Wahrscheinlich fragen Sie sich jetzt, warum ich erst deutsche Aktien eher bearish kommentiere, um dann gleich bullish auf chinesische umzuschwenken. Erste Antwort: Der chinesische Megatrend wird mit der neuen Parteispitze von nun an in höhere Dimensionen vorstoßen. Zweite Antwort: Deutsche Konzerne werden nicht mehr im selben Ausmaß wie während der vergangenen Jahre von Chinas Wachstum profitieren, weil die Chinesen große Teile des Geschäfts mit Autos, Maschinen, Elektro- und Chemieprodukten an sich gerissen haben. Die dritte Antwort ist eher persönlich: Nachdem ich das Buch „Spielball Erde“ des Duos Claus Kleber und Cleo Paskal mit vielen spannenden Passagen zum Thema China geradezu verschlungen habe, bin ich in dieser Woche einem alten Freund begegnet, der nach vielfachem China-Aufenthalt sehr viel Positives über das Riesenreich zu berichten wusste.
Weder Cleber/Pascal noch mein alter Freund beschreiben China kritiklos, eher im Gegenteil: Geostrategie, Ausbeutung von Ressourcen in anderen Ländern, Umweltschutz, Tibet und Menschenrechte – um nur einige Probleme zu nennen – sind ihnen so manche Kritik wert. Doch deshalb China gleich ganz ignorieren und auf chinesische Aktien verzichten? Dann könnte man ebenso eine Debatte über deutsche Atomkraftwerke, Banken oder Chemiekonzerne und deren Lobby vom Zaun brechen. Der Effekt wäre in beiden Fällen derselbe: viel Kontra, aber keine realistischen Alternativen.
Chancen und Risiken verteilen
Nun stellt sich noch die Frage, warum überhaupt mit Aktien aus fernen Ländern und speziell aus China liebäugeln, wenn deutsche Aktien doch gar nicht so schlecht sind. Zunächst liegt die folgende Antwort nahe: Weil das Wirtschaftswachstum in Schwellenländern, die es bei Bedarf fördern und deren Bevölkerung noch nicht über zwei Autos und vier Smartphones pro Familie verfügt, stärker ist als in den etablierten Industrieländern. Aber auch die Verteilung von Chancen und Risiken sollte ein Motiv für Anleger sein, in die Ferne zu schweifen. Und schließlich: Rechtzeitig vorweggenommene Megatrends wie die kommende Entwicklung in China rauben Anlegern weniger den Schlaf als das zyklische Auf und Ab traditioneller Börsen.
Um nochmals auf den Ausgangspunkt zurückzukommen: Wer die letzten zehn Prozent beim Dax wegen zu früher Aktienverkäufe verpasst, aber rechtzeitig chinesische Aktien kauft, dürfte auf Sicht von zwei bis drei Jahren besser abschneiden als Anleger, die sich weiter ganz auf deutsche Aktien konzentrieren. Denken Sie an den doppelten Boden, den der Shanghai-Index gebildet hat; er ist ein Kaufsignal. Kaufen Sie jedoch chinesische Aktien, die der Hang Seng-Index enthält, jeweils zum Tageskurs limitiert in Frankfurt, und verteilen Sie Ihre Käufe über mehrere Wochen; das gleicht Chancen und Risiken zusätzlich aus.