Thomas Bubendorfer im Interview "Wir haben nur jetzt!"

Profikletterer Thomas Bubendorfer erinnert Manager daran, dass ein spannender Weg wichtiger ist als jedes Ziel.

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Thomas Bubendorfer Quelle: Pressefoto (Dietmar Sochor)

WirtschaftsWoche: Sind Extrembergsteigen und Berufsleben wirklich vergleichbar? Beim Klettern muss jeder Griff sitzen. Einen Büro-Job dagegen kann man jahrelang machen, auch wenn er nicht der hundertprozentig Richtige ist.

Thomas Bubendorfer: Die Uhr tickt. In 500 Meter Höhe genauso wie auf diesem Sessel. Am Berg habe ich maximal fünf Minuten Zeit für den nächsten Griff. Denn wenn ich nichts mache, passiert auch etwas – und zwar etwas, das mir nicht gefällt. Wenn jemand sich nicht traut, einem Berufstraum nachzugehen – wegen der Hypothek, der Kinder –, dann sind fünf Jahre genauso eine verheerende Zeit, in denen man nichts entschieden hat.

Aber vielleicht auf Nummer sicher gespielt hat.

Diese Nummer sicher gibt es nicht. Da sitzt man Jahre in einem tollen Unternehmen – und dann wird die Belegschaft reduziert. Nur, wer von vorneherein etwas aufgibt, kann etwas gewinnen. Wenn ich einen 150 Meter langen, gefrorenen Wasserfall hinaufgehe, gehe ich ein Risiko ein. Aber ich kann nicht gleichzeitig unten bleiben und oben ankommen. Wer sich fünf Jahre nicht bewegt und im Hinterkopf hat „eigentlich sollte ich doch“, verspielt Lebenszeit. Wenn ich den Leuten meine Bilder zeige, öffnet ihnen die Verdichtung die Augen: „So schlimm ist es bei mir Gott sei Dank nicht. Aber in gewisser Weise schon.“

Deshalb lautet Ihre Maxime: Jetzt handeln?

Wir haben ja nur jetzt! Die Angst davor, was in einem halben Jahr sein wird, verhindert, dass man jetzt gut ist. Ob ich zum Beispiel im Herbst Aufträge von Unternehmen habe, kann ich nur beeinflussen, indem ich heute einen optimalen Vortrag halte. Und gerade nicht, indem ich mich um morgen sorge.

Aber das ganze Berufsleben ist zukunftsgerichtet: Zielvereinbarungen, Umsatzpläne...

Ja, und diese Zielfixierung ist überall falsch. Das sagt auch jeder gestandene Finanzvorstand: Marktstudien werden in aller Regelmäßigkeit gemacht, obwohl sie morgen noch nicht einmal das Papier wert sind, auf dem sie gedruckt sind. Keiner weiß, wie der Markt sich entwickeln wird.

Gerade als Sportler setzen Sie sich doch immer neue Ziele?

Ich setze mir zwar die Ziele, aber ich denke nicht ununterbrochen an die Ziele, die ich in einem halben Jahr erreichen möchte. Was zählt, ist die Gegenwart, in der ich den Grundstein für den Erfolg von morgen lege. Nur neue Wege zu gehen erzeugt eine Spannung. Dadurch entsteht Bewegung und Motivation. Erfolgreich ist, wer einen Weg geht und sich von der absoluten Zielfixierung freimacht. Man kann nur glücklich oder erfolgreich sein, man kann es nicht werden.

Sagt sich das auch so leicht in einer Krise?

Gerade dann. Vor 20 Jahren hatte ich meinen einzigen Absturz. Seitdem ist ein Sprunggelenk steif, die Zehen kann ich nicht bewegen. Die Ärzte erklärten mich zu 35 Prozent invalide. Aufhören war nie eine Option. Bergsteigen war für mich immer richtig, warum sollte das jetzt nicht mehr so sein? Aber ich habe damals gelernt, umzudenken.

In dieser Phase war ich sehr verbissen, wollte den nächsten und den nächsten Rekord aufstellen. Da habe ich die Kehrtwende gemacht: Das Jetzt muss stimmen, dann kommt das andere schon. Auch in der Wirtschaft sollte es nicht um Siegen gehen, sondern ums Spielen. Die beste Voraussetzung fürs Gewinnen ist ein spannendes Spiel. Wenn ich gut klettere, komme ich auch den Berg rauf.

Und wenn nicht?

Ich bin viel öfter umgekehrt, als dass ich es bis an die Spitze geschafft habe. Bei der Erstbesteigung der Nordostwand des Mount Everest zum Beispiel bin ich nicht bis ganz oben gekommen. Aber bis zum Moment des Scheiterns ist es spannend geblieben. Ich stehe und falle nicht mit den paar Minuten des oben Seins. Oben ist da, wo ich bin.

Ist es für Sie als Alleingänger einfacher, Fehler zu machen, als für einen Manager in einer Organisation?

Ich erlebe viele Führungskräfte, die auf hohem Niveau mehr oder minder immer das Gleiche machen. Aber sie lernen nichts dazu. Bei meinen Vorträgen frage ich oft: Wann haben Sie sich das letzte Mal selber überrascht? Wenn es denn einer weiß, dann erinnert er sich an einen Fehler, der ihm passiert ist. Ich mache Fehler kontrolliert, immer wieder, damit ich ständig gefordert bin, zu lernen. Ich muss als Profi nur wissen, wann und wo ich Fehler machen darf. Jeder Profi kann sich sein eigenes Trainingsgelände schaffen. Wenn jemand auf seine Weiterbildung im September hinweist, frage ich: Was lernen Sie denn bis September? Wenn du die Eigernordwand ohne Seil besteigen kannst, musst du beim nächsten Mal etwas ändern. Wiederholen ist tödlich. Deshalb ist Erfolg so gefährlich, weil er Neues verhindert.

Extremklettern ist Ihre Leidenschaft, seit sie 14 sind. Bei anderen liegen die Berufsträume vielleicht unauffindbar begraben.

Es ist nicht leicht, seiner inneren Stimme zu folgen, aber jeder hat eine. Diese sagt ihm, was für ihn das Beste ist, was ihn wirklich erfolgreich macht. Jeder hat ein Herz und weiß, ob er glücklich ist oder nicht. Ob er es in seinem Beruf oder in einer Beziehung nur aushält und sich sagt, besser als nichts. Manchmal kommt so ein Bergsteiger und öffnet eine Türe noch weiter, die sowieso schon offen ist. Ich weiß von drei Fällen, wo Führungskräfte nach meinem Vortrag ihren Job gekündigt haben.

Und jetzt werden Sie von diesen Unternehmen nicht mehr eingeladen?

Das war das Beste, was den Firmen passieren konnte. Aber ich habe bei den Leuten wie gesagt nicht das große Aha-Erlebnis ausgelöst, sondern mein Vortrag war für sie letzter Anstoß, sich ein Herz zu fassen.

In Ihren Büchern geht es hauptsächlich um Mut, Verantwortung, Sinn: Sind das nicht abgedroschene Management-Floskeln?

Warum? Ist nicht jeder gerne mutig? Das gilt für Manager genauso wie für meine 82-jährige Mutter. Ich glaube, die meisten Menschen hätten weniger Angst, wenn sie aktiver wären – in einem kontrollierten Umfeld. Also nicht darauf warten, dass ihnen von außen gesagt wird, was sie tun sollten. Sondern das selber spüren.

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