Betrugsskandal bei der Société Générale Ex-Devisenhändler Jérôme Kerviel verurteilt

Das vorläufige Ende einer unvergleichbaren Betrugsaffäre: Jérôme Kerviel ist am Dienstag vor einem Pariser Gericht wegen Veruntreuung verurteilt worden. Nun muss der frühere französische Händler hinter Gitter. Das Strafmaß blieb allerdings hinter den Forderungen der Anklage zurück.

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Der ehemalige Händler der Quelle: Reuters

Fünf Jahre Haft und fast fünf Mrd. Euro Schadenersatz: Der ehemalige französische Börsenhändler Jérôme Kerviel ist am Dienstag in Paris wegen Veruntreuung, Fälschung und betrügerischer Manipulation verurteilt worden. Von den fünf Jahren Haft wurden zwei auf Bewährung ausgesetzt. „Jérôme Kerviel war der Erfinder eines kohärenten Betrugssystem“, sagte der Richter. Kerviel hatte bei Börsengeschäften für die Großbank Société Générale bis Anfang 2008 rund 4,9 Mrd. Euro verzockt. Diese Summe muss er nach dem Urteil seinem ehemaligen Arbeitgeber zurück erstatten. Der 33-Jährige schloss während der Verlesung des Urteils kurz die Augen, blieb sonst aber regungslos.

Kerviels Anwalt Olivier Metzner kündigte an, in Berufung zu gehen. Er nannte das Urteil „unvernünftig und nicht akzeptabel“. „Selbstverständlich werden wir in Berufung gehen, da das Strafmaß völlig übertrieben ist“, erklärte er. „Jérôme Kerviel hat seine finanziellen Aktionen durch fiktive Transaktionen verdeckt“, begründete der Richter das Urteil. Dabei habe er wissentlich die Kontrollsysteme umgangen und unter anderem skrupellos Unterschriften gefälscht. „Er war sich bewusst, dass er sein Mandat weit überschritt.“

Der Richter gestand dem Angeklagten zu, dass er das Schweigen seiner Vorgesetzten als Ermutigung gedeutet habe, weiterzumachen. Es habe bei den Kontrollen in der Bank durchaus Lücken gegeben. Kerviel sei mit der Zeit immer nervöser geworden, sagte der Richter. Er erwähnte eine Chat-Nachricht an einen Arbeitskollegen, in der Kerviel spekulierte, dass er wohl bald im Knast landen werde. Zugleich warf der Richter Kerviel vor, sich während des Prozesses als Opfer des Systems dargestellt zu haben.

Verzockt mit 50 Milliarden Euro

Der Verurteilte hatte den größten Spekulationsverlust aller Zeiten verursacht. Er durfte maximal 125 Mio. Euro einsetzen, spekulierte aber mit Summen bis zu 50 Mrd. Euro. Seine Verteidigung hatte Freispruch gefordert und der Bank eine Mitverantwortung gegeben, weil sie sein Handeln tolerierte, so lange er Gewinne machte.

Im Juni hatte die Verhandlung mit den Plädoyers der Verteidigung geendet. Die Anklage forderte fünf Jahre Haft für Kerviel, vier davon ohne Bewährung. Trotz des Marathons der Zeugen blieb das Mysterium Kerviel in großen Teilen ungelöst: Was hat den 33-Jährigen dazu getrieben, 50 Mrd. Euro auf Kosten der Bank zu verwetten?

Kerviels Verteidigungslinie blieb im Prozess so unflexibel wie die Bügelfalte seiner Hose. „Meine Ergebnisse standen in keinem Verhältnis zu meiner Tätigkeit“ oder „Die großen Schwankungen meiner Barmittelbestände hätten meine Vorgesetzten alarmieren müssen.“ Kurz: Die Verantwortlichen der Société Générale waren über seine riskanten Aktienwetten auf dem Laufenden.

74 Alarmzeichen ignoriert

Aber wenn dem so war, warum kaschierte er dann seine riskanten Wetten mit fiktiven Gegengeschäften? Auf diese mehrfach gestellte Frage des Richters Dominique Pauthe fielen Kerviels Antworten recht dünn aus. Wie am fünften Prozesstag, als er sagte: „Ich wollte den Anschein erwecken, dass die Positionen im System Eliot (das Handelssystem der Bank) gedeckt sind. Um den Anschein zu erwecken, dass das Limit von 125 Mio. Euro nicht verletzt ist.“

Klar ist: Die Société Générale hätte Kerviel früher stoppen können, sogar müssen. 74 Alarmzeichen wurden weitgehend ignoriert. Und Kerviels direkter Vorgesetzter, Eric Cordelle, gab vor Gericht offen zu, „weder die nötigen Mittel noch die nötigen Qualifikationen“ gehabt zu haben, Kerviel und seine Kollegen am Handelstisch Delta One zu überwachen. Die Bank sei „Opfer des eigenen Wachstums“ geworden, so Cordelle; vor lauter Neueinstellungen habe er keine Zeit für Kontrollen gehabt. Und dass Kerviel 2005 sogar schon einmal beim Mogeln erwischt worden war, hielt man bei der Société Générale nicht für nötig, ihm mitzuteilen.

"Fehler“ räumte daher Ex-Bank-Chef Daniel Bouton bei seinem Auftritt vor Gericht auch ein; das kollektive Wegschauen erklärte er damit, „dass es vor dem Fall Kerviel nicht das Prinzip Misstrauen bei der Société Générale gab“. Doch es sei eben ein Unterschied, ob man etwas hätte wissen können oder tatsächlich gewusst hat. Bouton fügt an, dass er davon „träumt“, dass Kerviel endlich erkläre, wieso er dies alles getan habe. „Wer sind Sie also, Herr Kerviel?“ fragt auch am Ende Richter Pauthe den Angeklagten noch einmal. Auch nach drei Wochen Verhandlung bleiben Fragen offen.

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