Es ist nicht lange her, da mussten die fränkische Industriedynastin Maria-Elisabeth Schaeffler-Thumann und ihr Sohn Georg jeden Euro einzeln umdrehen. Man hatte 2008 versucht, den ungleich größeren Autozulieferer Continental zu übernehmen, kamen wegen der Finanzkrise an die Grenze ihrer finanziellen Kräfte. Es folgte ein Beinahe-Zusammenbruch des Unternehmens, die Matriarchin selbst stand am Ende der wenig würdigen Unternehmung gerührt vor der Belegschaft. Wie sich die Zeiten geändert haben: Im abgelaufenen Geschäftsjahr liefen die Geschäfte so gut, dass Mutter und Sohn mehr einstrichen als jeder andere Unternehmerclan in Deutschland. 549 Millionen Dividende gönnten sie sich aus ihren Anteilen an Continental und Schaeffler, 240 Millionen Euro mehr als im Vorjahr. Geld, das hochwillkommen ist. Schließlich drücken das Duo noch immer gut sechs Milliarden Euro Schulden aus jenen unschönen vergangenen Zeiten.
Andere aus Deutschlands Unternehmergeldadel können ihre Verdienste aus dem vergangenen Jahr dagegen fröhlicher verplanen – und das auch noch sehr großzügig. Denn, der deutschen Superkonjunktur sei Dank, die Ausschüttungen kletterten in Deutschland auf Rekordhoch. Laut der aktuellen Dividendenstudie des Anlegerschutzbundes DSW erreichten die Zuwendungen der 616 wichtigsten in Deutschland börsennotierten Unternehmen die Rekordsumme von 41,7 Milliarden Euro, ein Plus von gut 13 Prozent. Die Top 50 unter Deutschlands Dividendenkönigen schafften gar ein Plus von 20 Prozent, wie die sechste Dividendenhitliste der WirtschaftsWoche zeigt.
Wer 2015 die höchsten Ausschüttungen einstrich
Rang (2013): 10 (12)
Empfänger: Familie Henkel
Unternehmen/Branche: Henkel (Konsum)
Summe: 204 Mio. Euro
Rang (2013): 09 (11)
Empfänger: Heinz H. Thiele
Unternehmen/Branche: Vossloh (Verkehr), Knorr-Bremse (Autozulieferer)
Summe: 239 Mio. Euro
Rang (2013): 08 (-)
Empfänger: Brüder Samwer
Unternehmen/Branche: Rocket Internet (Onlinehandel)
Summe: 287 Mio. Euro
Rang (2013): 07 (4)
Empfänger: Familie Merck
Unternehmen/Branche: Merck Darmstadt (Pharma)
Summe: 305 Mio. Euro
Rang (2013): 06 (1)
Empfänger: Familien Piëch/Porsche
Unternehmen/Branche: VW (Auto)
Summe: 340 Mio. Euro
Rang (2013): 05 (9)
Empfänger: Familie Reimann
Unternehmen/Branche: u.a. Reckitt Benckiser (Konsum), Coty (Kosmetik), Jimmy Choo (Schuhe)
Summe: 350 Mio. Euro
Rang (2013): 04 (8)
Empfänger: Susanne Klatten
Unternehmen/Branche: u. a. BMW (Auto), Altana (Chemie)
Summe: 420 Mio. Euro
Rang (2013): 03 (3)
Empfänger: Klaus-Michael Kühne
Unternehmen/Branche: Kühne + Nagel, Hapag-Lloyd (Logistik)
Summe: 429 Mio. Euro
Rang (2013): 02 (5)
Empfänger: Stefan Quandt
Unternehmen/Branche: BMW (Auto), Gemalto (IT), Heel (Pharma)
Summe: 449 Mio. Euro
Rang (2013): 01 (2)
Empfänger: Familie Schaeffler
Unternehmen/Branche: Continental, Schaeffler (Autozulieferer)
Summe: 549 Mio. Euro
Für die Rangliste hat die WirtschaftsWoche bereits zum sechsten Mal die Beteiligungen von knapp 100 Investoren nebst Familien durchforstet. Dazu wurden Jahresabschlüsse, Pflichtveröffentlichungen im Bundesanzeiger oder der Bankaufsicht BaFin gesichtet. Am Ende ergänzten Schätzungen aufgrund von Unternehmensangaben oder sowie Auskunfteien wie Creditreform die Liste. Ganz vollständig ist sie nicht. Denn deutsche Unternehmer müssen weder Vermögen noch Zuflüsse offenlegen. Also investieren sie gern anonym über Fonds oder schalten Stiftungen sowie Family Office genannte Investmentgesellschaften zwischen Konto und Investment.
Brutto-Schätzungen nach veröffentlichten Stimmrechten und Stiftungsanteilen, teilweise umgerechnet;
Quelle: Unternehmen, Bundesanzeiger, BaFin, Bloomberg, Creditreform, DSW, Hoppenstedt, eigene Berechnungen
Hinter den Schaefflers landete eine weitere PS-Familie: die Quandts mit ihren Aktien des Autobauers BMW. Stefan Quandt und seine Schwester Susanne Klatten dürften jeweils deutlich mehr als 400 Millionen Euro kassiert haben. Beide verbuchten neben der bajuwarischen Bescherung auch Ausschüttungen weniger prominenter Beteiligungen vom Chemiekonzern Altana bis zum Bioarzneihersteller Heel. Doch am Ende blieb der Vorjahresdritte, Containerkönig Klaus-Michael Kühne, auf dem Treppchen, weil er mit 430 Millionen Euro vom Logistikkonzern Kühne + Nagel ein Ausschüttungs-Allzeithoch genoss.
Und was machen Deutschlands Superverdiener mit dem Geld? Sie verwenden es, das sei vorweg genommen, typisch deutsch.
Großer Reichtum, kleine Sprünge
Alexander Otto, Nachkomme des gleichnamigen Hamburger Versandhausadels, etwa gab mal Einblick in seine sehr überschaubare Anspruchshaltung. Um ihn zum glücklichsten Menschen der Welt zu machen, genüge bisweilen schon eine Portion Spinat mit Fischstäbchen, verzehrt im Kreis der Lieben, plauderte Otto. Einzig der Ökoaufschlag („Wir lieben Biokost“) geht ein wenig ins Geld. Ansonsten aber, sagt Otto: „Wir haben keinen extravaganten Lebensstil, keine Flugzeuge und Boote.“
Trotz wachsender Einnahmen leistet sich fast keiner der Superaktionäre oder deutschen Weltmarktführer einen Lebensstil nach internationalen Jetset-Standards wie Larry Ellison, Hauptaktionär des Softwarekonzerns Oracle, mit Superyachten oder Luxusimmobilien inklusive der Insel Lanai im US-Staat Hawaii oder der saudische Investor Alwaleed Al Saud, den in seinem Haus in Riad ein eigener Zoo erfreut.
Am ehesten dem Image eines klassischen Milliardärs mit teuren Hobbys entsprechen da hierzulande noch die SAP-Gründer Dietmar Hopp und Hasso Plattner sowie Logistiker Kühne (Rang 24, 17 und 4 der Dividendenliste). Den größten Batzen mit geschätzten 350 Millionen Euro steckte Hopp in den Fußballclub 1899 Hoffenheim. Mit den je nach Rechnung bis zu sieben SAP-Jahresdividenden gab der 75-Jährige die Vorlage für einen Aufstieg aus den Tiefen der badischen Amateurklassen in die Bundesliga. Gründerkollege Plattner finanziert ähnlich großzügig das erfolgreiche kalifornische Eishockeyteam San Jose Sharks und vor allem seine Segelabenteuer.
„Bei Geldausgaben ohne Wertschöpfung tue ich mich schwer“, fasst zwar Speditionskönig Kühne sein Credo zusammen – was ihn aber dann nicht davon abhält, den sportlich lange Zeit eher fragwürdigen Fußballbundesligisten Hamburger SV zu finanzieren. 7,5 Prozent der Anteile erwarb Kühne, schob dem Vernehmen nach einen spürbar zweistelligen Millionenbetrag hinterher und erwarb in diesem Jahr noch für 16 Millionen die nun wieder nostalgisch Volksparkstadion genannte Spielstätte. „Der HSV ist meine Jugendliebe. Da erwarte ich nicht, dass ich damit irgendwann mal Geld verdiene“, sagt er.
Fast ebenso kostspielig sind bei Kühne und Plattner die Ausflüge in die Hotellerie. Letzterer besitzt Top-Golfresorts in Südafrika und Kalifornien. Kühne will nach einem Hotel auf Mallorca nun für 120 Millionen Euro das Suitenhotel The Fontenay an der Hamburger Außenalster bauen. „Wir wollen zu den edelsten und besten Hotels in Deutschland gehören“, schwärmt Kühne abseits hanseatischer Zurückhaltung von seinem Projekt. „Gastronomie, Service, die Suiten – alles muss perfekt sein.“
Alles für die Firma
Kräftig unter ihren Verhältnissen lebt indes die extrem öffentlichkeitsscheue Milliardärsfamilie Reimann. Deren Imperium JAB Holding hat im vergangenen Jahr laut Geschäftsbericht zwar gut 2,8 Milliarden Euro Gewinn eingestrichen. Doch die vier Familienmitglieder und ihre zehn Kinder gönnen sich davon – abgesehen von einer deutlich neunstelligen Zuwendung im vergangenen Jahr – zusammen nur einen zweistelligen Millionenbetrag. „Und was sie rausholen, investieren sie weitgehend in ihre Stiftungen“, sagt ihr oberster Vermögensverwalter Peter Harf.
Auch das Gros der Mittelständler in der WirtschaftsWoche-Rangliste mehrt mit seinen Millionen vor allem das betriebliche Vermögen. Schraubenkönig Würth etwa schickte dem Vernehmen nach rund die Hälfte seiner geschätzten 86 Millionen Euro Ausschüttung zurück in die Firma. 2013 flossen von der 217-Millionen-Euro-Rekordauszahlung sogar mehr als 150 Millionen zurück zur Bilanzstärkung seines Imperiums im baden-württembergischen Künzelsau.
Die wichtigsten Marken des Reimann-Reiches
Carte Noire, Douwe Egberts, Jacobs, Senseo, Tassimo,
Kaffeehausketten in USA: Peet’s, Caribou
Jimmy Choo, Bally, Belstaff und Zagliani
Gastronomie: Einstein Noah (US-Bagel-Kette)
Coty mit Parfüms (Calvin Klein, Cloé, Davidoff, Marc Jacobs, Joop, Adidas, Playboy, Promizeug wie Beyoncé, David Beckham, Jennifer Lopez…), Kosmetik (Astor, Manhattan, Rimmel), Pflege (Lancaster, Adidas, Philosophy)
Putzen und mehr: Calgon, Kukident, Clearasil, Hoffmann Gardinenpflege, Durex Kondome, Medizin (Nurofen, Dobendan), Fusspflege (Scholl),
Die Familie Leibinger, Eigentümer des Werkzeugmaschinenbauers Trumpf aus dem schwäbischen Ditzingen, belässt laut Insidern sogar fast den kompletten Gewinn in der Firma. Was die Unternehmen am Ende ausschütten, soll vor allem den Eigentümern die Steuer auf die Kapitalerträge erstatten.
Das ist nicht komplett selbstlos. Denn die meisten Anteilseigner schicken ihre rentablen Retouren nicht einfach an die große Firmenkasse, sondern auf ein besonderes Gesellschafterkonto. Davon holt sich das Unternehmen dann bei Bedarf Geld für Investitionen und zahlt den Eigentümern auf den Betrag Zinsen von derzeit bis zu drei Prozent. Das hilft beiden Seiten. Die Firmen bekommen Kredite ohne lange Rückfragen und mindestens so günstig wie von der Bank. Den Eigentümern winken mit einem kalkulierbaren Risiko stabile Zinsen weit oberhalb einer Bundesanleihe.
Nicht immer ist der sparsamere Lebensstil ganz freiwillig. Weil sich bei der Düsseldorfer Haniel-Sippe rund 600 Mitglieder die eigentlich üppigen 40 Millionen teilen, bleiben für jeden im Schnitt wenig aufregende 66.666 Euro, immerhin nach Steuern.
Es gibt nichts Gutes, außer man tut es
Wer etwas auf sich hält, steckt einen Teil seiner Millionen in die schönen und guten Dinge des Lebens. Die ehemalige Kaffee- und heutige Kakaosippe Jacobs etwa finanziert mit den Dividenden aus dem Schokoimperium Barry Callebaut eine eigene Universität in der Heimatstadt Bremen. Die läuft zwar nicht richtig rund, sorgt aber für einen Ruf von Welt. Für kleinere Ansprüche tun es auch eigene Forschungsinstitute wie das von SAP-Miteigentümer Plattner an der Universität Potsdam oder dem nach ihm benannten Designzweig an der kalifornischen Stanford-Universität im Silicon Valley, für die Plattner immerhin 35 Millionen Dollar spendierte.
Wer seine Wohltätigkeit so diskret mag wie seine Einkommensübersicht, wählt eine Stiftung wie die Pharmasippe Boehringer, Sehhilfestar Günther Fielmann oder die Metro-Miteigner Schmidt-Ruthenbeck mit ihrer Mercator Stiftung zur Förderung von Toleranz und Wissensaustausch.
Dabei mussten mehrere Wohltäter erfahren, dass es – frei nach der Investorenlegende Warren Buffett – leichter ist, viel Geld zu verdienen, als es effektiv zu nutzen. So brauchte die Witwe des Tchibo-Erben Joachim Herz laut Presseberichten trotz anwaltlicher Beratung offenbar ein gutes Jahr, bis sie das erste Geld gemäß dem Stiftungszweck in die Förderung des deutschen Bildungswesens stecken konnte. Und Friedrich-Wilhelm Werner hätte sogar fast aufgegeben, die Millionenzuwendungen aus der seiner nach seiner Ehefrau benannten Modeschmuckkette Bijou Brigitte für Wohltaten nutzen zu wollen. Denn die von der Stiftungsaufsicht vorgeschriebenen sicheren Wertpapiere warfen nach der Finanzkrise so wenig ab, dass nach Abzug der Verwaltungskosten kaum etwas übrig blieb.
Wer sich das ersparen will, für den hat die Putzmitteldynastie Reimann eine blitzsaubere Lösung. „Wir nennen es nicht Wohltätigkeit, sondern Social Business, weil wir wie ein Unternehmen mit unseren Mitteln größtmöglichen Erfolg haben wollen“, sagt Christoph Glaser, Chef der Benckiser Stiftung Zukunft. Das Prinzip: So wie die Reimanns die Schlagkraft ihrer JAB Holding durch andere Investoren wie Warren Buffett vergrößern, koppelt die Benckiser Stiftung Familiengelder mit Mitteln der öffentlichen Hand und anderen Wohltätern und erhöht so die Schlagkraft ihrer Arbeit wie beim Mentorenprogramm „Balu und Du“, das benachteiligten Kindern und Jugendlichen zu Berufsabschlüssen verhilft. Gleichzeitig berät Glasers Team andere Stiftungen. Erstes Aushängeschild ist die Manuel Neuer Kids Foundation des Torhüters von Fußballrekordmeister Bayern München, weil er, so vermutet Glaser, „auch mit seiner Stiftung in der Champions League spielen will“. Und das wollen sicher auch alle anderen deutschen Dividendenkönige.