Extreme Schadstoffbelastung Indien ringt nach Luft

Indien keucht und hustet. Die Luft in vielen Regionen des Landes ist so schmutzig wie fast nirgendwo sonst auf der Welt. Als Dreckschleudern stehen aber nicht nur Autos und Kraftwerke im Fokus.

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Laut einer Studie der Yale-Universität liegt Indien bei der durchschnittlichen Feinstaubbelastung auf Platz 177 von 178 Ländern. Quelle: dpa

Neu Delhi Das T-Shirt von Mganasui Horam leuchtet in einem grellen Orange, der Rock ist von satter Pfirsichfarbe, doch wenn sie die Kleidungsstücke am Abend auswäscht, färbt sich das Wasser schwarz. Den ganzen Tag lang setzen sich Rußpartikel in der Kleidung der 65 Jahre alten Inderin fest: wenn sie das Frühstück macht, das Mittagessen kocht oder das Abendessen zubereitet.

„Wir Frauen verbringen unser halbes Leben in der Küche und die andere Hälfte im Dschungel“, sagt sie. Horam lebt im üppig grünen Nordosten Indiens, in einem Dorf namens Mapao mit 150 Lehmhäusern. Das liegt – per Auto-Rikscha – zwar nur eine halbe Stunde von der Landeshauptstadt Imphal entfernt, doch dazwischen liegen Welten.

Horam gehört zum Stamm der Naga, der sich viel aus den umliegenden Wäldern ernährt. In ihren Töpfen köcheln Yamswurzeln, lange Bohnen, Kürbisse und Brauner Senf, und je nach Saison auch Käfer, Grashüpfer, Vögel und Affen.

Gekocht wird ausschließlich mit Holz – und darunter, sagt Horam, leide ihre Gesundheit. „Ich fühle mich oft schwach, meine Lunge ist nicht gut. Außerdem tun die Augen weh und sind trocken“, sagt sie. Doch habe sie keine Alternative: Der elektrische Schnellkochkopf, den ihre Tochter aus der Stadt mitgebracht hat, könne nur Reis kochen. Und einen Solarkocher oder einen Gas-Herd hat sie noch nie gesehen.

Horam ist eine von Millionen von Frauen, die in Indien täglich im Rauch sitzen. Laut jüngsten Zensusdaten wird in 49 Prozent der indischen Haushalte mit Holz gekocht; oft werden dafür auch Ernteabfälle oder getrocknete Kuhfladen genutzt. Hinzu kommt, dass fast ein Drittel der Inder Lampen mit dem staatlich subventionierten Kerosin benutzt – alles Energieträger, bei deren Verbrennung die Luft gefährlich verschmutzt wird. Das kann zu Entzündungen der Atemwege, Herzproblemen und Lungenkrebs führen.

Fast drei Milliarden Menschen seien durch das Verbrennen von Kohle oder pflanzlichen Brennstoffen ernsten Gesundheitsgefahren ausgesetzt, hieß es jüngst in einer Studie im britischen Fachjournal „The Lancet Respiratory Medicine“. Der Rauch enthält neben Ruß auch viele andere Verbindungen, die für den Körper schädlich sind. Schätzungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zufolge starben 2012 etwa 4,3 Millionen Menschen infolge der Luftverschmutzung in Haushalten – besonders viele davon in Asien.


Höhere Feinstaubwerte als in Peking

Horams Tochter Wonshim ist 29 Jahre alt und vor einem Jahrzehnt in die Hauptstadt Neu Delhi gezogen. Sie nutzt, wie viele Großstadt-Inder, die 14,2-Kilogramm schweren Gas-Zylinder zum Kochen. „Das ist viel bequemer, man kann einen Topf aufsetzen und weggehen, ohne ständig das Holz anfachen oder nachlegen zu müssen“, sagt sie. Außerdem müsse sie nicht so oft husten wie bei ihrer Mutter im Dorf.

Doch auch wenn die Wände rund um ihre Kochstelle nicht mehr schwarz sind – die Luft in ihrer Einzimmerwohnung in Delhi ist keineswegs gesund. Tatsächlich gehört die Metropole, in der inklusive Vorstädten mittlerweile 25 Millionen Menschen leben, zu den dreckigsten Städten der Welt. Die WHO fand nirgendwo sonst auf der Welt so viel Feinstaub wie in Delhi – viel mehr sogar als in der chinesischen Smog-Metropole Peking.

Die feinen Partikel sind besonders gefährlich, da sie wohl über die Lunge direkt ins Blut gehen können. Fast die Hälfte der Kinder in Neu Delhi hat eine verringerte Lungenkapazität, fand Indiens Kontrollbehörde für Umweltverschmutzung heraus.

Auch in anderen indischen Städten klettern die Feinstaubwerte in extreme Höhen. Im Taj-Mahal-Ort Agra, in Allahabad, Amritsar, Firozabad, Gwalior, Kanpur, Khanna, Lucknow, Ludhiana und Raipur lag der Wert des gefährlichen Feinstaubs PM10 im Durchschnitt bei mehr als 200 Mikrogramm pro Kubikmeter – die WHO empfiehlt einen Wert von unter 25.

Laut einer Studie der Yale-Universität liegt Indien bei der durchschnittlichen Feinstaubbelastung auf Platz 177 von 178 Ländern. Den letzten Platz hat China inne.

Ein Grund für den Smog ist die ständig wachsende Fahrzeugflotte in den Schwellenländern. Allein in Neu Delhi werden laut Stadtverwaltung pro Tag 1000 neue Autos zugelassen. Hinzu kommen die überall präsenten Motorräder und die unzähligen Lastwagen, die dicke, schwarze Rußwolken ausstoßen. Eine Umgehungsstraße etwa, die Indiens höchstes Gericht schon 2004 angeordnet hatte, wurde nie gebaut.


Fahrzeuge sind nicht die gefährlichsten Schadstoffquellen

Doch die Fahrzeuge sind nicht die gefährlichsten Emittenten: Die wichtigste Quelle der Luftverschmutzung sei in Asien Biomasse, die zum Heizen und Kochen oder in Generatoren verwendet wird, schrieben Experten gerade im Fachblatt „Nature“. Diese töte nicht nur Millionen Menschen in Innenräumen, sondern auch draußen.

Allein in Indien stürben rund 650 000 Menschen jedes Jahr vorzeitig wegen der schlechten Außenluft. Luftverschmutzung – draußen wie drinnen – stellt laut WHO das größte Gesundheitsrisiko der Welt dar.

In Zukunft sei in Süd- und Südostasien mit einer erheblichen Zunahme an Todesfällen zu rechnen, sagte Johannes Lelieveld vom Max-Planck-Institut für Chemie in Mainz, unter dessen Leitung die Studie entstand. Die Regierungen der betreffenden Länder müssten ihre Anstrengungen verstärken, den Menschen zum Heizen und Kochen bessere Technologien zugänglich zu machen.

Indien sucht zwar seit Jahrzehnten nach einem perfekten Küchenherd, bislang aber mit wenig Erfolg. Unternehmen, Forscherteams und Nichtregierungsorganisationen haben in den vergangenen Jahrzehnten unzählige Varianten vorgestellt, mal für Kuhdung und mal mit Solar, aus Ziegeln oder aus Wurmstein. Das Problem: Die meisten Frauen kochen trotzdem lieber auf herkömmliche Art.

Die Regierung macht derzeit kaum Druck auf ihre Bevölkerung, die Luft weniger zu belasten. Auch selbst nimmt sie sich nicht viel vor – so geht etwa der Ausbau der Kohlekraft ungebremst weiter. „Wir müssen (wirtschaftlich) wachsen, die Beseitigung der Armut ist wichtig“, so Umweltminister Prakash Javadekar. Ein Drittel aller weltweit Armen lebt in Indien.

Am Donnerstag will Neu Delhi seine Klimaziele vorstellen – alle anderen großen Treibhausgas-Emittenten haben das vor dem Klimagipfel Ende des Jahres bereits getan. Indien ist der weltweit drittgrößte Emittent von Kohlendioxid. Javadekar ließ schon vorher durchblicken: Ein genaues Ziel, wann Indiens Treibhausgasemissionen ihren Höhepunkt erreichen sollen, wird er nicht ausgeben.

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