WirtschaftsWoche: Herr Schmieding, zwei Jahre nach dem Schwur von EZB-Präsident Mario Draghi, den Euro retten zu wollen - koste es, was es wolle - kämpfen die Eurokrisenländer immer noch mit denselben Problemen: schwaches Wachstum, hohe Schulden. Wie lange lassen sich die wirtschaftlichen Probleme noch ignorieren, bevor die Schuldenkrise in Euroland erneut ausbricht?
Holger Schmieding: Probleme werden nicht unter den Teppich gekehrt. Davon kann keine Rede sein. Die Krisenländer haben sich einem harten Spar- und Reformprogramm unterzogen. Agenda 2010 hoch zwei. Mit Erfolg. Spanien, Portugal, Irland gehören jetzt zu den am schnellsten wachsenden Ländern Europas.
Die Arbeitslosenquote in Spanien liegt bei knapp 25 Prozent, in Griechenland bei rund 26 Prozent und in Portugal bei rund 14 Prozent. Dazu steigen die Schuldenquoten.
Draghi hat mit seinen Worten "whatever it takes" die Panik an den Finanzmärkten beendet und der vorab gelähmten Geldpolitik neue Schlagkraft verliehen. Deshalb erholt sich jetzt die Konjunktur. Mit seinen Worten hat Draghi übrigens auch den deutschen Mittelstand gerettet.
Zur Person
Holger Schmieding (56) ist seit Oktober 2010 Chefvolkswirt bei der Berenberg Bank in London. Das Institut ist Deutschlands älteste Privatbank mit Sitz in Hamburg. Schmieding hat in München, London und Kiel Volkswirtschaft studiert. Nach seiner Promotion in Kiel war er als Assistent des Präsidenten und dann als Leiter der Forschungsgruppe "Mittel- und Osteuropa" am Kieler Institut für Weltwirtschaft tätig, danach als Volkswirt beim Internationalen Währungsfonds in Washington, DC. Bevor er zur Berenberg Bank kam, arbeitete er als Chefvolkswirt für Europa bei den US-Banken Merill Lynch und Bank of America in Frankfurt und London.
Das müssen Sie uns bitte erklären.
Inmitten der grassierenden Angst vor einem Zerfall des Euro war der Rückgang der Wirtschaftsindikatoren vor zwei Jahren in Deutschland genauso ausgeprägt wie in der Peripherie. Deutschland kam von einem höheren Niveau als Spanien, richtig. Aber auch Deutschland stand im Juli 2012 an der Schwelle zu der Rezession. Hätte die EZB den Euro platzen lassen, hätte die Krise auch Deutschland voll getroffen - mit steigender Arbeitslosigkeit und sinkenden Steuereinnahmen. Letztlich wäre auch Deutschland dann in eine Deflation gefallen mit all den Folgen wie in Japan. Gewinner von Draghis Geldpolitik ist also auch der deutsche Rentner, der auf Beitragseinahmen der Rentenkassen angewiesen ist, und der deutsche Arbeitnehmer, der einen Arbeitsplatz braucht.
Wo sich die Schuldensünder der Euro-Zone verbessert haben
Haushaltsdefizit (Anteil am Bruttoinlandsprodukt ohne Bankenhilfe)
Griechenland
2009: -15,7 % 2013: -2,1 %
Portugal
2009: -10,2 % 2013: -4,5 %
Spanien
2009: -11,1% 2013: -6,6 %
Irland
2009: -12,4 % 2013: -6,7 %
Eurozone
2009: -6,4 % 2013: -3,0 %
Leistungsbilanzdefizit*
Die Exporte von Portugal (+37 %) und Spanien (+35%) haben zwischen 2009 und 2013 schneller zugelegt als in Deutschland (+33%)
Griechenland
2009: -14,4 % 2013: -2,3 %
Portugal
2009: -10,8 % 2013: +0,4 %
Spanien
2009: -4,8 % 2013: +1,1 %
Irland
2009: -2,3 % 2013: +7,0 %
Eurozone
2009: +0,2 % 2013: +2,7 %
(*im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt)
Die Schuldenkrise bescherte Griechenland, Spanien, Portugal und Irland eine tiefe Rezession. In Spanien sank das Bruttoinlandsprodukt (BIP) um 7,5 Prozent, in Portugal um 8,5 Prozent und in Griechenland sogar um 20 Prozent. Für 2014 erwarten Analysten nach fünf Jahren endlich überall wieder Wachstum - wenn auch nur in vergleichsweise kleinem Umfang. Allerdings ist dabei auch der Abstand zwischen Peripherie und den Kernländern.
Wirtschaftsvertrauen der EU-Kommission.
Den Tiefpunkt erreichte die Stimmung 2009. Bei der Erhebung im April 2015 war der Wert nur noch in Griechenland leicht unterdurchschnittlich.
Griechenland
2009: 74,8* April 2014: 95,4
Portugal
2009: 75,4 April 2014: 100,6
Spanien
2009: 73,8 April 2014: 101,5
Eurozone
2009: 70,1 April 2014: 102,0
(100 Punkte = langfristiger Durchschnitt; keine Werte für Irland)
In den ersten Jahren nach der Euro-Einführung haben die Peripherieländer ihre Lohnstückkosten deutlich gesteigert. Seit 2010 gab es einen deutlichen Richtungswechsel. Nach den Berechnungen des Anleihenmanagers Bantleon ist der zuvor aufgebaute Wettbewerbsnachteil durch hohe Lohnstückkosten inzwischen verschwunden
Entwicklung der Lohnstückkosten seit Anfang 2009:
Griechenland -15,0 %
Portugal -6,6 %
Spanien -7,6 %
Irland -13,0 %
Eurozone +3,0 %
Auch wenn es in der Öffentlichkeit oft so ankommt, als würden würden die Krisenländer in der Euro-Peripherie sich mit der Umsteuerung schwertun, so wurden doch weitreichende Reformen am Arbeitsmarkt, in den Renten- und Steuersystemen sowie Verwaltungen vorgenommen. Das etwa der Arbeitsmarkt flexibler geworden ist, belegt der Employment Protection Index der OECD. Je niedriger sein Wert, um geringer die Regulierung am Arbeitsmarkt durch Kündigungsschutz, Abfindungszahlungen, Probezeiten, etc.) Bis auf Irland habe sich alle Krisenländer verbessert.
Griechenland
2008: 2,9 2013: 2,4
Portugal
2008: 3,5 2013: 2,7
Spanien
2008: 2,7 2013: 2,3
Irland
2008: 2,0 2013: 2,1
Eurozone
2008: 2,4 2013: 2,3
Die Panik hat Draghi gestoppt, aber hilft seine Niedrigzinspolitik den Eurokrisenländern?
Draghi hat die Turbulenzen beendet, gerettet haben die Länder sich letztlich selbst. Die Wirtschaftsreformen an der Euro-Peripherie übertreffen die deutsche Agenda 2010 bei weitem. Spanien erlebt derzeit den stärksten Rückgang der Arbeitslosigkeit seit acht Jahren, ähnlich ist es in Portugal und Irland. Selbst in Griechenland, das von allen Ländern die größten Probleme hatte, sehen wir eine deutliche Wende. Erst mit dem Ende der Finanzmarktpanik konnte die Geldpolitik der EZB die Wirtschaft erreichen.
Die Draghi-Rede hat gewirkt wie ein geldpolitischer Impuls aus dem Lehrbuch. Es brauchte drei Quartale bis zum zweiten Quartal 2013, bis seine Worte in der Realwirtschaft angekommen waren. Bis zum Inflations-Tiefpunkt dauert es dann typischerweise noch ein Jahr. Danach legt auch die nominale Wirtschaftsleistung wieder zu und die Schuldenquote nimmt ab.
"Geldpolitik muss normales Wachstum ermöglichen"
Die Schulden in diesen Ländern wachsen immer noch schneller als die Wirtschaft – mit Hilfe der Notenbankpolitik der EZB. Die Staaten können sich dank Draghis Niedrigzinspolitik weiter billig finanzieren.
Die Schuldenquote ist in den letzten drei Jahren vor allem deshalb gestiegen, weil in der Anpassungskrise zunächst die Wirtschaftsleistung eingebrochen ist. Nur dank Draghi haben die Krisenländer überhaupt die Gelegenheit bekommen, ihre schmerzhaften Reformen umzusetzen, ohne zwischendurch in einer eskalierenden Depression und Deflation zu versinken. Auch nach der deutschen Agenda 2010 ist die deutsche Schuldenquote noch jahrelang gestiegen bis schließlich das Wachstum der Wirtschaft den Schuldentrend gedreht hat. Jetzt müssen die Krisenländer weiter wachsen, um ihre Schuldenquote zu vermindern.
Reformen, etwa in Portugal oder Griechenland, werden schon wieder zurückgefahren.
Nein, Reformen werden nicht zurückgedreht. Das Verfassungsgericht in Portugal hat zwar einen Teil der Lohnkürzungen im öffentlichen Dienst für verfassungswidrig erklärt. Die portugiesische Regierung bemüht sich aber, dies auszugleichen, also woanders zu kürzen. Das ist kein Zurückdrehen.
Portugal
2013: -1,6 Prozent
2014: 0,3 Prozent
2013: 0,2 Prozent
2014: 0,3 Prozent
2013: 16,7 Prozent
2014: 16,7 Prozent
IHS Global Insight
Auch nicht in Griechenland? Selbst EZB-Präsident Draghi drängte erst jüngst wieder zu wirtschaftlichen Reformen in den Eurokrisenländern.
In Griechenland gibt es eine Diskussion, wo genau im Staatssektor die nächste Entlassungsrunde ansetzen muss. Das ist mühsam. Aber das ist kein Zurückdrehen von Reformen.
Sechs Jahre nach der Krise sind sich die Griechen darüber noch nicht einig?
Der Streit darüber, wo und wie entlassen wird, ist Teil des normalen politischen Prozesses. Müssten bei uns nach Gehaltskürzungen um 20 Prozent auch noch viele Staatsdiener entlassen werden, ginge das auch nicht geräuschlos ab.
Wie können Länder wie Portugal oder Griechenland von ihren hohen Schulden runterkommen? Der Schuldenstand Portugals beläuft sich derzeit auf fast 130 Prozent des Bruttoinlandsproduktes.
Der wesentliche Grund, warum die Schuldenquoten trotz massiver Einschnitte bei den Staatsausgaben und höherer Steuersätze bis zuletzt noch gestiegen sind, ist nicht, dass die Schulden rapide zunehmen, sondern dass die nominale Wirtschaftsleistung so schwach ist. Wir brauchen deshalb eine Geldpolitik, die eine Deflation vermeidet und es der Wirtschaft ermöglicht, wieder normal zu wachsen. Dann kann auf Dauer auch die Schuldenquote abnehmen.
Konkret, bitte: Wie können diese Länder ihre Schuldenquoten verringern?
Die Länder haben schon kräftig gespart, weit mehr als Deutschland zu Zeiten der Agenda 2010. Bereinigt um rein konjunkturelle Effekte sind die Staatshaushalte saniert. Was wir jetzt noch brauchen ist ein nachhaltiges Wirtschaftswachstum. Das hat Draghi eingeleitet. Das reale Wachstum kommt in Gang. Wir sehen in Spanien bereits ein Tempo, das möglicherweise bald Deutschland erreicht oder möglicherweise übertrifft.
"Es gibt keine Liquiditätsschwemme in der Eurozone"
In Deutschland ist das Bruttoinlandsprodukt (BIP) in den ersten drei Monaten des Jahres um 0,8 Prozent im Vergleich zum Vorquartal gestiegen, in Spanien um 0,4 Prozent. Das ist noch ein Weg, den die Spanier da zurücklegen müssen.
Da hatte der warme Winter in Deutschland aber sehr nachgeholfen. Im zweiten Quartal hat Spanien um 0,5 Prozent zugelegt, während Deutschland als Ausgleich für den Wintereffekt fast gar nicht gewachsen ist. Wir müssen eines immer beachten. Reformen brauchen Zeit. Auch in Deutschland hat sich die Agenda 2010 des Jahres 2003 doch erst ab 2006 ausgezahlt. Erst dann setzte ein kräftiges Wachstum ein. Hätten wir die Agenda bereits Anfang 2006 abschließend beurteilt, hätten wir sagen müssen, was für eine Katastrophe. Denn die ersten Ergebnisse der Agenda 2010 waren wirtschaftliche Probleme, höhere Schulden, heftige Proteste und ein Anstieg der Arbeitslosigkeit auf Rekordniveau in Deutschland. Den Eurokrisenländern jetzt zu sagen, es klappt ja nicht, wäre genauso, als hätte man Anfang 2006 gesagt, die deutsche Erfolgsagenda 2010 sei völliger Unsinn.
Die Europäische Zentralbank hat Anfang Juni die Leitzinsen auf ein historisches Tief gesenkt. Gleichzeitig kündigte sie eine neue Geldspritze für die Banken an und pumpt damit noch mehr billiges Geld in den Markt. Wie sinnvoll und hilfreich ist es, das schwache Wachstum und die niedrige Inflation mit noch mehr Kredit zu bekämpfen?
Die EZB hat im Rahmen der Eurokrise die Liquidität nicht dauerhaft aufgebläht. Als die völlig verschreckten Banken in den Turbulenzen der Krise mehr Vorsichtskasse brauchten, hat die EZB ihnen diese Liquidität geliehen. Aber nahezu die gesamte Zusatzliquidität, die die EZB in der Krise von Juli 2011 bis Mitte 2012 in den Markt gepumpt hat, ist mittlerweile wieder zu ihr zurückgeflossen.
Die Reaktionen zum OMT-Programm
"Draghi hatte viel von den Ankündigungen schon vorweg genommen, deshalb geben die Märkte jetzt etwas nach. Deshalb sind seine Ankündigungen aber nicht als negativ zu werten. Mit einem Kursfeuerwerk war ja nicht unbedingt zu rechnen. Die erhofften Punkte hat Draghi alle ziemlich klar angesprochen.
Wenn die Regierungen der betroffenen Länder, wie zum Beispiel Spanien, das Angebot der EZB annehmen sollten und die Reformen unter den Rettungsschirmen einleitet, dann ist das ein koordiniertes Vorgehen, das zur Beruhigung der Märkte für längere Zeit geeignet ist. Jetzt hängt es von der Politik und nicht von der EZB ab, das Angebot anzunehmen.
Es wäre nicht gut gewesen, wenn die EZB Grenzen in Umfang oder Zinshöhen beim Anleihenkaufprogramm aufgezeigt hätte, denn dagegen wäre wieder spekuliert worden. Das Wort 'unbegrenzt' ist von der EZB als Zeichen der Stärke gewählt worden."
"Die EZB hat den großen Revolver zwar gefunden, aber es fehlt an Munition, um eine langfristig positive Auswirkung auf die Märkte zu tätigen. Obwohl heute nützliche Maßnahmen verabschiedet wurden, die sicherlich kurzfristig eine Erleichterung für die Peripheriestaaten bringen, hinkt die Kapazität der EZB und des europäischen Parlaments hinterher, um Spanien UND Italien aus der Klemme zu helfen. Ein Bail-Out von Spanien UND Italien sollte erst dann möglich sein, wenn die EZB und Deutschland erkennen, dass als effektives Instrument nur eine quantitative Lockerung im Stil der amerikanischen Notenbank in Frage kommt."
"Mit einer begrenzten Ankaufpolitik der EZB im Gegenzug zu stringent überwachten Reformen in den entsprechenden Staaten kann Zeit für dringend notwendige Wirtschaftsreformen gewonnen werden. Auf keinen Fall dürfen diese Maßnahmen der EZB aber dazu führen, dass eine bestehende Problemlage nur verlängert und die Rechnung, gerade für Deutschland, am Ende noch umfangreicher wird. Deshalb muss das Volumen der Aufkäufe begrenzt bleiben."
"Beim Ankaufprogramm für Staatsanleihen ist große Vorsicht angebracht. Interventionen verpuffen, wenn die nötigen Reformen in den Mitgliedsstaaten ausbleiben. Bislang zeigt sich die EZB aller Risiken bewusst und sollte ihrer vorsichtigen Linie treu bleiben. Das gilt auch für all die Rufe, die EZB solle mehr Fed und weniger Bundesbank sein. Die Krise hat gezeigt, dass die Finanzmärkte Reformbemühungen durchaus honorieren.
Für die Reformen und die Staatsfinanzierung sind vor allem die einzelnen Staaten selbst verantwortlich. Der Ruf nach der EZB ist verständlich - ihm vorschnell nachzugeben allerdings nicht. Die Politik ist gerade hier gefordert, den Druck auf die EZB durch Strukturreformen und Haushaltskonsolidierung in den Ländern zu mildern, damit diese wieder ihren eigentlichen Job machen kann: Die Geldwertstabilität sichern."
"Die EZB hat genau das beschlossen, was in den letzten Tagen vermehrt diskutiert und auch teilweise eingepreist wurde. Insofern ist der Beschluss der EZB keine echte Neuerung. Unmittelbare Inflationsgefahren werden durch die Sterilisierung des Anleihekaufprogramms (MOT) in Grenzen gehalten, dennoch besteht für die EZB im Vergleich zu Repo-Geschäften ein erhöhtes Ausfallrisiko."
"Die Entscheidung der EZB, den Leitzins unverändert zu lassen ist richtig. Sie hat durch die vergangene Zinssenkung bereits anerkannt, dass sie den konjunkturellen Einbruch im Euroraum zur Kenntnis genommen hat. Das Problem des Euroaums liegt aber derzeit nicht in der Höhe des Leitzinses, sondern im fehlenden Vertrauen in dessen Stabilität.
Dem kann die EZB nur mit dem angekündigten unbegrenzten Aufkaufprogramm für Staatsanleihen begegnen. Dies ist der entscheidende Schritt, der die Voraussetzungen für eine Überwindung der Krise schafft. Nur mit diesem Programm im Rücken werden die Märkte ihre Spekulation gegen den Euro aufgeben und es dank sinkender Risikoaufschläge den Staaten ermöglichen, ihre Schulden auf Dauer wieder aus eigener Kraft - also ohne die Hilfe eines Rettungsschirms - zu bedienen."
"Die Zentralbank ist nicht dazu da, Staatsfinanzierung zu betreiben. Anleihekäufe sind der falsche Weg, da sie dringend notwendige Sparbemühungen und Strukturänderungen in den öffentlichen Haushalten der hoch verschuldeten Länder unterlaufen und Anreize nehmen. Die Europäische Zentralbank darf nicht in die Rolle einer Ersatzregierung gedrängt werden."
"Die Entscheidung der EZB ist nicht überraschend. Sie kauft nun unbegrenzt Staatsanleihen von Krisenstaaten und nähert sich damit der monetären Staatsfinanzierung. Zudem akkumuliert sie mit den Käufen zusätzliche Bilanzrisiken. Da sie zusätzlich die Sicherheiten-Erfordernisse für ihre Liquiditätsoperationen weiter senkt, können die Ausfallrisiken im Prinzip unbegrenzt zunehmen. Selbst wenn das Bundesverfassungsgericht gegen den Rettungsschirm ESM entscheiden würde, ist eine klare Begrenzung der deutschen Haftungssumme in weite Ferne gerückt.
Indem die EZB ihre Käufe daran knüpft, dass die Staaten ein EU-Anpassungsprogramm durchlaufen, mischt sie sich deutlich in die Finanzpolitik ein. Umgekehrt wird der politische Druck groß sein, die Käufe lange beizubehalten. Wie strikt die von der EZB betonte Konditionalität tatsächlich ist, könnte sich demnächst am Fall Griechenlands entscheiden, wenn die Troika dort nicht nachhaltige Staatsfinanzen vorfinden und das Rettungsprogramm dennoch ausweiten sollte."
"Der Schritt ist getan. Jetzt muss die Politik liefern. Es fällt auf, dass sich die Märkte halten, obwohl das meiste erwartet worden war. Wenn wir dieses Niveau verteidigen können, wäre das ein positives Zeichen."
"Über die heute berichteten Maßnahmen bin ich zwar nicht sehr glücklich, aber sie waren kaum zu umgehen und sind letztendlich das Ergebnis der institutionellen Entwicklung im Euroraum. Würde die EZB nicht in den Markt eingreifen, könnten einzelne Länder weiter in die Abwärtsspirale gedrängt werden - bis hin zum Austritt. Insofern kann es nur ein Zusammenspiel geben zwischen Geldpolitik und Reformbemühungen, um ein solche Entwicklung zu verhindern. Es gibt derzeit genau zwei Optionen: Entweder wir finden den Weg zu einer teilweise Vergemeinschaftung der Schulden oder die bereits sichtbaren Zentrifugalkräfte in der Währungsunion verstärken sich weiter.
Die Märkte hatten die Ergebnisse weitgehend vorweg genommen, so dass auch für die kommenden Tage keine deutlicheren Marktreaktionen zu erwarten sind. Alle Augen sind nun auf das Bundesverfassungsgericht gerichtet. Hier erwarte ich keine negativen Überraschungen."
"Aufgeschoben ist nicht aufgehoben. Die Zinssenkung kommt in einer der nächsten Sitzungen. Die EZB hält ihr Pulver trocken. Sie wird später nachlegen.
"Die EZB hat alle wichtigen Zinssätze wie erwartet unverändert gelassen. Wir sind der Ansicht, dass eine konventionelle Lockerung der Geldpolitik keine angemessene Antwort auf die Probleme ist, denen der EZB-Rat derzeit gegenübersteht. Deutschland benötigt derzeit keine Zinssenkung - und Spanien würde eine Zinssenkung nicht retten."
Es gibt also keine Liquiditätsschwemme in der Eurozone?
Nein, derartige Behauptungen sind Unsinn. Während die Tagesschau über jede Liquiditätsspritze der EZB berichtet hat, wurde das anschließende Zurückfließen des Geldes zur EZB leider kaum jemals erwähnt. Seit Draghis-Worten vom Juli 2012, seit dem Nachlassen der Angst, geht die Zusatzliquidität im Bankensystem kräftig zurück.
Wenn Draghi mit seiner Geldpolitik alles richtig gemacht hat und sich die Eurokrisenländer nach ihrer Meinung auf einem guten Wachstumspfad befinden, warum muss die EZB noch einmal bis zu 700 Milliarden Euro in den Bankensektor pumpen?
Was die EZB jetzt im Juni 2014 angekündigt hat, ist im Wesentlichen, dass die Anfang 2015 auslaufenden Dreijahres-Tender ersetzt werden durch einen Zwei-Jahres-Tender, also durch Liquidität für zwei Jahre. Dabei haben die Banken die Option, diese Tender um bis zu zwei Jahre zu verlängern, wenn sie mehr Kredite an Unternehmen und Haushalte vergeben. Die neuen Maßnahmen ersetzen im Wesentlichen die auslaufenden Dreijahres-Tender. Zum größten Teil ist es also gar nicht frisches Geld. Allerdings halte ich den neuen Mehrjahres-Tender eigentlich nicht für nötig. Ein Jahrestender hätte wohl auch ausgereicht.
"Das eigentliche Problem ist die Unsicherheit im Bankensektor"
Was hat sich die EZB dann bei dieser Sondermaßnahme gedacht? Wo ist das Problem?
Entgegen all den deutschen Inflationsängste hat die EZB ihr Ziel für den Preisauftrieb erheblich verfehlt, aber nach unten. Da bietet es für sie an, noch einmal nachzulegen, damit der Preisauftrieb langsam wieder die gewünschte Rate erreichen kann. Eigentlich kam die Draghi-Rede ein Jahr zu spät. Draghi hatte lange auf die Bedenken der Deutschen Bundesbank gegen Maßnahmen wie den möglichen Kauf von Staatsanleihen gehört. Hätte Draghi die Panik bereits im Sommer 2011 statt im Sommer 2012 gestoppt, wäre unsere Wirtschaftsleistung heute höher und der Preisauftrieb näher am Ziel.
Erreicht die EZB mit dieser erneuten Geldspritze an die Banken ihr Ziel, die Kreditvergabe an Unternehmen anzukurbeln, die – so die Hoffnung der Notenbanker- die Wirtschaft in den Euroländern belebt?
Ich glaube nicht, dass diese neuen Refinanzierungsgeschäfte für die Banken die Vergabe von Krediten deutlich ankurbeln wird. Das eigentliche Problem in der Eurozone ist die Unsicherheit im Bankensektor. Zurzeit prüft ja die EZB die Bilanzen der Institute und führt einen Stresstest durch. Solange die Banken die Aufseher im Haus haben und nicht wissen, wie beurteilen die uns, auf was genau gucken die, solange sind die Banken nicht bereit, ins Risiko zu gehen und mehr Kredite an Unternehmen zu vergeben.
Erneut greift Draghi den schwächelnden Banken unter die Arme. Glauben Sie wirklich an eine Bereinigung des Bankensektors? Die Finanzinstitute müssen ja die billigen Kredite von der EZB gar nicht an Unternehmen weiterreichen. Sie können damit auch Staatsanleihen kaufen und mit der Rendite ihre Bilanzen aufpäppeln.
Die Banken werden nicht geschont. Sie werden einem harten Stress-Test unterworfen. Auch deshalb haben viele Banken schon ihre Bilanzen durch neues Kapital gestärkt. Allerdings kommt dieser Banken-Check tatsächlich ein Jahr zu spät. Hätte man das früher gemacht, ginge es der Eurozone insgesamt schon besser. Die Kreditklemme, die wir in Teilen der Eurozone haben, ist eine Folge der Unsicherheit bei den Banken, keine Folge der EZB-Geldpolitik. Deshalb sind auch die neuen Refinanzierungsgeschäfte, die die EZB den Banken nun anbietet, nicht entscheidend. Entscheidend ist tatsächlich die Bereinigung des Bankensektors.
Rechnen Sie damit, dass die EZB doch noch in großem Umfang Staatsanleihen kaufen wird?
Nein, das ist weder notwendig noch sinnvoll. Schwierig würde es allerdings, wenn der Preisauftrieb noch weiter zurückgeht und die EZB ihr Inflationsziel noch weiter verfehlt. Dann würde es zumindest eine Diskussion über einen Ankauf von Staatsanleihen wie anderswo geben. Aber danach sieht es derzeit nicht aus. Außerdem hat die EZB ja angekündigt, die Zinsen bis 2016 auf dem derzeitigen niedrigen Niveau zu lassen. Das ist angemessen. Ich kann nicht verstehen, wieso manche Ökonomen in Deutschland bereits heute höhere Leitzinsen fordern, obwohl der Preisauftrieb weit unter dem Ziel der EZB liegt und sich keinerlei Inflationsgefahren abzeichnen. Das widerspricht jeglicher volkswirtschaftlichen Logik und dem eindeutigen Mandat der EZB, der Preisstabilität Vorrang zu geben.