Merrill-Lynch-Umfrage Die Angst vor der Sonne

Rekorde allerorten: Die Börsenkurse sind so hoch, dass Investmentstrategen schon die griechische Sage von Ikarus bemühen. Eine aktuelle Umfrage unter Fondsmanagern zeigt: Die größte Gefahr geht mittlerweile von China aus.

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Bye, bye, USA: Internationale Portfolio-Manager schichten ihre Anlagen in Richtung Europa um, zeigt eine aktuelle Umfrage. Quelle: dpa

Frankfurt In der griechischen Mythologie steigt Ikarus mit Flügeln aus Federn und Wachs in den Himmel. Als er übermütig wird und der Sonne zu nahe kommt, schmilzt das Wachs, die Flügel fallen in sich zusammen, Ikarus stürzt in den Tod. Ein solches Szenario befürchten auch die Investmentstrategen der Bank of America Merrill Lynch angesichts von weltweiten Rekorden an den Börsen. Derzeit sind Aktien nach Ansicht von Profi-Anlegern im Schnitt um 40 Prozent zu teuer, wie die wichtigste monatliche Umfrage unter internationalen Fondsmanagern der US-Großbank ergibt. Die Überbewertung an den Aktienmärkten liegt damit auf dem höchsten Stand seit 2000, kurz vor dem Platzen der Dotcom-Blase.

Anlass zur Befürchtung, dass ein Absturz kurz bevorsteht, sieht Michael Hartnett, Chef-Investmentstratege bei Merrill Lynch jedoch nicht: „Die Investoren sind zwar bullish“, sagt er. „Aber irrationales Anlegerverhalten ist noch nicht sichtbar.“ Das zeige ein Blick auf die Bargeldbestände der 213 befragten Fondsmanager, die zusammen 645 Milliarden Dollar verwalten. Seit 2014 hat sich die durchschnittliche Cash-Quote der Profi-Anleger zwischen dreieinhalb und viereinhalb Prozent eingependelt. Der Dotcom-Krise war jedoch ein massiver Einbruch der Bargeldbestände vorangegangen. Sorgen machen sich die Banker daher erst, wenn Investoren trotz hoher Überbewertungen ihre als Sicherheit gehaltenen Bargeldbestände auflösen und weiter zukaufen.

Besonders hoch im Kurs stehen derzeit europäische Aktien: Dort griffen die Investoren am stärksten zu. Im Vergleich zum Vormonat stockten die Portfoliomanager ihre Positionen in der Euro-Zone um neun Prozentpunkte auf. Und dies dürfte sich fortsetzen. Denn die Gruppe der Befragten, die Aktien der Euro-Zone stärker gewichten wollen, ist deutlich größer als die jener, die davon nichts halten: Der Anteil der Euro-Aktien-Fans liegt auf dem dritthöchsten Stand in der Geschichte der Umfrage. Im Vergleich zum Referenzindex gewichteten Portfoliomanager europäische Banken und Technologiewerte besonders hoch. Von Versorgungsunternehmen, Nahrungsmittelkonzernen und Öl- und Gasfirmen ließen sie dagegen die Finger.  

Ein Grund für die Euro-Euphorie: Nach dem Sieg von Emmanuel Macron bei den französischen Präsidentschaftswahlen scheinen die Sorgen um einen Kollaps der Währungsunion wie weggeblasen. Das schlägt sic

h auch in der Risikoeinschätzung der Profi-Anleger nieder: Als größtes Risiko für die Finanzmärkte gilt ein Rückgang der Kreditversorgung in China. Ebenfalls mit Sorge betrachten die Investoren einen möglichen Einbruch an den Anleihemärkten oder der Ausbruch eines Handelskriegs. In den Vormonaten hatte vor allem ein möglicher Zusammenbruch der Euro-Zone die Investoren umgetrieben.

Paradiesisch sind die Aussichten für die Weltwirtschaft nach Ansicht der Portfoliomanager. Sie erwarten mehrheitlich ein Traumszenario aus hohen Wachstumsraten und niedrigen Inflationsraten. Ihr Portfolio-Mix für diesen Boom: Mehr Aktien, weniger Renten, weniger Rohstoffe.

Übersetzt in die griechische Mythologie hieße das: Ikarus fliegt der Sonne entgegen – doch noch zeigen die Flügel keine Auflösungserscheinungen. Allerdings sind sich die Investmentstrategen der Bank of America Merrill Lynch sicher: Der Absturz kommt bestimmt.

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