Hans Cornehl "Das Lottogeschäft geht ins Internet"

Aktuell laufen nur fünf Prozent der Lotterien weltweit online. Deutschland büßt wegen unklarer Regeln Steuern ein, erklärt der Chef von Tipp24, Hans Cornehl, im Interview mit unserer Redaktion.

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Hans Cornehl, 47, ist promovierter Chemiker und führt seit 2010 den Vorstand des Wettanbieters Tipp24 SE. Das SDax-Unternehmen bietet über britische Wettlizenzen Glücksspiel im Internet an. Cornehl arbeitete zuvor beim Wagniskapitalgeber Earlybird und bei McKinsey. Quelle: Presse

WirtschaftsWoche: Herr Cornehl, Sie liegen im Clinch mit staatlichen Lottoanbietern. In den vergangenen zwei Wochen hat die Tipp24-Aktie rund 40 Prozent verloren, weil Gerüchte aufkamen, der Gesetzgeber wolle Banken den Geldtransfer deutscher Wettkunden an ausländische Internet-Wettanbieter verbieten. Was steckt dahinter?

Hans Cornehl: Die Idee steht seit 2008 im Raum. Damals wurde der Glücksspiel-Staatsvertrag geschlossen. Wir weisen seitdem in unseren Berichten darauf hin, dass Kundengelder blockiert werden könnten.

Wie realistisch ist das Risiko?

In der Europäischen Union gilt die Dienstleistungs- und Kapitalverkehrsfreiheit. Zahlungen können nicht einfach verboten werden. Tipp24 ist kein illegaler Wettanbieter, unsere Gesellschaften haben Lizenzen in Großbritannien und werden von der Glücksspielaufsicht kontrolliert. Bankenverbände haben oft auf die Probleme der Zahlungssperren hingewiesen. Wer soll Schadenersatz zahlen, wenn eine Bank die Überweisung unrechtmäßig sperrt, der Kunde aber den Jackpot knackt?

Warum kommt das Thema jetzt hoch?

Es gibt ständig Diskussionen und gerichtliche Auseinandersetzungen darüber, wie das Wett- und Lotteriegeschäft in Deutschland geregelt werden soll. Der Staatsvertrag verstößt gegen europäisches Recht. Tipp24 gerät in Sippenhaft mit illegalen Anbietern.

Über Wetten kann Geld gewaschen werden, außerdem kann es süchtig machen. Warum sollte der Staat Ihnen helfen?

Er ist der größte Profiteur des Spieltriebs seiner Bürger. Mit den Milliarden aus Casinos und Lotterien finanziert er soziale Projekte. Aber die Einnahmen des staatlichen Lottos liegen weit unter dem EU-Durchschnitt. In den ineffizienten Lottogesellschaften geht viel Geld verloren – unter anderem für teure Lobbyisten und politische Versorgungsposten. Der staatliche Sportwetten-Anbieter Oddset hat gegenüber privaten Konkurrenten verloren. Lotto ist am strengsten reguliert, obwohl erwiesen ist, dass es keine Spielsucht fördert und für Geldwäsche ungeeignet ist.

Sie haben Ihren Sitz im Februar nach London verlegt und zahlen weniger Steuern.

Wir zahlen dort im Jahr über 26 Millionen Euro Steuern. Das war nicht der Grund für den Umzug. Wir wollen international wachsen. London ist das Zentrum der Branche und diskriminiert private Unternehmen nicht. Auch die Niederlande und Dänemark haben erkannt, dass sie Private für das Geschäft brauchen, und bieten denen ein vernünftiges Umfeld.

Anleger, die vergangene Woche massiv Aktien verkauft haben, konnten Sie nicht überzeugen. Größere Aktienbestände haben Fondshäuser wie Schroders, BNP Paribas und Credit Suisse.

Wir wissen nicht, wer verkauft hat. Unternehmensinsider waren es nicht, da wurde nichts gemeldet, aber auch Meldeschwellen bei anderen wurden nicht unterschritten. Unser Streubesitz liegt bei 80 Prozent, da gibt es immer Anleger, zu denen wir keinen Kontakt haben. Sie haben nach dem Erscheinen eines Berichts in der „Süddeutschen Zeitung“ zur Einschränkung von Geldtransfers verkauft. Bei vielen ist dadurch ein falscher Eindruck der Sachlage entstanden.

Ihr Geschäft lief im ersten Halbjahr auch nicht rosig. Unter anderem hat eine 6,7-Millionen-Euro-Jackpot-Auszahlung den Gewinn gedrückt.

Die größten Lotto-Pannen
Im Mai 1984 versagte beim Mittwochslotto im ZDF die auf „mechanisch-pneumatischer Basis“ arbeitende Lostrommel. Der Glaskörper, durch den Zahlenbälle per Luftdruck geblasen werden, wollte einfach die sieben Kugeln nicht herauslassen. Das bedeutete Verschiebung der Ziehung, Verärgerung bei den Zuschauern, Stunden später die Einblendung der Zahlen ins laufende Programm und - für alle Zweifler - eine Aufzeichnung der letztlich doch gelungenen Ziehung nach der letzten heute-Sendung um 00.20 Uhr. Verantwortlich für die Panne war laut Hessischer Lottozentrale ein kurzfristiger Spannungsausfall. Deshalb habe sich beim ersten Mischvorgang der Schieber für den „Auslass“ der Kugeln nicht geöffnet. Ein Ersatzgerät musste her. (Im Bild: Karin Tietze-Ludwig, 30 Jahre lang Lottofee in der ARD) Quelle: AP
Im Februar 1999 zerbrach bei der Lotto-Ziehung zum „Spiel 77“ bei der letzten Ziffer noch im Mischbehälter die Kugel mit der "6“, kurz bevor die "9“ gezogen wurde. Deshalb musste die letzte Zahl in einer Ersatzmaschine neu gezogen werden. In der Nachziehung fiel dann die "8“ statt der "9“. Pech für Tipper, die die "9“ angekreuzt hatten: Sie gingen leer aus. "Das ist völlig rechtmäßig, das war sozusagen höhere Gewalt“, hieß es bei Lotto Hessen. Quelle: dpa
Im Juli 2002 musste eine Mittwochsziehung abgebrochen werden, weil die Lotto-Trommel kaputt ging. Die ersten drei Zahlen konnten noch gezogen werden, dann sei "die Maschine kaputt gegangen", sagte damals ein ZDF-Sprecher. Die missglückte Ziehung wurde ausgestrahlt. Unter Aufsicht wurde die Ziehung dann mit einer Ersatztrommel fortgesetzt. Quelle: tagesspiegel.de Quelle: dpa
Im Sommer 2002 fehlten bei der Ziehung der Nordwestdeutschen Klassenlotterie (NKL) vom 12. Juli bis 6. September gleich 20 von insgesamt 100 Kugeln in einer Lostrommel. Das Missgeschick passierte, nachdem die echten Kugeln aus der Trommel für einen Film gegen "schönere“ getauscht wurden. Nach den Dreharbeiten vergaßen NKL-Mitarbeiter aber beim Wiederbeladen der Trommel 20 Kugeln im Tresor. Der Fehler wurde erst Wochen später bemerkt. Laut NKL ist „keinem dadurch Leid entstanden.“ Die entsprechenden Gewinne seien öffentlich und unter staatlicher Aufsicht nachgezogen worden. Quelle: dpa
Gleich mehrere Pannen sorgten im Juli 2005 für eine Achterbahnfahrt der Gefühle bei Lottospielern: Erst verlas Lotto-Fee Franziska Reichenbacher bei der Ziehung der Glückszahlen in der ARD die falsche Zusatzzahl "8" anstatt "18" vor. In der anschließenden Tagesschau wurden die Zahlen nicht gesendet, weil man sich unsicher war, welche Zusatzzahl denn nun die richtige war. Und als wäre das alles noch nicht genug für die mittlerweile vermutlich schweißgebadeten Lotto-Spieler, wurden im "Heute Journal" des ZDF eineinhalb Stunden später dann auch die Lottozahlen aus der Vorwoche vorgelesen.Quelle: Merkur Online Quelle: dpa
Im Mai 2010 blieb schon einmal eine Kugel stecken. Alle Zahlen plumpsten brav aus der Maschine, doch als es zur Ziehung der Superzahl kommt, verschluckt sich das Gerät - die Superzahl will einfach nicht fallen. Zwar sieht man, wie die Kugel mit der "1" am Ausgang steckt, doch sie fällt nicht ins Glas. Der Ziehungsleiter entscheidet trotzdem, dass die "1" gültig ist - zwei glückliche Gewinner teilten sich den Jackpot von 21 Millionen Euro. Hier geht es zum Video der Ziehung auf Youtube Quelle: Screenshot
Eine Panne der anderen Art gab es im Juli 2012 in Nordrhein-Westfalen. Wer seinen Lotto-Schein in der Annahmestelle abgeben wollte, hatte zumeist Pech: Pünktlich zu Ferienbeginn war fast jede dritte Lottoannahmestelle in NRW wegen einer technischen Störung offline, so dass keine Spielscheine angenommen werden konnten. Laut einem Pressesprecher von WestLotto lag der Fehler damals aber nicht bei den Annahmestellen, sondern bei der Telekom. Bis zum Abend waren dann die schwersten Ausfälle behoben und die Lottospieler konnten wieder teilnehmen.Quelle: rp-online.de Quelle: dpa

In diesem Jahr ist es schwierig. Durch die Fußball-WM waren Sportwetten die Favoriten, und die bieten wir nicht an. Zudem gab es keine hohen Jackpot-Töpfe, die Kunden lockten. Jackpot-Auszahlungen in der höchsten Gewinnstufe bis 33 Millionen Euro zahlen wir aus der eigenen Kasse, für höhere Jackpots garantieren Investoren spezieller Anleihen.

Der Aktionär verdient am Pech der Spieler. Wo liegen weitere Chancen?

Wir sind technisch vorn, um vom Übergang des Wettgeschäfts ins Internet zu profitieren. Bislang laufen nur etwa fünf Prozent des Lotteriegeschäfts weltweit online. Im Ausland sind wir Dienstleister staatlicher Lotterien. So vertreiben wir die spanische Once, die weltgrößte Wohltätigkeitslotterie, im Internet. Unser zweites Projekt ist es, selbst Lotterien zu veranstalten. Unsere Prognose für 2014 liegt bei 135 bis 145 Millionen Euro Umsatz und 15 bis 25 Millionen Euro Ertrag vor Zinsen und Steuern.

Ihr großes Los wäre die Übernahme eines deutschen staatlichen Lottoanbieters.

Bis es so weit ist, müsste in Deutschland viel passieren. Aber wir verlieren unseren Glauben daran nicht.

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