Mit Versailles endete die Ära des „Deutschen-Champagners“. Bei der Pariser Friedensverhandlung von 1919 bis 1920 wurde unter anderem beschlossen, dass Schaumweine aus Deutschland diese Bezeichnung fortan nicht mehr tragen dürfen.
Champagner ist als Marke bestens geschützt, darauf achtet das Comité Champagne genau. Das mussten in mehreren Gerichtsurteilen in Deutschland etwa die lernen, die „Champagnerbratbirne“ als Schaumwein vermarkten oder ihren Imbiss „Currywurst & Schampus“ nennen wollten.
Der Nimbus als edelster Schaumwein der Welt soll nicht verwässert werden. Der Ruf des Champagners wird befördert durch aufwändige Werbekampagnen der Marken, die wie Moet & Chandon, Ruinart oder Dom Pérignon zu großen Luxuskonzernen gehören. Der Begriff „Deutscher Sekt“ klingt dagegen nach Amtsstube. Verdient hat das der heimische Schaumwein nicht. Aus der Bundesrepublik kommen immer häufiger herausragende Sekte.
Geht es nach Markt-Dominanz, ist Rotkäppchen die erfolgreichste deutsche Marke. Der Mutterkonzern Eckes als Mehrheitseigner vertreibt die weiteren Sektmarken Mumm und MM. Mit den Marken Blanchet, Mariacron und Eckes mischt der Konzern auch bei Stillweinen und Spirituosen mit.
Geht es nach dem Urteil der Tester, ist die Marke Raumland, benannt nach Volker Raumland, die erfolgreichste deutsche Marke. In den vergangenen zehn Jahren holte sich das Sekthaus aus dem rheinhessischen Flörsheim-Dalsheim mit verschiedenen Jahrgängen acht Mal den Titel „Bester Winzersekt Brut“ im Weinguide Gault Millau 2018. In der aktuellen Ausgabe siegt Raumlands „Pinot Noir Prestige Brut“ des Jahrgangs 2010. Als besten Sekt unter 10 Euro empfiehlt das Testerteam um Britta Wiegelmann.
Im erstmals erschienenen Vinum Weinguide 2018 unter den ehemaligen Cheftestern des Gaul Millau, Joel Payne und Carsten Henn, die Raumland sahen für die vor kurzem erschienenen Ausgabe den Pinot Crémant Brut Nature 2010 vom Weingut Aldinger aus Württemberg vorne - unter den Vinum-Top-Ten befinden sich allerdings fünf Schaumweine von Volker Raumland.
Doch Raumland ist nicht das einzige Unternehmen, das das Segment des hochwertigen Schaumweins nicht den Winzern und Weinbauern im 34.000 Hektar großen Anbaugebiet in der Champagne überlässt. Laut des Deutschen Wein Instituts (DWI) gibt es mehr als 4600 amtlich geprüfte Winzersekte. Sie zeichnen sich dadurch aus, dass in aller Regel Weintrauben aus eigenen Weinbergen verwendet werden. Und das ist in Deutschland sehr oft Riesling, der in der Champagne grundsätzlich nicht angebaut wird.
Wie die Flaschengärung nach Deutschland kam
Die hochwertigen deutschen Sekte werden nach dem gleichen Verfahren hergestellt wie Champagner. Das ist keine Überraschung. Zum einen haben renommierte Champagnerhäuser wie Krug oder Mumm eines gemeinsam: Einen deutschen Namen. Krug wurde von 1843 von Johann-Joseph Krug aus Mainz gegründet und Mumm 1827 durch die drei deutschen Brüder Gottlieb, Jacobus und Philipp Mumm und dem Brühler Friedrich Giesler.
Und zum anderen brachte schon 1836 der französische Kellermeister Joseph Mouzon die Flaschengärung zum Beispiel nach Radebeul in Sachsen. Dort feiert man 2016 den 180. Geburtstag der Sektproduktion in Sachsen. Im Staatsweingut Schloss Wackerbarth werden auch heute noch täglich hunderte Flaschen per Hand in sogenannten Rüttelpulten gedreht. Das dient dazu, dass die Hefe, die in der Flasche die Gärung betreibt, nach unten in den Flaschenhals absinkt.
In Wackerbarth ruhen die Sekte mindestens neun Monate „auf der Hefe“. Das ist die sogenannte zweite Gärung, die Flaschengärung, wie sie für hochwertige Schaumweine üblich ist. Danach werden die mit einem Kronkorken verschlossenen Flaschen in einem Kältebad vereist und der nun feste Hefepfropfen kommt aus der Flasche. Die fehlende Menge wird aufgefüllt und die Flasche bekommt nun erst ihren Korken und klassischen Käfig.
Bis 1994 wurde die Flaschengärung deswegen auch für Schaumweine aus Deutschland oft „Méthode champenoise“ genannt, bevor diese Bezeichnung untersagt wurde.
Für viele Weingüter übernehmen Sektproduzenten wie das Sekthaus Solter in Rheingau diese Arbeit neben der Abfüllung eigener Schaumweine. Mit ihrem „Solter Rheingau Riesling Sekt 2009“ gewann der Betrieb 2015 bei der „Champagne & Sparkling Wine World Championship“ in London gleich zwei Preise.
Trinken für den Staat
Doch eine Reise nach Berlin genügt, um zu sehen, dass deutscher Sekt Boden gewinnt. Die Weinbar Cordobar, für deren Weinauswahl die beiden gebürtigen Österreicher Willy Schlögel und Gerhard Retter verantwortlich zeichnen, führt selbstverständlich mehrere deutsche Schaumweine.
Den führt auch das jüngst mit einem Michelin-Stern ausgezeichnete Restaurant Nobelhart & Schmutzig, das neben seinem kulinarischen Motto „Brutal lokal“, vor allem für die außergewöhnliche Weinauswahl seines Sommeliers und Spiritus Rector, Billy Wagner, bekannt ist. Wer in Berlin kulinarisch hip ist, stößt auf deutschen Sekt.
Doch während die einfachste Flasche Bollinger etwa 45 Euro kostet, ist guter Rieslingsekt mit Preisen ab zehn Euro geradezu preiswert. Noch sind die besten deutschen Sekte mit Preisen von selten mehr als 50 Euro zu bekommen und wer in Köln in einen Supermarkt mitten in der Innenstadt geht, hat die Auswahl zwischen mehreren Sekten von Volker Raumland, darunter seine Cuvée Marie-Louise für rund 15 Euro.
Fakten zu Sekt & Co.
Riesig sind die Schwankungen nicht und eine Tendenz gibt es - im Gegensatz zum sinkenden Bierabsatz auch nicht. Dennoch ist 2014 das schwächste Jahr für den Verkauf von Schaumwein. 3.174.195 Hektoliter wurden verkauft, gut 56.000 Hektoliter weniger als im Vorjahr. Und gar 270.000 Hektoliter weniger als im Rekordjahr 2006 - durch Zufall dem Jahr der Fußballweltmeisterschaft in Deutschland.
Welches Land könnte wohl den größten Durst haben auf Sekt aus Deutschland? Mit Abstand das meiste geht nach Österreich, dort wurden 2014 mehr 19 Millionen Euro für deutschen Schaumwein ausgegeben. Platz Zwei geht an Norwegen mit 7,6 Millionen Euro und Belgien 7,5 Millionen. Auf Platz vier schiebt sich keine Nation, sondern eine Branche: Die Schiffs- und Fluglinien kauften Schaumwein im Wert von 4,7 Millionen Euro.
Die Wiedervereinigung oder der Sieg der Fußballweltmeisterschaft unter Trainer Franz Beckenbauer scheint 1990 viele Menschen zum Anstoßen verleitet zu haben: In dem Jahr erreichte die Sektsteuer mit 490 Millionen Euro ihren absoluten Rekord. 2014 waren es nur noch 410 Millionen Euro.
Ein Auf und Ab ist es auch für die Champagnerhersteller in Deutschland. 2011 mehr als 14,2 Millionen Flaschen, 2014 nur noch 12,6 Millionen. Wenig zu lachen hatten die Franzosen 2009 nach der Lehmankrise als mit gerade mal 10,9 Millionen Flaschen der niedrigste Wert seit 2000 erreicht wurde.
Im Jahr 2013 erreichte Rotkäppchen einen Marktanteil von 35,9 Prozent. Danach kommt erstmal lange gar nichts. Auf Platz zwei mit 9,5 Prozent Freixenet und mit 5,9 Prozent schafft es Mumm auf den dritten Platz. Wenn man dann noch die 5,1 Prozent von MM Extra dazuzählt, dann erreicht das Unternehmen Rotkäppchen-Mumm mit den drei Marken Rotkäppchen, Mumm und MM Extra einen Markanteil von mehr als 50 Prozent.
Für den Winzersekt des Jahres des Gault Millau von Raumland sind 23,50 Euro nötig, der Vinum-Sieger von Aldinger kostet 50 Euro.
Trotzdem: Die Mehrheit der deutschen Schaumweinkäufer scheint sich vor allem für einen möglichst niedrigen Preis zu interessieren. Im Durchschnitt liegt der bei 2,86 Euro pro Flasche. Davon gehen noch 1,02 Euro Sektsteuer ab. Der Staat erhält 136 Euro Steuer pro Hektoliter. Egal, zu welchem Preis die Flasche später verkauft wird. Die Sektsteuer ist mit knapp 400 Millionen Euro im Jahr ein wichtiger Posten im Bundeshaushalt.
Kein Wunder, dass sie seit 1902 als sie zur Finanzierung der kaiserlichen Flotte eingeführt wurde, zwei Weltkriege, die deutsche Wiedervereinigung und seit 1949 gleich acht Kanzlern überstanden hat. Wer perlend anstößt, stützt den Staat. Ob es schmeckt, ist dabei unerheblich.
Denn die besten Qualitäten machen einen verschwindend geringen Prozentsatz aus. Selbst die gesammelten Winzersekte Deutschlands haben lediglich einen Marktanteil von weniger als drei Prozent. Wer sich jedoch umschaut, findet unter den drei Prozent einige Schaumweine, mit denen das neue Jahr stilvoll und kulinarisch hochwertig begrüßt werden kann.