Gentleman“. „Die Schönheit eines Autos oder einer Maschine erfreut viele mehr als die Schönheit eines Stoffes.“

Tatsächlich sagen 44,8 Prozent der Deutschen, sich kaum oder gar nicht für Mode und Modetrends zu interessieren. Als Experten, die anderen gerne mal einen modischen Tipp geben, sehen sich gerade mal 10,7 Prozent. Die Ergebnisse der aktuellen Werbeträgeranalyse des Instituts für Demoskopie (IfD) Allensbach spiegeln sich im Straßenbild wider, findet Gerd Müller-Thomkins, Leiter des Deutschen Mode-Instituts in Köln: „Den meisten Deutschen fehlt es an Stil“, sagt er.

Das bedeuten Dresscodes für Frauen
Baseline Casual für Frauen Quelle: Peek&Cloppenburg
Casual Quelle: Peek&Cloppenburg
Smart Casual Quelle: Fotolia
Business CasualWenn auf der Einladung von Business Casual die Rede ist, greifen Frauen am besten zum dunklen Kostüm, einem Hosenanzug oder einem Etui-Kleid. Der Rocksaum sollte das die Knie umspielen. Ein Minirock ist bei Business Casual genauso unangebracht, wie ein bodenlanger Rock. Jeans sind übrigens auch tabu: Wer keinen Hosenanzug besitzt und Röcke nicht mag, trägt eine dunkle Bundfaltenhose. Dieser Dresscode ist meistens bei Geschäftsessen oder Geschäftsreisen gefragt und hat eine repräsentative Funktion. Quelle: Fotolia
Business AttireBusiness Attire, Day Informal oder Tenue de Ville bedeutet, dass Sie Geschäftskleidung tragen sollten, obwohl Sie sich nicht im Büro befinden. Gefordert wird dieser Dresscode häufig bei Geschäftsreisen, bei Treffen mit Geschäftspartnern oder bei Business-Veranstaltungen im Allgemeinen. Frauen tragen also ein klassisches Kostüm oder einen Hosenanzug in Dunkelblau, Dunkelgrau, Anthrazit oder Schwarz. Dazu passt eine Bluse mit langen Ärmeln in Weiß, Hellblau oder Rosa. Alternativ geht auch ein förmliches Kleid, dessen Saum aber das Knie bedecken muss. Quelle: Fotolia
Black Tie / Cravate Noire Quelle: AP
White Tie / Cravate BlancheMänner tragen Frack mit weißer Fliege, Frauen sollen pompöse Abendkleider tragen. Und was ist mit den Herren? >>Das bedeuten Dresscodes für Männer Quelle: dpa

Ihnen ist vor allem praktische Kleidung wichtig – wobei es um keine anspruchsvolle Designphilosophie à la Porsche geht. „Ästhetik ist nebensächlich“, sagt Autor Roetzel. „Kleidung muss in erster Linie bequem, pflegeleicht und billig sein.“ Ein Beispiel bietet der Büroalltag: „In Deutschland ist es eher üblich, einen Anzug für 399 Euro zu tragen als einen für 999 Euro“, sagt Roetzel. Statt einem Mantel tragen deutsche Geschäftsleute dazu gerne eine Funktionsjacke, statt einer Aktentasche einen Rucksack. Für Roetzel ein Stilbruch: „Das sieht genauso albern aus, wie jemand im Blaumann mit Aktenkoffer.“

Funktionssinn führt auch zu besonderem Design

Deutschland ist dennoch keine Stilwüste. Der Funktionssinn, der bei der Masse zu Modesünden führt, sorgt am oberen Ende für einen besonderen Stil. Dieser hat Marken wie Porsche Design, Jil Sander, Strenesse und Hugo Boss hervorgebracht, aber auch Adidas oder Puma. Während Adidas-Kleidung weltweit als Standardausrüstung für Sport ist, haben Hugo-Boss-Anzüge diesen Ruf fürs Büro. Beide Marken erfüllen einen praktischen Zweck. Typisch deutsch eben.

Sakkos: Diese Knöpfe sollten Sie schließen
Faustregel: Der unterste Knopf bleibt aufDer untere Knopf beim Sakko bleibt geöffnet. Diese Tradition soll auf den 1901 verstorbenen britischen König Edward VII. zurückgehen. Der füllige Monarch mit einer Taille von 122 Zentimetern zum Zeitpunkt seiner Krönung ließ den unteren Knopf meist geöffnet. Quelle: dpa Picture-Alliance
ZweireiherDie einzige Ausnahme von der Regel: Der Zweireiher. Das klassische, manche würden sagen konservative, Sakko bleibt immer geschlossen. Daher muss er gut passen und darf nicht zu eng sein. Jünger wirkt der Zweireiher mit zwei statt drei Knöpfen auf jeder Seite. Prinz Charles macht es auf diesem Foto richtig, sein Sohn Prinz Harry nicht. Aber er scheint dabei zu sein, seinen Fehler zu beheben. Quelle: dpa/dpaweb
Ein-Knopf-SakkoAuch das Ein-Knopf-Sakko darf nicht zu eng sein. Denn auch hier gibt es nur einen Knopf, der geschlossen bleibt. Daher eignet sich dieses Sakko für schlanke, sportliche Männer. Durch den tief angesetzten Knopf ist das Revers besonders lang und unterstreicht so die schmale Figur der Träger. Quelle: AP
Zwei-Knopf-SakkoMeist die gute Wahl: Das Zwei-Knopf-Sakko ist nicht zu modisch und nicht zu spießig. Ein Knopf bleibt geschlossen, einer offen – in der Regel ist das der untere. Quelle: dpa Picture-Alliance
Drei-Knopf-SakkoDer untere Knopf bleibt offen und der mittlere auf jeden Fall geschlossen. Den obersten Knopf zu schließen oder geöffnet zu lassen, steht dem Träger frei. Durch die drei Knöpfe ergibt sich ein kürzeres Revers als bei den vorherigen Modellen. Das acht die Wahl von passendem Hemdkragen und Krawatten-Knoten schwieriger. Quelle: AP
Vier-Knopf-SakkoDie beiden mittleren Knöpfe werden geschlossen – eventuell der oberste auch. Für den untersten Knopf gilt wie immer: Geöffnet lassen. Sakkos mit mehr als drei Knöpfen bieten sich etwa für besonders große Männer an, denen das Revers bei den gängigen Modellen zu lang vorkommt. Quelle: dpa Picture-Alliance
Fünf-Knopf-SakkoEs geht sogar noch mit einem Knopf mehr. Alle Knöpfe bis auf den untersten werden beim Fünf-Knopf-Sakko geschlossen. Quelle: Fotolia

Die Anfänge von Hugo Boss waren beispielsweise alles andere als modisch. Die 1924 vom Unternehmer Hugo Ferdinand Boss eröffnete Kleiderfabrik im schwäbischen Metzingen stellte vor allem Arbeitskleidung her. Erst nach dem Tod ihres Gründers 1948 sattelte die Firma allmählich auf Herrenanzüge um.

Heutzutage bietet Boss zwar auch Damenmode, Sport- und Freizeitkleidung an, aber Herrenanzüge machen nach wie vor das Herzstück des Hauses aus. Ihr Erfolgsrezept: Sie gehen immer, findet Experte Gerd Müller-Thomkins. „Boss-Anzüge sind modisch noch nie wirklich aus der Reihe getanzt“, sagt der Modeexperte. „Sie sind passgerecht, ausreichend körperbetont und mittelmodisch mit einem leichten Hang zur Klassik.“

Anders bei Jil Sander. Die maskulinen Hosenanzüge der norddeutschen Designerin waren Anfang Achtzigerjahre höchstmodisch. „Jil Sander hat es verstanden, die moderne Businessfrau abzubilden“, sagt Müller-Thomkins. Ihre Anzüge waren zwar für Damen gedacht, aber wie für Herren gemacht.

Das war ebenso neu wie Jil Sanders nüchterner Stil. Dieser stellte einen Gegenpol zur bis dato etablierten verspielten Damenmode dar. Mit ihren puristischen Einzelteilen, die sich je nach Lust, Temperatur und Anlass frei miteinander kombinieren ließen, gilt Jil Sander als Begründerin des Zwiebel-Looks.

Kein deutscher Designer konnte sich seitdem einen vergleichbaren Namen machen. Überhaupt fehlen in Deutschland solch weltweit stilgebende, große Modehäuser wie sie sich in Italien und Frankreich tummeln. So ist unter den wertvollsten Luxusmarken, die die Beratungsgesellschaft Interbrand für 2013 zusammengetragen hat, kein deutscher Name zu finden (siehe unten).

Während Frankreich Louis Vuitton hat (Platz 1) und Italien Gucci (Platz 2), kann kein deutsches Modeunternehmen diesen Marken in Anspruch, Renommee und Größe das Wasser reichen.

Das sind die wertvollsten Luxusmarken

Jil Sander hat ihr Unternehmen etwa 1999 verkauft, das heute als italienische Aktiengesellschaft S.p.A. (società per azioni) mit Sitz in Mailand firmiert. Karl Lagerfeld gilt als kreativer Kopf von Chanel eher als Vertreter französischer Mode, Hugo Boss und Joop bedienen ein niedrigeres Segment und Wolfgang Joops neue Marke Wunderkind ist zwar fein, aber ebenso klein.

Gleiches gilt für Porsche Design, das im internationalen Luxusvergleich noch viel Luft nach oben hat. Während beispielsweise Prada 2013 rund 3,59 Milliarden Euro einfuhr und Hermès 3,75 Milliarden Euro erwirtschaftete, schaffte Porsche Design im gleichen Jahr gerade mal 128 Millionen.

Porsche-Design-Chef Jürgen Geßler glaubt nicht, je an die Größe der milliardenschweren französischen und italienischen Luxuskonkurrenz aufschließen zu können. Das gebe der einst von F.A. Porsche diktierte puristische, zeitlose Stil schlichtweg nicht her: „Wir können bestimmte Trends nicht mitgehen und müssen auf die Masse verzichten“, sagt Geßler. „Porsche Design wird immer eine kleine, feine Nischenmarke sein.“

Die Ursprünge des deutschen Modesinns

So wie es Deutschland an großen Namen mangelt, fehlt es hier zu Lande auch an einer Modemetropole von internationalem Rang. Zwar feiert Berlin seit 2007 zwei mal jährlich eine Fashion Week, große internationale Namen bleiben dem Schaulaufen jedoch fern. Auch Porsche Design, das eine Dependance seiner Designabteilung in Berlin unterhält, zeigt seine Kollektionen lieber auf der Fashion Week in New York. „Die wichtigen internationalen Einkäufer treffen wir in Berlin nicht an“, sagt Jürgen Geßler.

Welcher Anzug zu welcher Gelegenheit passt
Eröffnung der ElbphilharmonieNach Jahren wird nun am 11. Januar endlich die Hamburger Elbphilharmonie eröffnet. Das Konzerthaus soll nach Worten von Bürgermeister Olaf Scholz ein Gebäude für alle Bürger sein. „Ich habe mir fest vorgenommen, dass es auch so sein soll, dass alle Kinder, die in Hamburg zur Schule gehen, einmal ein Konzert in der Elbphilharmonie gehört haben“, sagte der SPD-Politiker dem Deutschlandfunk kurz vor der offiziellen Eröffnung am Mittwochabend. „Es wird ganz viele geben, die sich die Musik dort anhören werden und - ich bin ganz sicher - immer begeistert sein werden.“ Für diese Kinder spielen Dresscodes eine eher untergeordnete Rolle. Wer sein Abitur dagegen schon in der Tasche hat, sollte wissen, wie man sich bei einem klassischen Konzert anzieht - und wie man zur passenden Garderobe findet. Quelle: REUTERS
Anlass und Uhrzeit entscheidenAbends kleidet man sich grundsätzlich eleganter als bei einer Matinee am Vor- oder Nachmittag. Wer zur Eröffnung der Elbphilharmonie geht, darf also ruhig im Smoking beziehungsweise Abendkleid erscheinen. Bei einer Erstaufführung, einer Premiere, kleidet man sich ebenfalls eleganter als bei irgendeiner Vorstellung. Und beim Wiener Opernball muss es ein bisschen schicker sein, als im Stadttheater. Quelle: dpa
Das Outfit für den Mittag und Nachmittag Quelle: dpa
Die modische Glencheck-VarianteMit einem Anzug in dezenten Farben und Glencheck-Musterung beweisen Sie Stilsicherheit ohne dabei stark aufzufallen. Der schmale Schnitt sorgt für ein elegantes Aussehen. Passend dazu: Ein klassisches, weißes Hemd und eine farblich abgestimmte, etwas schmalere Krawatte. (Kostenpunkt für den Anzug: 479 Euro, Hersteller: Hugo Boss) Quelle: Breuninger
Der blaue AnzugAuch wenn Sie beim Anzug keine Farbexperimente wagen sollten, sind sie mit einem blauen Anzug modisch vorne dabei. Auch hier sorgt eine schmale Passform für den modernen Sitz. Ein weißes Hemd und die Krawatte im hellen Blau mit leichter Musterung ergänzen das moderne Businessoutfit. (Kosten Anzug: 479 Euro, Hersteller: Hugo Boss) Quelle: Breuninger
Der graue Anzug für den klassischen AuftrittWer es lieber klassisch mag, greift zum Anzug in Grau oder Anthrazit. Ebenfalls klassisch bei diesem Modell: Der Schnitt, der etwas weniger körperbetont als bei modernen Anzügen daherkommt. Auch hier liegen Sie mit einem weißen Hemd und einer dunklen Krawatte auf der sicheren Seite für den Berufsalltag. (Kosten Anzug: 899,99 Euro, Hersteller: Armani Collezioni) Quelle: Breuninger
Der Klassiker schlechthin: Der schwarze AnzugMöchten Sie mit nur einem Anzug möglichst viele Einsatzgebiete abdecken, führt kein Weg am klassischen, schwarzen Anzug vorbei. Damit dieser im Berufsalltag nicht zu langweilig wirkt, sollten Sie in mit einer passenden Krawatte in dezent abgesetztem Farbton oder Musterung ergänzen. (Kosten Anzug: 1949,99 Euro, Hersteller: Ermenegildo Zegna)

Diese kommen eher nach New York, Mailand, Paris oder auch nach London. Schon die Einstellung zu Mode ist in diesen Metropolen eine andere als in deutschen Städten. Wer etwa in London etwas auf sich hält, lässt sich bei einem Herrenausstatter in der Einkaufsstraße Savile Row einkleiden.

„Londoner Investmentbanker erkennen sofort, wenn jemand einen Anzug aus der Savile Row trägt“, sagt Autor Bernhard Roetzel. „In Deutschland fällt niemanden auf, woher ein Anzug stammt.“ Und wenn jemand mit hochwertiger Kleidung auffalle, dann eher negativ: „Die Kollegen schauen jemanden eher schief an, wenn man sagt, ein Maßhemd für 200 Euro in Auftrag gegeben zu haben, als wenn man erzählt, ein Kurzarmhemd von Aldi zu tragen.“

Diese Einstellung sieht Roetzel in den preußischen Tugenden verwurzelt: „Preußen hat es geschafft, sich mit Effizienz und Sparsamkeit von einem kleinen, armen Staat in die oberste Riege europäischer Großmächte hoch zu arbeiten“, sagt Roetzel. Mit diesen Eigenschaften setzten sich die Deutschen während Preußens Vorherrschaft ab dem 19. Jahrhundert bewusst von den damals befeindeten Franzosen ab. „Der sparsame, effiziente Deutsche sollte im Kontrast zum dekadenten, überkandidelten Franzosen stehen.“

Tatsächlich unterscheiden sich Deutsche und Franzosen in Sachen Mode bis heute. Das stellte Psychologin Ines Imdahl fest, die 2013 für einen Dessous-Hersteller die Einstellung der Kundinnen in verschiedenen Ländern untersucht hat. Ihr Ergebnis: „Deutsche Frauen sehen immer ihre Fehler“, sagt die Geschäftsführerin des Kölner Rheingold Salons, der psychologische Marktforschung betreibt.

Ein Beispiel: Greift eine deutsche Frau zum Push-up-BH, sagt sie, sie schummle. Die Französin sagt stattdessen, sie hole das Beste aus sich heraus.  Das Fazit der Psychologin: „Deutsche möchten auf den zweiten Blick wirken und nicht auf den ersten blenden.“ Diese fast demütige Einstellung sieht sie weniger im teils pompös inszenierten Preußentum verwurzelt, sondern viel mehr in der Nachkriegszeit. „Nach dem Zweiten Weltkrieg durften wir nicht mehr stolz auf das sein, was wir sind“, sagt Imdahl.

Eine allgegenwärtige Bescheidenheit löste nach 1945 das Überlegenheitsgefühl der Nazi-Zeit ab – begleitet von der ständigen Furcht, in alte Muster zurückzufallen. Das zeigte sich auch in der Kleidung der Nachkriegsjahre, sagt Gerd Müller-Thomkins vom Deutschen Mode-Institut: „Die Deutschen wollten einen Neuanfang. Ihre Kleidung war in etwa so schlicht sein, wie die Häuserfassaden der Nachkriegszeit.“

Der Identitätsbruch wirkt bis heute nach. „Alle Tendenzen, sich zu sehr in den Mittelpunkt zu rücken, werden unterdrückt“, sagt Ines Imdahl. „Wir machen lieber was Solides und müssen das nicht hinausschreien.“ Dafür steht etwa Angela Merkel: Ihr Führungsstil ist so sachlich und schnörkellos wie ihr Kleidungsstil. „Sie strahlt eine Schlichtheit aus, wie man es von der deutschen Kleidung erwartet.“

Doch nur, weil Deutsche den großen Auftritt und verspielte Schönheit scheuen, heißt das nicht, dass  der gehobene deutsche Modestil weniger wert ist, findet Imdahl: „Das ist nicht keine Ästhetik, sondern eine andere Ästhetik.“

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