Die Entscheidungen von Accenture und Deloitte deuten nun darauf hin, dass solche Verfahren auf dem Rückzug sind. Langsam erkennen die Personaler, dass die Beurteilungen ihr ursprüngliches Ziel verfehlen. Theoretisch sollen sie die Leistung der Angestellten verbessern. Praktisch erreichen sie oft das Gegenteil. Das ist inzwischen sogar wissenschaftlich belegt.
Bereits im Jahr 1996 bezweifelte der Organisationspsychologe Avraham Kluger von der Hebräischen Universität von Jerusalem in einer Übersichtsstudie die Sinnhaftigkeit des Instruments. Bei einer Analyse von knapp 25.000 Gesprächen stellte er fest, dass die Rückkopplung des Chefs die Leistung des Mitarbeiters immerhin in jedem dritten Fall reduziert. Psychologen vermuten heute, dass das Feedback die Wahrnehmung des Angestellten einschränkt. Der Mitarbeiter sei danach vor allem darauf erpicht, gewisse Kennzahlen unbedingt zu erreichen. Hauptsache, er steht am Ende nicht schlechter da als seine Kollegen. Diese mutieren von Mitstreitern zu Konkurrenten, die es zu besiegen gilt.
10 Tipps für den perfekten Chef
Jeder Mensch macht Fehler, denn Menschen sind nicht perfekt. Durch diese Eigenschaft werden Menschen überhaupt erst liebenswert. Wichtig ist jedoch, dass wir um unsere Fehler wissen und Wege finden, wie diese Fehler behoben werden können. Fehler, richtig verstanden, führen zu einer Weiterentwicklung der eigenen Persönlichkeit und des Unternehmens.
Es ist daher verwunderlich, warum immer noch so viele Chefs meinen, dass sie perfekt sind. Eine solch grobe Selbstüberschätzung führt letztlich zu Arroganz und einem Stillstand an Wachstum (sowohl persönlich als auch unternehmerisch).
Darin liegt die Größe eines wirklich „perfekten“ Chefs. Er verwendet die Kenntnis seiner Fehler für die persönliche Weiterentwicklung. Gute Führungspersönlichkeiten meinen nicht, „jemand zu sein“, sondern verstehen sich als „jemand, der wird“ und zwar jeden Tag ein wenig mehr.
Eine wesentliche Eigenschaft von „perfekten“ Chefs ist, dass sie Menschen mögen. Viele so genannte Führungskräfte mögen aber nicht einmal sich selbst, geschweige denn andere Menschen. Unter solchen Umständen wird Führung nur schwer möglich sein. Um exzellent zu sein, muss man das, was man tut, lieben. Und um exzellent zu führen, muss man Menschen lieben.
Der „perfekte“ Chef sagt und meint „Wir!“ und nicht „Ich!“ Er ist ein Teamspieler. Im 21. Jahrhundert werden nur Teams gewinnen und nicht Einzelspieler. Die Mondlandung beispielsweise war auch nicht das Werk eines einzelnen Menschen, sondern das mehrerer tausend Ingenieure, auch wenn die visionäre Kraft eines Wernher von Brauns dahinter stand. Aber er hätte es niemals alleine geschafft.
Der „perfekte“ Chef fordert Menschen heraus. Er will Leistung erleben und regt Menschen an, sie zu erbringen. Dabei orientiert er sich nur ungern am Durchschnitt, sondern an Spitzenleistungen. Der „perfekte“ Chef gibt sich mit dem zweitbesten Ergebnis nicht zufrieden.
Von dem Gedanken, stets der Beste in allen Bereichen sein zu wollen, müssen sich Führungspersönlichkeiten trennen. Der „perfekte“ Chef konzentriert sich auf seine Stärken und seine Hauptaufgaben.
Grundvoraussetzung eines „perfekten“ Chefs sind gelebte Werte, die von allen Mitarbeitern als Führungsgrundsätze empfunden werden. Nur so entsteht das viel geforderte Vertrauen.
Letztlich geht es um das wesentliche: Der „perfekte“ Chef bewirkt, dass Menschen Ziele erreichen. Das Wesen guter Führung ist Wirksamkeit.
Meistens halten wir unsere Meinung für die Wahrheit, basierend auf der Wirklichkeit, wie wir sie empfinden. Häufig entspricht unsere Wirklichkeit jedoch nicht der Realität. Der „perfekte“ Chef setzt sich auf den Stuhl des anderen. Wer durch die Augen anderer sieht, entdeckt eine Fülle von Wirklichkeiten.
Quelle: Perspektive Mittelstand
Erst recht, wenn die Bewertungen messbare Folgen haben. Meinungsforscher von TNS Infratest fanden im Jahr 2011 heraus: Bei etwa jedem vierten deutschen Angestellten hat die regelmäßige Leistungsbewertung durch den Vorgesetzten Einfluss auf das monatliche Bruttogehalt.
Ein Scheitern ist in dieser Wettbewerbssituation umso schlimmer. Dann kann negatives Feedback den Angestellten umso stärker demotivieren.
Zu diesem Ergebnis kam im Jahr 2013 eine Studie von Satoris Culbertson, Managementprofessorin an der Kansas-State-Universität. 234 Angestellte sollten ihr mitteilen, wie zufrieden sie mit den Bewertungen ihrer Vorgesetzten waren. Außerdem wollte Culbertson wissen, wie lernbereit sie waren oder ob sie neue, ungewisse Herausforderungen aus Angst vor Fehlern mieden.
Wenig überraschend: Probleme mit kritischen Anmerkungen hatten vor allem jene Angestellten, die leistungsorientiert dachten und Wert darauf legten, wie ihre Kollegen ihre Arbeit beurteilten.
Doch mehr noch: Selbst jene Mitarbeiter, die vor allem an der eigenen Weiterentwicklung interessiert waren und somit Interesse an konstruktivem Feedback haben müssten, ließen sich sogar von gut gemeinter Kritik irritieren. Ein Grund mehr, rein datenbasierte Beurteilungen der Belegschaft abzuschaffen.
Daran appelliert auch Rüdiger Hossiep, Wirtschaftspsychologe der Ruhr-Universität Bochum. Es habe katastrophale Folgen für die Zusammenarbeit, die Leistung der Mitarbeiter in Zahlen gefasst zu vergleichen, interne Ranglisten aufzustellen und diese mit Boni zu verknüpfen: „Das ist der Tod jeder Vertrauenskultur“, sagt Hossiep.
Das soll nicht heißen, dass Vorgesetzte kein Feedback mehr geben sollen. Im Gegenteil. Bloß dürfen solche Gespräche nicht nur einmal im Jahr stattfinden und niemals allein auf Basis fragwürdiger Kennzahlen.
Accenture-Chef Pierre Nanterme will in den kommenden Monaten ein neues System aufbauen, in dem die Angestellten zeitnah Feedback erhalten, zum Beispiel nach Abschluss eines Projekts. „Manager müssen die richtige Person für die richtige Stelle auswählen und sie mit ausreichend Freiraum ausstatten“, sagte Nanterme der „Washington Post“ im Interview. „Die Kunst guter Führung besteht nicht darin, Angestellte ständig miteinander zu vergleichen.“