Elsässers Auslese

Chinas Börse - Verunsicherung aus den falschen Gründen

Markus Elsässer Value Investor

Schwächere Wachstumsraten in China rufen die Pessimisten auf den Plan, die Börsen fallen weltweit. Wird China richtig interpretiert? Genaue Kenntnisse der Geschäftsmentalität sind dafür erforderlich. Eine Kolumne.

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Ein Mann und eine Börsendarstellung Quelle: AP

Geldanleger in Europa haben es zur Zeit schwer. Schon immer bekamen die europäischen Börsianer einen Schnupfen, wenn die Wall Street nur leicht hüstelte. Doch nun dröhnt es aus China. Wenn die Börsenkurse dort purzeln, löst es hierzulande Finanz-Erdbeben aus. Verluste auf dem Parkett in Shanghai führen dazu, dass europäische Investoren ihre Anlagestrategien über den Haufen werfen. Die Überlegung ist einfach: Wenn es im großen China rutscht, dann wird das bei uns ja wohl auch bald so sein.

Aus meiner Sicht beruhen die Reaktionen der westlichen Finanzmärkte auf einer Fehlinterpretation. Wir haben es bei diesem Phänomen mit zwei möglichen Sachverhalten zu tun. Entweder sind die Finanzerschütterungen und Sorgen das Ergebnis einer gezielte Medienkampagne oder sie basieren auf Unkenntnis der wahren chinesischen Verhältnisse und Zustände.

Zur Person

Historisch und kulturell gesehen ist der Anteil der talentierten und erfolgreichen Geschäftsleute unter den Chinesen immer schon sehr hoch gewesen. Chinesische Auswanderer sind in ganz Südostasien im Geschäftsleben in ihren neuen Heimatländern seit Jahrhunderten tonangebend. Eine besondere Stärke der Chinesen liegt in ihrem Familien- und Clan-Denken. Unternehmer investieren innerhalb der Familie. Finanziert wird - wenn es irgend geht - innerhalb des weiten Familienverbunds. Diese privaten Finanzierungsverbindungen bestehen teils über Landesgrenzen hinweg und über Generationen. Sie sind unsichtbar. Ein chinesischer Großonkel, der sich beispielsweise vor vier Generationen in Bangkok niedergelassen hat, verdankte seinen Aufstieg damals der Finanzhilfe eines Familienzweigs in Manila. Sie investierten ihre Ersparnisse ins Bangkok-Venture. Nun, vier Generationen später hat ein Neffe des alten „Manila-Zweigs“ in Kuala Lumpur die Chance, eine Firma zu übernehmen. Und wie durch ein Wunder bringt er die Finanzierung zusammen. Keiner weiß, wie ihm das gelungen ist. Die Kraft und Macht dieser geheimen „Du schuldest mir“ Bilanz-Bücher ist ein strategischer, unschätzbarer Vorteil der chinesischen Unternehmer.

Das familienbezogene und praktizierte Finanzdenken hat seinen Ursprung im tief verwurzelten Misstrauen der Chinesen in das Bankensystem, in das Papiergeld und in die Börse. Meine Familie hat seit drei Generationen Asienerfahrung vor Ort. Ende der sechziger Jahre bin ich selbst in Hong Kong aufgewachsen. Ich erinnere mich noch genau: Immer wieder hat es Panik und Hyperspekulation gegeben. Die Gefahr eines Bank-Runs war allgegenwärtig. Schon damals war für jedermann offensichtlich: Auf der einen Seite gibt es das solide Geschäftsgebaren im privat-unternehmerischen Umfeld, auf der anderen Seite die Spielleidenschaft an den Geld- und Aktienmärkten, Pferderennplätzen und in den Casinos. Letzterer Hang zur Spekulation und zum Hoch-Risiko außerhalb des Unternehmerischen ist kein Auswuchs der Unterschicht oder gar einer kleinen Gruppe eher krankhaft veranlagter Drop-Outs. Nein, der fanatische Umgang mit Geld und Geldgewinnen hat seine Ursprünge in der Geschichte der chinesischen Kultur.

Von der fatalen Neigung zum finanz-selbstmörderischen Spielverhalten der chinesischen Oberschicht berichtet schon der Bremer Kaufmann Eduard Grösser aus der Zeit vor dem ersten Weltkrieg. „Es konnte passieren, dass ein großer Mandarin beim Ma-Yong Spiel ein Vermögen verlor. Solche Verluste und auch sonstige Ehrenschulden konnten immer nur ausgeglichen werden, wenn man in irgendeiner Form Aufträge an die Barbaren erteilte. Die Chinesen sind ja geborene Spieler, die nächtelang Ma-Yong spielen und ohne mit der Wimper zu zucken Hab und Gut aufs Spiel setzen.“ Nicht umsonst hat heute Macao in nur wenigen Jahren Las Vegas als die Nummer eins im Casino-Business abgelöst. Auf der Pferderennbahn in Hong Kong wird an einem Wochenende mehr an Wettumsatz generiert als im ganzen Jahr auf sämtlichen Rennplätzen in Deutschland.

Spekulation statt langfristigen Sparens

Die Aktienbörsen in China sind kein Platz für die ruhige Bewertung von Vermögen und Firmen. Die Masse der Geldanleger sind auch keine langfristig orientierten Sparer oder Investoren. Es geht rein um die spekulative Möglichkeit, in kurzer Zeit ohne Arbeit viel zu verdienen. Hier treffen sich die großen Aktionäre als Drahtzieher mit Insider-Interessen sowie das Heer von Millionen von Zockern. Die Aktienspekulation ersetzt in diesen Kreisen das Sparbuch.

Aus der uralten Spielernatur breiter Bevölkerungskreise resultiert auch das psychologische Panikverhalten. Je grösser die Ängste und die Unruhe werden, umso mehr wird erst recht verkauft, koste es, was es wolle. Bei den Chinesen ist der Totalverlust oder der Privatbankrott ein ganz normaler Teil einer Familiengeschichte.

Die fünf großen Gefahren für Chinas Wirtschaftswachstum

Von daher haben extreme Kursstürze, beispielsweise an der Aktienbörse von Shanghai, einen völlig anderen Hintergrund als Kursveränderungen an der Züricher Börse. Diese Haltung zum drastischen, prozyklischen Investmentverhalten gilt übrigens auch für Immobilienbesitzer. Ein älterer Verwandter von mir erzählt, wie ihm von seinem Vermieter gleich zweimal in 15 Jahren das Hochhaus, in dem er wohnte (auf Victoria Island in Bestlage von Hong Kong) zum Spottpreis händeringend zum Kauf angeboten wurde. Der Hintergrund der Panik: In den 70er Jahren kam es immer wieder zu politischen Unruhen in Hong Kong und die Oberschicht hatte Angst, dass die Kommunisten Hong Kong einnehmen würden. Die Geschichte hat ja gezeigt, dass es für den besonnenen Investor kaum eine bessere Geldanlage als erstklassige Hong-Kong-Immobilien gab.

Auch die Sorge vor einer Verlangsamung des Wachstums der chinesischen Wirtschaft ist unbegründet. Natürlich werden die jährlichen Prozent-Zuwachsraten sinken. Es ist ja sonnenklar, dass ein Land in seiner Entwicklung vom Emerging-Market-Status hin zu einer etablierten Wirtschaftsnation eine Verlangsamung seiner Wachstumsraten haben wird. Solange man von einer supertiefen Ausgangsbasis startet, ist das Wachstum in Prozent ja beeindruckend. Im Lauf des Aufbaus der Infrastruktur und des Wohlstands flacht die Rate nach und nach ab. So wird selbstverständlich die chinesische Wirtschaft eines Tages ein jährliches Wachstum von ein bis zwei Prozent aufweisen. Und das ist eine ganz normale Entwicklung.

Der Ausblick ist und bleibt positiv. Mit 1,4 Milliarden Menschen, die als Nation wie kaum eine andere dem materialistischen westlich geprägten Konsum- und Luxusmodell zusprechen, wächst in China eine gigantisch große Mittelschicht heran. Für die Unternehmen, welche ihr Geschäft kurzfristig nicht über-expandieren, sondern sich langfristig und auf einer soliden Basis darauf einstellen, eine interessante unternehmerische Perspektive.

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