Die Deutschen gelten als ein Volk von Aktienmuffeln. Da ist etwas dran. Laut dem Spar- und Anlageindex der Internetbank Comdirect sind Stand August 2016 16 Prozent der Deutschen in Aktien investiert. Immerhin. Allerdings ging die Quote im September auf elf Prozent zurück. Und laut Bundesbank greifen Privatleute bei der Geldanlage mittelfristig zwar immer mehr auf Aktien, Fonds und Unternehmensanteile zurück. Mittelfristig sollte die Aktienquote in den deutschen Privatportfolios weiter steigen, schließlich lässt sich mit üblichen Anlageformen wie Tagesgeld, Sparbuch, Lebensversicherung & Co. derzeit kaum noch Rendite erzielen. Doch im dritten Quartal ließ die Bedeutung von Aktien bei der Vermögensanlage wieder etwas nach.
Das zögerliche Zugreifen an der Börse ist nicht nur der vielleicht typisch deutschen Vorsicht geschuldet. Grund für die Zurückhaltung vieler Anleger am Aktienmarkt ist auch das mangelnde Angebot an Neuemissionen, die sich an breite Anlegerschichten wenden. Und viele Traditionsunternehmen im Dax, wie Banken, Energieerzeuger oder die Autoindustrie machen gerade schlechte Zeiten durch.
In solchen Zeiten steigt die Sehnsucht nach einer Volksaktie, also einem Börsenunternehmen, dessen Aktien sich für Kleinanleger eignen. Dazu gehört eine kleinteilige Stückelung der Anteile bei einem gleichzeitig großen Emissionsvolumen. Zudem müssen die Vertriebskanäle eine transaktionskostenarme Investition zulassen – sprich Provisionen dürften nur eingeschränkt verlangt werden. Genauso wichtig: Das Unternehmen sollte ein stabiles, konjunkturresistentes Geschäftsmodell haben, sich also um die Befriedigung eines Grundbedürfnisses kümmern.
Ein Blick auf die Märkte zeigt, dass Mangelware an Werten herrscht, die alle diese Kriterien erfüllen. Was war in diesem Jahr an der Börse los? Man hatte das Gefühl, dass Anleger mit Bilanzresten und Nischenanbietern abgespeist werden.
Beispiel Va-Q-tec, dessen Name so sperrig ist wie das Geschäftsmodell. Das Unternehmen baut vakuumisolierte Behälter etwa für den Transport temperaturempfindlicher Medikamente oder energiesparende Dichtungen von Gebäuden und Kühlschränken. Typisch deutsch, ein klassischer Technikpionier, spezialisiert bis in die Haarspitzen, aber in vielen Branchen nachgefragt. Der Würzburger Mittelständler hat zwar den Sprung an die Börse geschafft. Ein Achtungserfolg. Obwohl Va-Q-tec mit seiner bisher mauen Profitabilität als Anlageobjekt in die Kategorie "kann man machen, muss man aber nicht" fällt, haben einige Anleger ihr Geld in den Nischenwert gesteckt. Warum? Weil sich ihnen an der heimischen Börse so wenige Alternativen bieten.
Mehr populäre Aktien
Das IPO-Jahr in Deutschland ist mal wieder mau, selbst das gerade auf den Markt geworfene Schwergewicht Uniper, die Abspaltung des Energieriesen E.On, lässt keine Euphorie aufkommen. Hier klingt zwar der Name verlockend - unique performance - , aber die Bilanzreste eines von der Energiewende an den Rand des Aussterbens gebrachten Dinosauriers geben einfach keine Wachstumsstory her, zumal über ihnen noch Haftungsrisiken für Atomlasten schweben.
Grundsätzlich zu begrüßen ist, dass der E.On-Konkurrent RWE ebenfalls Teile seines Unternehmens an die Börse gebracht hat, und zwar das Geschäft mit erneuerbaren Energien, ein zukunftsträchtiger Markt. Ein Wert also, der auch auf Grund seines Volumens (größter deutscher IPO seit 2000) durchaus Volksaktien-Potenzial hätte. Zunächst dürften allerdings hohe Investitionen für die Modernisierung nötig sein. Über dem Geschäftsmodell stehen noch Fragezeichen, wie die ungeklärte Gebührenordnung für die Benutzung von Stromnetzen.
Was war sonst so? Ein zunächst abgesagtes, dann doch durchgezogenes IPO der niederländisch-afrikanischen Digitalbank MyBucks. Deren Kurs hat seit dem Start zwar 30 Prozent zugelegt, das Volumen war aber zu niedrig, als dass das Papier für eine große Schar von Anlegern taugt. Viele der neu auf den Markt gelangenden Aktien sind Liebhaberstücke à la Va-Q-tec oder MyBucks. Sie schaffen es nicht in die großen Indizes, was kein Selbstzweck ist, sondern Voraussetzung dafür, dass sich Analysten, Großinvestoren oder Medien ernsthaft mit der Aktie beschäftigen.
Der Markt braucht den fundamentalen Input dieser Profis genauso wie die wachsamen Augen der Medien auf mögliche Skandale. Erst dann entsteht breiter Handel, der Kursbewegungen von Zufallsschwankungen zu plausiblen Trends werden lässt. Nachschub an dicken Schiffen ist aber keiner in Sicht. Ein Börsengang der Bahntöchter Arriva und Schenker wird wegen politischer Bedenken auf Eis gelegt, und VW bittet beim IPO seiner Lkw-Sparte um Geduld bis 2019.
Obwohl das Schlagwort von der Volksaktie seit dem Telekom-Debakel am Neuen Markt politisch verbrannt ist, braucht Deutschland mehr populäre Aktien für eine breite Schicht von Anlegern. Nicht als Spekulationsobjekt, sondern als langjährige Vermögensanlage.