Insolvenzverwalter Volker Böhm „Anwälte sind oft nur teuer“

Die vielen Ausfälle im Mini-Bond-Markt halten Anleger in Atem. Doch im Pleitefall sollten die Anleihegläubiger nichts überstürzen, meint Insolvenzverwalter Volker Böhm, der die Fälle Solar Millennium und Wöhrl betreut.

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Der Hersteller von Solarkraftwerken ging Ende 2011 insolvent. Quelle: dapd

Frankfurt Der Rechtsanwalt und Fachanwalt für Insolvenzrecht bei der Kanzlei Schultze & Braun, Volker Böhm, erklärt, warum die Insolvenzverfahren so lange dauern und warum die Quote für die Gläubiger oft gar nicht so schlecht ist. Er warnt vor Aktionismus – hohe Prozesskosten können sich die Gläubiger häufig sparen.

Herr Böhm, an dem Fall Solar Millennium sind Sie seit Ende 2011 dran, mit der Pleite von Wöhrl kam ein weiterer Mittelstandsanleihe-Emittent dazu: Was macht diese Insolvenzfälle besonders?
In einem üblichen Insolvenzverfahren gibt es mit den Banken, Lieferanten und Sozialversicherungsträgern Gläubiger, die durch häufige Teilnahme an Verfahren erfahren sind – sogenannte Profigläubiger. Eine Mini-Bond-Pleite ist da komplett anders: Oft haben viele Privatanleger investiert. Auch die Gläubigerzahl ist normalerweise deutlich geringer. Bei Solar Millennium haben wir es mit rund 20.000 Gläubigern zu tun. Das ist ein riesiger Kommunikations- und Organisationsaufwand.

Was sollten Anleger tun, wenn ein Unternehmen in die Insolvenz geht? Sich an einen Anwalt wenden?
Überstürzter Aktionismus ist nicht angebracht. Die schnelle Mandatierung von Anwälten ist oft nur teuer, ohne dass sie für die Anleger unmittelbar etwas erreichen können. Die Insolvenzforderung steht gesetzlich fest, da ist bei Anleihen selten etwas streitig. Die Anleger werden ohnehin vom Insolvenzverwalter angeschrieben, damit die Gläubiger mit einem Formular ihre Forderung anmelden können.

Sollten sie einem Gläubigervertreter ihre Stimme geben?
Die Bündelung von Interessen über einen gemeinsamen Gläubigervertreter ist sinnvoll. Hier müssen Anleger jedoch kein Einzelmandat vergeben, sondern können warten, bis dieser auf einer Gläubigerversammlung von der Mehrheit der Anwesenden gewählt wird.

Das Insolvenzverfahren von Solar Millennium ist immer noch nicht abgeschlossen – warum dauert das so lange?
Bei Mini-Bond-Pleiten können die Insolvenzverfahren schon einmal bis zu acht Jahre dauern. Das liegt oft an der Komplexität der Unternehmen und der Geschäftsmodelle und weniger an der Anzahl der Gläubiger. Häufig müssen die Anleger aber nicht so lange warten, bis sie einen Teil ihres Geldes wiedersehen. Bei Solar Millennium konnten wir Ende letzten Jahres bereits eine erste Abschlagszahlung in Höhe von 15 Prozent der Forderungssumme ausschütten.

Eine Quote von 15 Prozent – das klingt ja ordentlich. Was kommt im Schnitt am Ende für die Anleger heraus?
Während die Quote für die Gläubiger über alle Insolvenzverfahren hinweg im Schnitt nur drei Prozent beträgt, können sie bei Unternehmen die über Mittelstandsanleihen finanziert oft deutlich höher sein.

Wieso das?
Wenn ein Unternehmen stark bankfinanziert ist, sind diese Kredite meist besichert. Die Erlöse aus der Sicherheitenverwertung gehen im Insolvenzverfahren dann vorrangig an die Banken. Besteht das Fremdkapital überwiegend oder nur aus der Anleihe, gibt es in der Regel keine Sicherheiten für einzelne Gläubiger. Werden Vermögenswerte verkauft, partizipieren alle Gläubiger gleichermaßen an den Erlösen.

Woran hängt es bei Solar Millennium dann zurzeit noch?
Es sind noch einige rechtliche Auseinandersetzungen zu führen. Derzeit gibt es zum Beispiel Diskussionen über ein größeres Projekt in Spanien. Solar Millennium ist dort bereits ausgeschieden – es geht nun um den genauen Zeitpunkt und Haftungsfragen. Ein weiterer Streitpunkt ist die Austrittsbilanz – das dauert seine Zeit. Noch hoffen wir, das mit den beteiligten Unternehmen außergerichtlich klären zu können.


„Abwarten kann sinnvoll sein“

Wie oft kommt es zu einem Gerichtsverfahren – und was bedeutet das dann für die Anleger?
Rechtliche Auseinandersetzungen lassen sich in diesen Verfahren kaum vermeiden. Sie kosten Zeit und Geld. Doch wenn es etwa Anzeichen gibt, dass das Unternehmen seine Lage bei der Anleiheemission zu positiv dargestellt hat oder der Insolvenzantrag zu spät gestellt wurde, lohnt sich der Rechtsstreit für die Gläubiger am Ende. Aber auch bei individuellen Klagen, die Anleger selbst anstrengen können, sollte man im Hinblick auf die Kosten nicht zu leichtfertig prozessieren.

Das müssen Sie erklären.
Für Anleger kann es sinnvoll sein abzuwarten, wie erfolgreich eine Musterklage war. Einzelklagen kosten dagegen oft nur unnötig Geld – das zeigt sich auch bei Solar Millennium. Das Gericht hatte schon diverse Klagen von Anlegern mit dem Tenor abgewiesen, die Prospekte seien irreführend gewesen. Trotzdem wurden von Anlegern bei derselben Kammer weiter Klagen mit derselben Begründung eingereicht. Die Prozesskosten hätte man sich sparen können.

Können die Emittenten dann nicht in den Prospekt schreiben, was sie wollen? Bei einem Fall wie Wöhrl kann man sich schließlich auch fragen, warum das Unternehmen die Gelder aus der Anleihe nicht dafür verwendet hat, den Konkurrenten SinnLeffers zu kaufen – wie es den Anlegern suggeriert wurde.
Unternehmen müssen in ihrem Emissionsprospekt die potentiellen Anleger über alle Umstände, die von wesentlicher Bedeutung sind oder sein können, sachlich richtig und vollständig unterrichten. Sonst haften sie auch bei nur leicht fahrlässigen Falschinformationen nach den Grundsätzen der Prospekthaftung. Unabhängig davon prüft aber auch der Insolvenzverwalter, ob die Prämissen für die Fortführungsprognose im Prospekt zutreffend sind.

Was passiert, wenn Sie Fehler finden?
Bei fehlerhaften Prämissen beziehungsweise falscher Fortführungsprognose können sich Schadensersatzansprüche für die Insolvenzmasse ergeben, die der Insolvenzverwalter geltend macht. Aus einer abweichenden Nutzung der eingesammelten Gelder können sich unter Umständen Ansprüche der Insolvenzmasse gegen die handelnden Personen ergeben - wenn beispielsweise der Geschäftsführer die Mittel anders verwendet, als es die Gesellschafterversammlung bestimmt hat.

Oft stecken bei Mini-Bonds Familienunternehmer dahinter. Wie ist Ihre Erfahrung mit ihnen im Insolvenzverfahren?
Häufig gibt es gerade im Mittelstand Probleme, wenn die Insolvenz in Eigenverwaltung durchgeführt wird und das bisherige Management an Bord bleiben will. Wenn die Firmenchefs das Vertrauen der Mitarbeiter und Gläubiger nicht mehr genießen, oder eigene Fehler nicht eingestehen wollen, ist es schwierig, ein Unternehmen aus der Insolvenz heraus zu sanieren. Dann ist oft ein sauberer Schnitt angebracht.

Was bedeutet das konkret?
Das heißt, es wäre besser in die Regelinsolvenz zu gehen, oder sich zumindest einen neutralen Geschäftsführer zur Seite stellen zu lassen. Dieser kann das Vertrauen meist besser wiederherstellen.

Würden Sie Anlegern künftig von Mittelstandsanleihen abraten?
Wie die vergangenen Jahre zeigen, ist das Ausfallrisiko enorm hoch. Anleger, die kaufen, weil sie die Marke des Unternehmens gut finden, ohne aber die Geschäftszahlen zu verstehen, sollten die Finger von Mini-Bonds lassen.

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