Deutsche Börse Das Stühlerücken an den Börsen beginnt

Seit drei Jahren ist die Zusammensetzung des deutschen Leitindex unverändert. Doch jetzt steht ein Wechsel im Dax an. Lanxess und Lufthansa könnten rausfliegen, andere aufsteigen. Was wahrscheinlich ist und was nicht.

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Lanxess steht vor dem Abstieg in den MDax. Quelle: dpa

Fußball-Fans stellen sich jedes Jahr im Mai zwei Fragen: Wer steigt auf? Und wer steigt ab? Die Bayern sind längst Meister, doch wer im kommenden Jahr in der höchsten Liga mitmischen darf, entscheidet sich meist erst am letzten Spieltag. Auf- oder Abstieg entscheiden nicht nur über die sportliche Zukunft, sondern auch über Millionen.

Um deutlich höhere Beträge geht es an den Börsen. Auch hier sind Auf- und Abstiege möglich – wenn ein Unternehmen in einem Leitindex gelistet ist. Der alles entscheidende Tag ist allerdings nicht ein Samstagnachmittag im Mai, sondern in diesem Jahr der 3. September: Dann gibt die Deutsche Börse bekannt, wer künftig in den wichtigsten Parkett-Ligen spielt und wer nicht.

Dax-Aufnahme ist ein Ritterschlag

Die Aufnahme in einen der deutschen Auswahlindizes ist für Unternehmen von hoher Bedeutung. Renommee und mehr Aufmerksamkeit seitens der Investoren ist gewiss. Schließlich hat ein börsennotiertes Unternehmen, das in Dax, MDax, SDax oder TecDax aufsteigt, an der Börse eine vergleichsweise hohe Bewertung erreicht. Zudem ist gewährleistet, dass das Papier rege gehandelt wird und somit jederzeit problemlos zu kaufen oder verkaufen ist, ohne dass gleich der Kurs Kapriolen schlägt.


Dax-Anwärter und Rauswurfkandidaten


Durch den Ritterschlag einer Indexaufnahme nimmt der Handel weiter zu, denn Aktienfonds, die den Index nachbilden, müssen die Aktie ins Portfolio nehmen. Auch Fonds, die auf Dividendenaktien oder bestimmte Branchen setzen, bedienen sich gern bei Anteilsscheinen, die in den Auswahlindizes notieren. Außerdem legen Banken mehr Derivate wie etwa Put- oder Call-Optionen oder Zertifikate auf das Papier auf, die Anleger für die Absicherung ihrer Position sowie für schnelle Wetten auf steigende oder fallende Kurse nutzen können. Diese von der Aktie abgeleiteten Finanzprodukte sorgen am Ende ihrer Laufzeit ebenfalls für lebhaften Handel mit der fraglichen Aktie.

Besonders groß ist der Marketing-Effekt natürlich in der ersten Liga, dem Dax, der auch im Ausland große Aufmerksamkeit genießt. Gleiches gilt ja auch für die Spitzensegmente anderer Börsen, wie dem EuroStoxx50 für Europa, dem FTSE100 in London oder dem DowJones an der Wallstreet.

Kein Wunder also, dass Unternehmen und Börsianer gespannt auf die Entscheidung am 3. September warten. Denn erstmals seit langem deutet sich ein Wechsel an, wenn nicht sogar zwei. Ein Überblick.


Wer über den Ab- und Aufstieg entscheidet


So simpel wie die Dax-Rochade klingt, ist sie längst nicht. Um in den nächsthöheren Index aufgenommen zu werden – also etwa vom MDax in den Dax aufzusteigen –, müssen verschiedene Kriterien erfüllt sein. Zunächst müssen die in Frage kommenden Unternehmen ihren Hauptsitz oder den Schwerpunkt ihrer Geschäftstätigkeit in Deutschland haben.

Zudem ist ein gewisser Mindeststreubesitz notwendig, damit ausreichend Aktien frei handelbar sind, sich also nicht in festen Händen befinden. So musste etwa die VW-Stammaktie den Dax vor einigen Jahren verlassen, weil ihr Streubesitz unter zehn Prozent gesunken war. Letzten Endes betrachtet der Arbeitskreis Aktienindizes – ein Gremium aus Vertretern der Deutschen Börse und großer Banken – den Handelsumsatz einer Aktie, den sogenannten Orderbuchumsatz, während der vorangegangenen zwölf Monate. Gehört sie zu den 30 nach Volumen am stärksten gehandelten Aktien mit Handelsschwerpunkt an der Frankfurter Börse, spricht das für einen Aufstieg in den Dax. Der Arbeitskreis berücksichtigt aber zum Beispiel auch den Branchenmix im Dax.


Die Börsenschwergewichte in Familienhand
Platz 10: NikeDie Analysten der Schweizer Großbank Credit Suisse haben die Börsenbewertungen von mehr als 900 Familienunternehmen unter die Lupe genommen, bei denen mindestens 20 Prozent der Aktie in Familienbesitz sind und die an der Börse mit mehr als einer Milliarde Doller bewertet werden. Mit einem Börsenwert von 87 Milliarden Dollar schafft es Nike unter die Top Ten der Familienaktien. Die Gründung des weltweit führenden Sportartikelherstellers geht auf das Jahr 1964 zurück, seit 1971 firmiert das Unternehmen unter "Nike" in Anlehnung an die griechische Siegesgöttin. Gegründet hat das Unternehmen in Oregon von Bill Bowermann und Phil Knight. Letzterer hat erst im Juli 2015 seinen Rückzug vom Vorsitz des Verwaltungsrates angekündigt. Kommendes Jahr - mit dann 77 Jahren - gibt der Firmengründer das Zepter ab, will aber weiter eine aktive Rolle im Konzern spielen. Die Aktie stieg seit 2009 von 20 auf mittlerweile mehr als 110 Dollar. Quelle: Credit Suisse; Stand: Juli 2015 Quelle: REUTERS
Platz 9: Kinder MorganHierzulande weniger bekannt ist der Konzern Kinder Morgan, ein Ausrüster für die Ölförderindustrie. Richard Kinder gründete das Unternehmen 1997 aus dem abgespaltetenen Pipelinegeschäft des Skandalkonzerns Enron. Richard Kinder leitet das Unternehmen noch heute. An der Börse war Kinder Morgan zum Zeitpunkt der Untersuchung mit rund 90 Milliarden Dollar bewertet. Quelle: dpa
Platz 8: VWDer Volkswagenkonzern zählt zu den drei größten Automobilherstellern der Welt - und drängt weiter an die Spitze. Die Nachfahren von Ferdinand Porsche, der den ersten Volkswagen 1937 entwickelte, sind heute neben dem Bundesland Niedersachsen die größten Aktionäre der Volkswagen AG. Die Familien Porsche und Piëch beherrschen die Porsche SE, die ihrerseits mehr als die Hälfte der VW-Aktien besitzt. Ferdinand Piëch - Enkel von Ferdinand Porsche - war von 1993 bis 2002 Vorstandschef und anschließend bis 2015 Aufsichtsratsvorsitzender der Volkswagen AG. An der Börse wird der Autobauer mit knapp 120 Milliarden Dollar bewertet Quelle: dpa
Platz 7: SamsungDer südkoreanische Mischkonzern steht weit mehr als nur Mobiltelefone und Fernseher her, sondern ist auch in den Branchen Bau, Handel, Chemie, Versicherungen und vielem mehr aktiv. 1938 gründete Lee Byung-Chull das heute größte Unternehmen Südkoreas, beginnend mit einem Lebensmittelladen. Die Familie Lee ist noch heute Großaktionär des Konzerns, der an der Börse mit insgesamt 174 Milliarden Dollar bewertet wird. Quelle: dpa
Platz 6: OracleGründer des US-Soft- und Hardwareanbieters Oracle waren Lawrence J. (Larry) Ellison, Bod Miner und Ed Oates. Das Unternehmen wurde zunächst mit eigenen Datenbanklösungen, später vor allem durch spektakuläre Übernahmen groß und gilt heute als einer der größten IT-Konzerne weltweit. Larry Ellison ist nicht nur Großaktionär, sondern war auch noch bis 2014 Vorstandschef. Heute sitzt er im Verwaltungsrat des Unternehmens. Oracle war zum Zeitpunkt der Untersuchung an der Börse 191 Milliarden Dollar wert. Quelle: REUTERS
Anheuser-Busch InBev Quelle: Presse
Platz 4: FacebookFacebook-Gründer Mark Zuckerberg hält noch knapp ein Drittel der Aktien an dem sozialen Netzwerk mit mehr als 1,4 Milliarden Kunden weltweit. 2003 gegründet startete die Börsennotierung im Mai 2012. Nach deutlichen Kursverlusten im ersten Börsenjahr setzte die Aktie zum Höhenflug an und war Anfang Juli 2015 für eine Börsenbewertung von 225 Milliarden Dollar gut. Quelle: dpa


Hinzu kommt als Kriterium die Marktkapitalisierung der frei handelbaren Aktien am Stichtag, zuletzt war es der 31. August. Dazu multipliziert man den Kurs einer Aktie an diesem Stichtag mit der Zahl der in Streubesitz befindlichen Aktien. Zählt die so errechnete Börsenbewertung im Durchschnitt der vergangenen 20 Handelstage zu den 30 höchsten im elektronischen Xetra-Handel der Frankfurter Börse, spricht auch das klar für einen Aufstieg in den Dax.

Der Leitindex muss stabil sein

Um aufzusteigen, müssen aber bisherige Dax-Mitglieder weichen. Oftmals ist ein Austausch einfach durch den Verkauf oder die Fusion eines Unternehmens aus dem Index notwendig. Rutschen Aktien ansonsten aus den Top-40 bei Handelsvolumen und Marktkapitalisierung, ist ein Tausch wahrscheinlich. Dax-Werte, die nur kurzfristig einen Einbruch bei Handelsumsatz oder Marktkapitalisierung erleiden, müssen ihren sofortigen Rauswurf aber in der Regel noch nicht fürchten, erst wenn Bewertung und Handel auf Dauer niedrig bleiben, steht das an. Allerdings kennt die Börse auch Kriterien für einen schnellen Auf- und Abstieg bei ihren Auswahlindizes. Schnell aufsteigen kann, wer nach Handelsumsatz und Marktkapitalisierung zu den 25 Top-Werten gehört. Vom schnellen Abstieg ist bedroht, wer aus den Top-45 fällt. Die Überprüfung für den „Fast Entry“ und „Fast Exit“ findet alle drei Monate statt. Regulär wird die Indexzusammensetzung nur einmal jährlich am letzten Handelstag im August vorgenommen.

Letzten Endes empfiehlt der Arbeitskreis Aktienindizes einen Wechsel aber nicht nur aufgrund der Zahlen und schon gar nicht ohne Einbeziehung der langfristigen Perspektiven einer Aktie. Schließlich geht es auch um die Stabilität eines Auswahlindex, der ein häufiger Austausch der Dax-Werte eher zuwider läuft. Darin liegt auch einer der Gründe, warum etwa Lanxess oder die zeitweise arg gebeutelte Aktie von K+S nicht schon früher aus dem Dax geflogen sind. Die endgültige Entscheidung behält sich überdies immer die Deutsche Börse vor.


Der wahrscheinliche Wechsel: Lanxess gegen Annington


Drei Jahre lang blieb die Zusammensetzung des Dax unverändert. Das dürfte sich jetzt ändern: Experten sind sich einig, dass Deutschlands größter Wohnungskonzern Deutsche Annington das Chemieunternehmen Lanxess im deutschen Leitindex ersetzen wird. „Dieser Wechsel ist so gut wie gesetzt“, sagt ein Börsianer.

Sollte der Arbeitskreis der Deutschen Börse den erwarteten Wechsel tatsächlich beschließen, würde die Annington, die in Deutschland rund 350.000 Wohnungen besitzt, am 21. September in die erste Börsenliga aufsteigen.

Die Zahlen der Deutschen Annington waren zuletzt durchweg positiv: Im ersten Halbjahr verdoppelte sich des operative Ergebnis nach Zinsen und Steuern auf 264 Millionen Euro, die Mieteinnahmen dürften bis Ende 2015 auf rund 1,4 Milliarden Euro steigen. Das Wachstum erzielte Unternehmenschef Rolf Buch vor allem durch Übernahmen, doch jetzt müssen Gagfah (141.000 Wohnungen) und Süddeutsche Wohnen (Südewo, 19.800 Wohnungen) in die Annington integriert werden – eine schwierige Aufgabe für den Ex-Bertelsmann-Manager Buch.

Sollte die Deutsche Annington – oder Vonovia, wie das Unternehmen bald heißen wird – den Aufstieg schaffen, wäre es die erste Immobiliengesellschaft im Dax.

Des einen Freud, ist des anderen Leid: Steigt die Annington auf, muss ein anderer Konzern weichen. Auch der erste Abstiegskandidat steht so gut wie fest. Er heißt Lanxess.



Als der Dax zuletzt 2012 neu geordnet wurde, stieg der Chemiekonzern in den Leitindex auf. Doch jetzt rächen sich für die ehemalige Chemie-Sparte des Bayer-Konzerns Entscheidungen des Managements in der Vergangenheit: Der damalige Lanxess-Chef Axel Heitmann investierte nochmals in das Hauptprodukt Kautschuk, obwohl die Nachfrage weltweit bereits stark rückläufig war.

Abschreibungen, Neuausrichtung und Sparkurs unter dem neuen Chef Matthias Zachert ließen aber wichtige Kennzahlen schrumpfen: Der Umsatz lag 2014 noch bei acht Milliarden Euro, die Marktkapitalisierung bei vier Milliarden Euro. Das könnte zu wenig für den Dax sein: Die Deutsche Annington ist derzeit an der Börse über 13,5 Milliarden Euro wert.


Der unwahrscheinliche Wechsel: Lufthansa gegen ProSiebenSat.1


Lange Zeit sah der Medienkonzern ProSiebenSat.1 wie der sichere Dax-Aufsteiger aus. Doch die Deutsche Annington sei durch die Kapitalerhöhung im Zuge der Übernahmen von Gagfah und Südewo an ProSiebenSat.1 vorbeigezogen, schreibt LBBW-Analyst Uwe Streich in einer Studie. „Bis dahin war das Medienunternehmen unangefochtener Dax-Favorit“, so Streich.

In Zahlen ausgedrückt: Die Marktkapitalisierung von ProSiebenSat.1 liegt mit 9,45 Milliarden Euro deutlich unter der der Deutschen Annington. Als Kandidat Nummer zwei wäre der Dax-Aufstieg für das Medienunternehmen also nur möglich, wenn es neben Lanxess noch einen zweiten Absteiger gäbe. Und das könnte laut Daniel Kukalj von der Oddo Seydler Bank ein Dax-Urgestein sein: die Lufthansa.

Kurswechsel der Lufthansa

Überholt die Deutsche Annington beim Börsenumsatz nicht nur Lanxess, sondern auch die Lufthansa, könnte ProSiebenSat.1 doch noch zum Zug kommen. Mit einem Börsenwert von 5,1 Milliarden Euro liegt die Lufthansa weit hinter den beiden Aufstiegs-Kandidaten. Wegen der höheren Marktkapitalisierung und den besseren Langfrist-Perspektiven hält Kukalj den Medienkonzern ohnehin für das potenziell bessere Dax-Mitglied als die Kranich-Linie.



Das Luftfahrt-Unternehmen hat in den vergangen Jahren an Strahlkraft verloren. Ein harter Preiskampf in der Branche und hohe Betriebskosten hatten den Gewinn zuletzt deutlich schrumpfen lassen. Für das Jahr 2014 strich der Konzern seinen Aktionären sogar die Dividende.

Allerdings hat Carsten Spohr, gerade ein gutes Jahr als Lufthansa-Chef im Amt, zuletzt einige entscheidende Weichen für eine erfolgreichere Zukunft des Unternehmens gestellt. Eine neue Staffelung der Economy-Tarife soll neue Kunden bringen und helfen, die Flieger zum möglichsten besten Preis je Sitzplatz vollzubekommen.



Zudem versucht Lufthansa Kosten zu reduzieren und legt sich dafür nicht nur mit der eigenen Belegschaft an. Ab dem 1. September erhebt das Unternehmen eine Extragebühr auf Tickets, die nicht über das hausinterne Buchungssystem sondern über Anbieter wie Amadeus und Sabre gebucht werden. Dass soll dem Konzern jährlich Millionen bringen und zudem dabei helfen, das eigene Angebot besser zu vermarkten. Gehen die Pläne auf, könnten die Zahlen schon bald wieder besser aussehen.

Doch selbst wenn die Deutsche Annington noch an der Lufthansa vorbeizieht, hält LBBW-Analyst Streich den Lufthansa-Abstieg für unwahrscheinlich, da beim Dax nicht ein Stichtag, sondern der Durchschnittskurs der letzten 20 Börsentage zählt – und da wird die Airline die Nase vorn behalten.

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