Konjunkturzyklus

Der Aufschwung erreicht sein Haltbarkeitsdatum

In den kommenden Jahren wird es voraussichtlich auch in den bislang starken Industrieländern zu einer konjunkturellen Abkühlung kommen. Die Aktienmärkte werden sicherlich in Mitleidenschaft gezogen und das Zinsniveau dürfte noch länger sehr niedrig bleiben. Dies ist kein sehr günstiger Ausblick - allerdings wird sich der weltwirtschaftliche Konjunkturzyklus nach einer Abschwungphase wieder normalisieren.

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Konjunktur Quelle: dpa

Die Entwicklungsländer sind in den vergangenen Jahren mehr und mehr als globaler Wachstumsmotor ausgefallen. Dies lag hauptsächlich darin begründet, dass Schwellenländer wie China sich weiterentwickeln wollen - vom Investitionsstandort hin zum Innovationsstandort. Diese Länder möchten also nicht nur billig produzieren, sondern die Produkte auch selbst entwickeln und damit in der Wertschöpfungskette der Weltwirtschaft weiter nach oben rücken – eine Strategie, die vor dem Hintergrund der demographischen Herausforderungen in den asiatischen Ländern auch geboten ist. In Südamerika, wo das Wachstum hauptsächlich von Brasilien getragen wurde, hat eine fehlgeleitete Wirtschaft- und Strukturpolitik das Wachstumstempo merklich gedrosselt.

Stefan Bielmeier Quelle: Presse

Somit blieben als Motoren der Weltwirtschaft noch die Industrieländer. Insbesondere die USA, Großbritannien und Deutschland haben diese Rolle übernommen. Sie kämpfen jedoch mit einer – als Lehre aus der Finanzkrise politisch und gesellschaftlich gewünschten – zunehmenden Regulierung des Finanzsektors und einer spürbaren Investitionszurückhaltung. Letztere geht wohl auf die weltweit immer noch hohen Kapazitäten zurück, die in den Jahren vor der Krise 2008/2009 aufgebaut wurden und die immer noch nicht voll ausgelastet sind. Die Produktionskapazitäten waren früher auf ein globales Wirtschaftswachstum von rund vier Prozent pro Jahr ausgelegt. Seit 2009 liegt das durchschnittliche Wachstum jedoch nur noch bei rund drei Prozent. Ein anderer wichtiger Faktor ist die zunehmende Zahl weltpolitischer Krisenherde. So ist es nicht verwunderlich, dass sich die Unternehmen mit Investitionen zurückhalten. Die fehlende globale Investitionsbelebung ist somit ein Merkmal des aktuellen Wachstumszyklus.

Deutschland ist nahe an der Vollbeschäftigung

Die binnenwirtschaftliche Entwicklung in einzelnen G7-Ländern ist dabei durchaus positiver, als die bescheidenen globalen Wachstumsraten vermuten lassen. Dass die Wirtschaftsleistung der größten Industrieländer dennoch deutlich langsamer steigt als vor 2008, liegt in erster Linie an dem schwachen Außenhandel und nicht an der mangelnden Binnennachfrage. Die Entwicklung der Arbeitsmärkte – jedenfalls in Deutschland und in den USA – ist sehr erfreulich. Dass die Arbeitsmarktdaten für die Euro-Zone im Ganzen alles andere als befriedigend sind, liegt an den Folgen der europäischen Schuldenkrise.

Deutschland ist in einigen Sektoren zwischenzeitlich sogar nahe an der Vollbeschäftigung. Die gute Beschäftigungssituation stärkt das Verbrauchervertrauen und macht sich zunehmend in einer Belebung des privaten Konsums bemerkbar. Die Zuversicht der privaten Haushalte, in Verbindung mit den sehr niedrigen Hypothekenzinsen, hat auch die Immobilienmärkte profitieren lassen. Insgesamt wird das Wachstum also hauptsächlich vom privaten Konsum getragen.

So weit, so gut. Insgesamt kann man mit der Entwicklung in den G7-Ländern recht zufrieden sein. Betrachtet man jedoch das monetäre Umfeld in den vergangenen Jahren, dann muss man sich fragen, wieso die extrem expansive Geldpolitik nicht mehr als das bescheidene weltwirtschaftliche Wachstum von rund drei Prozent hervorgebracht hat.

Die Effekte der Niedrigzinsen werden sich abnutzen

Leitzinsen von nahe Null und massive Lockerungsmaßnahmen der Notenbanken haben natürlich eine positive Wirkung auf das Wirtschaftswachstum – zumindest eine Zeit lang. Insbesondere beflügeln sie die die Neigung zu Konsum in den privaten Haushalten und zu Investitionen bei den Unternehmen. Zudem verschaffen sie den Staatshaushalten durch niedrige Zinskosten Spielraum für Mehrausgaben. Dass bei diesen massiven stimulierenden Effekten nicht mehr an Wachstum herausgekommen ist, lässt jedoch an der Wachstumsstärke der Industrieländer zweifeln. Wie würde dort das Wachstum ohne die – nicht auf Dauer durchhaltbare – expansive Wirtschaftspolitik aussehen?

Dass die wirtschaftspolitischen Stimuli in den kommenden Jahren nachlassen, ist sehr wahrscheinlich. Es ist kaum vorstellbar, dass die Notenbanken die Leitzinsen weiter senken oder dass die Leitzinsen für lange Zeit weit im negativen Bereich liegen. Selbst wenn die Zinsen auf den jetzigen Niveaus blieben, wird sich der stimulierende Effekt mit der Zeit abnutzen. Und ohne diese Impulse dürfte das Wirtschaftswachstum noch bescheidener ausfallen.

Das Wachstum der Industrieländer hat sein Ende erreicht

Skepsis hinsichtlich der Aussichten für die beiden wichtigsten Wachstumstreiber der Weltwirtschaft – die USA und Deutschland – ergibt sich auch aus der Analyse der Konjunkturzyklen. Denn der Wachstumszyklus in den Industrieländern hält schon sehr lange an. Der aktuelle Aufschwung hat mit einer Dauer von rund 70 Monaten nach früher geltenden Maßstäben sein Haltbarkeitsdatum wohl allmählich erreicht.

Der aktuelle Zyklus ist absolut untypisch. Der Lehman-Schock, der alle Industrieländer in eine mehr oder weniger starke Rezession gestürzt hatte, hat zu einem ungewöhnlich synchronen Wachstumszyklus geführt. Auch das Verhalten von Geld- und Fiskalpolitik im Gefolge der Krise war in allen Industrieländern ähnlich – sehr schnell umfangreiche schuldenfinanzierte Konjunkturstützungsprogramme, die danach allmählich wieder endeten, auf geldpolitischer Seite schnelle Zinssenkungen und dann mehr und mehr quantitative Lockerung, die die Notenbanken bis heute unverändert durchhalten. Es kann keinen Zweifel geben, dass diese Wirtschaftspolitik eindeutig positiv auf das Wachstum und damit verlängernd auf den Wachstumszyklus gewirkt hat.

Viele Staaten sind zu hoch verschuldet

Die Reife des Wachstumszyklus und der bevorstehende Entzug von monetären Wachstumsimpulsen müssen nicht bedeuten, dass die Industrieländer und damit auch Deutschland unmittelbar vor einer Rezession stehen. Jedoch spricht viel dafür, dass wir schon mehr als die Hälfte des aktuellen Aufschwungs hinter uns haben. Sicherlich haben wir noch einen Joker in der Hinterhand, um einen plötzlichen Abschwung zu vermeiden, nämlich höhere Staatsausgaben. Jedoch wird man diesen nur sehr selektiv nutzen können, da viele Staaten immer noch viel zu hoch verschuldet sind. Raum für eine kräftige staatliche Konjunkturspritze gibt es eigentlich nur in den USA und Deutschland.

Ein Tritt auf die Bremse ist nicht nötig

Insgesamt müssen wir damit rechnen, dass innerhalb der kommenden Jahre die Konjunkturdynamik nachlässt und die Industrieländer in eine Abschwungphase eintreten. Dies muss nicht zwingend mit einer Rezession enden. Mit Blick auf den Verlauf des aktuellen Aufschwungs kann es auch eine langgestreckte Periode mit sehr schwachem Wachstum und wieder steigender Arbeitslosigkeit sein. Auslöser des konjunkturellen Wendepunkts dürften – wie so oft – die Notenbanken sein. Anders als früher ist aber dafür gar kein Tritt auf die geldpolitische Bremse nötig, sondern schon etwas „Gas weg nehmen“ dürfte eine starke Wirkung haben, nachdem sich die Volkswirtschaften in der langen Phase extrem expansiver Notenbankpolitik an den Stimulus gewöhnt haben.

Mit welchen Maßnahmen Regierungen und Notenbanken Sparer attackieren können
Instrument: NiedrigzinsAusgestaltung: Notenbank kauft (über Banken, die günstig Geld bekommen) Staatsanleihen; Notenbank hält Leitzinsen untennegativ betroffen wären/sind: Konten, Anleihen, Lebensversicherung, Betriebsrenten, VersorgungswerkeEintrittswahrscheinlichkeit: läuft bereits; •••••wie gefährlich für das Vermögen?: Inflation frisst Zinsen; Sparen lohnt sich kaum; ••••∘Vorteil für Staaten: niedrige Zinslast auf eigene Schuldenhistorische Vorbilder: USA• = unwahrscheinlich/ sehr niedrige Einbußen; ••••• = so gut wie sicher/ sehr hohe Einbußen Quelle: dpa
Instrument: Inflation zulassenAusgestaltung: Notenbanken schöpfen weiter Geld; Bürger verlieren Vertrauen; Umlaufgeschwindigkeit des Geldes steigtnegativ betroffen wären/sind: Bargeld, Konten, Anleihen, LebensversicherungEintrittswahrscheinlichkeit: aktuell gering; langfristig wahrscheinlich; •••∘∘wie gefährlich für das Vermögen?: Hohe Inflation kann sämtliche Geldvermögen entwerten; •••••Vorteil für Staaten: Schulden werden nicht auf dem Papier, aber real drastisch verringerthistorische Vorbilder: Deutschland 1923; Frankreich 18. Jahrhundert; Zimbabwe 2009 Quelle: dpa
Instrument: NegativzinsAusgestaltung: Notenbank setzt negativen Leitzins fest; Banken legen negative Zinsen auf die Guthaben von Sparern um oder verteuern Gebühren/Kreditenegativ betroffen wären/sind: KontenEintrittswahrscheinlichkeit: ist bereits in der Diskussion; •••∘∘wie gefährlich für das Vermögen?: Erspartes leidet nominal durch Negativzinsen und real durch Inflation ••••∘Vorteil für Staaten: höheres Wachstum durch ausgeweitete Kreditvergabe erhoffthistorische Vorbilder: Schweiz 1964, 1970er; Schweden; Dänemark Quelle: dpa
Instrument: VermögensabgabeAusgestaltung: Staat schneidet sich von allen Vermögenswerten einmalig ein Stück abnegativ betroffen wären/sind: Konten, Aktien, Anleihen, ImmobilienEintrittswahrscheinlichkeit: wird diskutiert, aber starker Widerstand zu erwarten; ••∘∘∘wie gefährlich für das Vermögen?: je reicher desto härter; ••••∘Vorteil für Staaten: kann Schulden sofort drastisch senkenhistorische Vorbilder: Deutschland 1918/19, 1952 Quelle: dpa
Instrument: ZwangsanleiheAusgestaltung: Staat zwingt Bürger, einen Teil ihres Vermögens in Staatsanleihen zu packen; wird (teilweise) zurückgezahltnegativ betroffen wären/sind: Konten, Aktien, Anleihen, ImmobilienEintrittswahrscheinlichkeit: wird diskutiert, aber starker Widerstand zu erwarten; ••∘∘∘wie gefährlich für das Vermögen?: hängt von Rückzahlungen ab; •••∘∘Vorteil für Staaten: verschafft Spielraum bis zum Rückzahlungsdatumhistorische Vorbilder: Deutschland 1914, 1922/23 Quelle: dpa
Instrument: Neue SteuernAusgestaltung: Vermögensteuer, zum Beispiel ein Prozent auf steuerpflichtiges Vermögen (nach Abzug von Freibeträgen)negativ betroffen wären/sind: Vermögen generellEintrittswahrscheinlichkeit: politische Forderung; ••••∘wie gefährlich für das Vermögen?: für Vermögende; •••∘∘Vorteil für Staaten: weitere Einnahmenhistorische Vorbilder: Deutschland, wurde 1997 abgeschafft Quelle: dpa
Instrument: Neue SteuernAusgestaltung: Transaktionsteuer von 0,1 Prozent auf Aktien und Anleihen und 0,01 Prozent auf Derivate; fällig für jedes Geschäft negativ betroffen wären/sind: Aktien, Anleihen, Derivate; indirekt auch Fonds und LebensversicherungenEintrittswahrscheinlichkeit: politisch herrscht Konsens; •••••wie gefährlich für das Vermögen?: drückt auch Rendite von Fonds und Versicherungen; •••∘∘Vorteil für Staaten: weitere Einnahmenhistorische Vorbilder: Deutschland 1881–1991; Schweden 1985–1992 Quelle: dpa

Welche Konsequenzen hat dieses Konjunkturbild? An den weltweiten Aktienmärkten könnte man auf Basis der fundamentalen Einschätzung und der vorherrschenden Notenbankpolitik noch für einige Zeit steigende Kurse erwarten. Aber der größte Teil der Aufwärtsbewegung dürfte in jedem Fall schon hinter uns liegen. Der Kursverfall der vergangenen Tage, der vor allem mit den Sorgen um eine harte Landung der chinesischen Wirtschaft zu tun hat, verdeutlicht diese Abwärtsrisiken. Wir gehen davon aus, dass Zinsen und Anleiherenditen in den nächsten Jahren nicht kräftig steigen.

Vielmehr ist wohl noch einige Jahre ein Umfeld mit niedrigen Zinsen zu erwarten. Dies würde die Banken und Sparer weiterhin belasten. Gleichzeitig dürfte im Bankensektor die Risikovorsorge wieder ansteigen, da die Ausfälle im Kreditgeschäft wieder zunehmen sollten. Auch der Bankensektor bliebe damit in einer schwierigen Situation. Dies ist sicherlich kein sehr günstiger Ausblick, jedoch könnte sich der weltwirtschaftliche Konjunkturzyklus nach dieser Abschwungphase wieder normalisieren, so dass die Weltwirtschaft dann endlich wieder in bekanntes Gewässer kommt, mit einer normalen zyklischen Bewegung.

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