Arbeitsrecht EuGH kippt deutsche Kündigungsfristen

Der Europäische Gerichtshof hat entschieden, dass das deutsche Kündigungsrecht junge Mitarbeiter diskriminiert und geändert werden muss. Das ist nur konsequent, meint Gastkommentatorin Eva Wißler.

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Eva Wißler, Fachanwältin für Arbeitsrecht, Schmalz Rechtsanwälte, Frankfurt

Der Europäische Gerichtshof (EuGH; Rs. C-555/07) hat am 19.10.2010 entschieden, dass das deutsche Kündigungsrecht junge Mitarbeiter diskriminiert und geändert werden muss. Damit hat der EuGH erneut eine grundlegende Entscheidung zu der Diskriminierung wegen des Alters getroffen und die deutsche Regelung in § 622 BGB für europarechtswidrig erklärt.

Die Entscheidung des EuGH

In dem vom EuGH entschiedenen Fall hatte eine 28 Jahre alte Mitarbeiterin geklagt, der nach über zehn Jahren tatsächlicher Betriebszugehörigkeit mit einer Frist von nur einem Monat zum Monatsende (d.h. der Frist für drei Jahre Beschäftigungsdauer) gekündigt wurde, statt der für eine zehnjährige Beschäftigungsdauer geltenden vier Monate zum Monatsende. Der EuGH hält dies für eine unzulässige Diskriminierung wegen des – jüngeren – Lebensalters. Die deutsche gesetzliche Regelung behandelt zudem junge Arbeitnehmer untereinander ungleich, weil die Mindestaltersgrenze diejenigen jungen Menschen trifft, die ohne oder nach nur kurzer Berufsausbildung früh eine Arbeitstätigkeit aufnehmen, nicht aber die, die nach langer Ausbildung später in den Beruf eintreten.

Bisherige gesetzliche Regelung in § 622 BGB

Das Bürgerliche Gesetzbuch regelt in § 622 Mindestkündigungsfristen, von denen nur zugunsten der Mitarbeiter oder in Tarifverträgen abgewichen werden darf. An diese Mindestkündigungsfristen ist der Arbeitgeber gebunden, es sei denn er spricht eine fristlose Kündigung aus. Die Kündigungsfristen für den Arbeitgeber werden nach § 622 BGB umso länger, je länger das Arbeitsverhältnis besteht. Für jüngere Mitarbeiter sieht das Gesetz allerdings eine Sonderregelung vor. Nach der bisherigen „Mindestaltersregel“ des § 622 BGB sind für die Berechnung der Kündigungsfristen die Beschäftigungszeiten eines Arbeitnehmers vor Vollendung des 25. Lebensjahres nicht zu beruecksichtigen. Dies hat zur Folge, dass für jüngere Mitarbeiter kürzere Kündigungsfristen gelten, als für ältere.

Der EuGH ist konsequent

Die Entscheidung des EuGH liegt auf der bisherigen Linie des Gerichts. Eine unterschiedliche Behandlung wegen des Alters kann zwar legitimen Zielen der Beschäftigungspolitik dienen, sie rechtfertigt aber nicht, alle Arbeitnehmer zu benachteiligen, die vor Vollendung des 25. Lebensjahrs in den Betrieb eingetreten sind, unabhängig davon, wie alt sie zum Zeitpunkt ihrer Entlassung sind.

Folgen für die Praxis: der Gesetzgeber ist gefragt

Diese Entscheidung zeigt erneut, dass deutsches Recht immer wieder europäischen Vorgaben weichen muss und man sich nicht blindlings auf den Gesetzestext verlassen kann. Um dem europarechtlichen Verbot der Diskriminierung wegen des Alters gerecht zu werden, müssen die deutschen Gerichte nunmehr die Mindestalterregel des § 622 BGB unangewendet lassen, bis eine Korrektur durch den Gesetzgeber erfolgt ist. Derzeit ist ein vergleichbarer Sachverhalt vor dem Bundesarbeitsgericht (AZ.: 2 AZR 714/08) zur Entscheidung anhängig. Es ist jedoch zu erwarten, dass sich das Bundesarbeitsgericht den Vorgaben der europäischen Richter anschließen wird, so dass bei der Berechnung der Kündigungsfristen künftig auch bei jungen Mitarbeitern jedes Jahr der Betriebszugehörigkeit berücksichtigt werden sollte.

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