Dax-Sturz wegen Brexit "Im schlimmsten Fall herrscht den ganzen Sommer über Unsicherheit"

Der Aktienmarkt wird vom EU-Austritt der Briten überrumpelt. "Bis die Börse wieder eine Richtung findet, dürfte es dauern", sagt Ralf Zimmermann, der Chefstratege Aktien des Bankhaus Lampe, im Interview.

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Die Frankfurter Börse am Morgen des Brexits. Quelle: REUTERS

WirtschaftsWoche: Herr Zimmermann, nachdem die Briten mit 51,9 Prozent für einen Austritt aus der Europäischen Union gestimmt haben, brach der Dax heute Morgen vorbörslich um fast zehn Prozent ein; haben Sie mit einer so heftigen Reaktion gerechnet?

Ralf Zimmermann: Die Umfragen hatten ja zuletzt eher in Richtung eines knappen Sieges der EU-Befürworter gedeutet; viele Marktteilnehmer wollten den Sieg vorwegnehmen, haben auf eine Erleichterungsrally gesetzt und in den letzten zwei Tagen gekauft. Das war, wie sich jetzt zeigt, leichtsinnig, alles auf diese Karte zu setzen, die Reaktion der Börsen auf die negative Überraschung fällt entsprechend heftig aus. Für den Fall des Brexit habe ich mit einem kurzfristigen Rückgang in einer solchen Größenordnung gerechnet.

Wie geht es nun weiter?

Bis die Börse wieder eine Richtung findet, dürfte es dauern. Im schlimmsten Fall herrscht den ganzen Sommer über große Unsicherheit, denn es gibt keine historische Vorlage für so einen Vorgang, an der man sich orientieren könnte. Ich glaube aber nicht, dass der Markt nun ins Bodenlose kippt. Die Europäische Zentralbank wird mit hoher Wahrscheinlichkeit schnell eingreifen, die Märkte warten sekündlich auf ein Statement von Mario Draghi.

Zur Person

Was sollen Anleger jetzt tun ?

Man muss versuchen, nüchtern zu bleiben. Es ist trotz allem kein systemischer Schock, wie Lehman 2008, sondern in erster Linie ein politischer Schock. Der Handel zwischen der Insel und dem Kontinent wird irgendwie weiter gehen, Politiker werden jahrelang verhandeln. Aber es ist natürlich unter dem Strich ein großer Nachteil und fällt in eine Zeit ohnehin großer politischer Risiken wie die Wahlen in den USA und in Frankreich im kommenden Frühjahr. Es gibt weit mehr Verlierer als Gewinner, Scheidungen sind ja immer teuer. Der Dax kann in den nächsten Quartalen Richtung auf 8000 Punkte fallen, Banken dürften am meisten leiden.

"Wir müssen Europa entgiften"
Nach dem Brexit-Votum in Großbritannien muss Europa aus Sicht von SPD-Parteichef Sigmar Gabriel zur Überwindung der Vertrauenskrise sozialer und gerechter werden. Es gebe eine „massive Spaltung zwischen Gewinnern und Verlierern“ in der Europäischen Union, sagte der Vizekanzler am Samstag in Bonn zum Auftakt einer Reihe von SPD-Regionalkonferenzen. Ob sich die wirtschaftliche Lage in Deutschland in Zukunft weiter positiv entwickle, hänge entscheidend davon ab, ob Europa „stabil und kräftig“ bleibe. Gabriel betonte, Deutschland sei „Nettogewinner“ und nicht „Lastesel der Europäischen Union“, wie oft behauptet werde. Der Blick der Welt auf Europa werde sich ohne Großbritannien in der EU verändern. Rund 25 Millionen Menschen suchten in Europa Arbeit, darunter viele junge Leute - das sei „verheerend“, betonte Gabriel. „Da geht die Idee Europas verloren“ - und das erzeuge Wut und Verachtung. Der Zorn richte sich gegen das „Sparregime aus Brüssel“ und oft ebenfalls gegen Berlin. Klar sei daher, „dass wir Europa entgiften müssen“. Die EU sei von Anfang an auch als „Wohlstandsprojekt“ gedacht gewesen. Das gehöre dringend wieder stärker in den Fokus. Die EU-Schuldenländer brauchten mehr Freiraum für Investitionen in Wachstum, Arbeit und Bildung, forderte Gabriel. Quelle: dpa
EU-Parlamentspräsident Martin Schulz hat den britischen Premierminister scharf kritisiert. Auf die Frage, was er davon halte, dass David Cameron erst im Oktober zurücktreten will, warf Schulz dem Premier vor, er nehme aus parteitaktischen Überlegungen erneut einen ganzen Kontinent „in Geiselhaft“. dpa dokumentiert den Wortlaut: „Offen gestanden: Ich finde das skandalös. Zum wiederholten Male wird ein ganzer Kontinent in Geiselhaft genommen für die parteiinternen Überlegungen der konservativen Partei Großbritanniens. Er hat vor drei Jahren, als er in seiner Partei unter Druck stand, den Radikalen am rechten Rand der Tories gesagt: Ich gebe Euch ein Referendum, dafür wählt Ihr mich wieder. Das hat geklappt. Da wurde ein ganzer Kontinent verhaftet für seine parteiinternen taktischen Unternehmungen. Jetzt ist das Referendum gescheitert. Jetzt sagt der gleiche Premierminister, ja, Ihr müsst aber warten, bis wir (...) mit Euch verhandeln, bis der Parteitag der Konservativen im Oktober getagt hat. Dann trete ich zurück, dann gibt's einen neuen Parteichef, der wird dann Premierminister. Also ehrlich gesagt: Man kann einen Parteitag auch morgen früh einberufen, wenn man das will. Ich finde das schon ein starkes Stück, das der Herr Cameron mit uns spielt.“ Quelle: dpa
Obama, Brexit Quelle: AP
Putin, Brexit Quelle: REUTERS
Bundeskanzlerin Angela Merkel Quelle: REUTERS
Portugals Präsident Marcelo Rebelo de Sousa erklärt, dass der Ausgang des Referendums „uns alle nur traurig stimmen kann“. In einer vom Präsidialamt am Freitag in Lissabon veröffentlichten Erklärung betonte das 67 Jahre alte Staatsoberhaupt aber auch: „Das Europäische Projekt bleibt gültig.“ Allerdings sei es „offensichtlich“, so Rebelo de Sousa, dass „die Ideale (der EU) neu überdacht und verstärkt“ werden müssten. Quelle: dpa
EU-Parlamentspräsident Martin Schulz Quelle: dpa

Wie stark trifft es die Dax-Unternehmen?

Die Dax-Unternehmen machen etwa drei bis sechs Prozent ihres Umsatzes in UK. Unterstellt man, vereinfacht, das ist natürlich nur eine erste, grobe Schätzung, einen Nachfragerückgang um etwa zehn Prozent, sind unter dem Strich die direkten Auswirkungen für die Konzerne also überschaubar. Und das sind natürlich nur die unmittelbaren Folgen, wie schlimm es langfristig wird, hängt stark von den Reaktionen der Politik und der Zentralbanken ab. 

Gibt es innerhalb der Börse Segmente, die stabil bleiben und relativ wenig betroffen sind?

Ja, die gibt es. Zum einen sind das, naheliegenderweise, Nahrungsmittel- und Haushaltswaren-Aktien, mit stabilem Geschäft und relativ wenig UK-Umsatz. Zum anderen aber auch Werte, die von den nun wahrscheinlich anhaltenden Niedrigstzinsen stark profitieren, etwa deutsche Immobilienwerte.

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