Fair Value-Bilanzierung Bilanzen und Bilanzregeln: Vertrauen verspielt

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Erneut helfen Notenbanken aus – und legen die Saat für künftige Bilanzblasen

Bilanzen und Bilanzregeln: Vertrauen verspielt Quelle: fotolia

Im Kern wird es vor allem für die Banken darauf ankommen, wie sich Zinsen, Ausfallraten von Schuldnern, Preise für Immobilien und sonstige Güter entwickeln werden. Wie viele Schuldner fallen am Ende aus, steigt das Zinsniveau weiter? Netterweise kaufen die Notenbanken, insbesondere die Washingtoner Fed, ja alle möglichen Papiere auf, darunter sogar Staatsanleihen. Das drückt den risikolosen Zins enorm, bringt also für sich genommen das Fair-Value-bilanzierte Vermögen einer Bank wieder auf die Beine.

Sollte jedoch – wie stark zu vermuten steht – in den kommenden Jahren die Inflation kräftig anspringen, würden steigende Zinsen und die Entwertung von Schuldpapieren die Bankbilanzen erneut in Trümmer reißen. Es sei denn, der Trend, den Fair Value auszusetzen, hält an. Hunderte Milliarden dürften schon jetzt wegen bereits durchgedrückter Neuregelungen nicht mehr zum Fair Value bilanziert sein, weitere werden mit einer neuerlichen Abwertungsbremse in den Bilanzregeln (die rückwirkend für das gerade abgelaufene Quartal gelten) dazukommen. Das gilt zunächst für die US-Regeln. Die für IFRS Verantwortlichen werden nachziehen, allein schon wegen des hohen politischen Drucks der USA und der Banken-Lobby.

Wenn Vermögen zunehmend nach dem tradierten Prinzip der Anschaffungskosten bilanziert wird, nimmt das Schwankungen aus den Bankbilanzen heraus, mehr aber nicht. Wenn die Postbank für Wertpapiere über 34,8 Milliarden Euro den Fair Value aussetzt, kann das fair sein, muss es aber nicht. Denn, egal, nach welcher Bilanzregel: Am Ende der Rechnung steht eines Tages dasselbe, von der Rückzahlung oder dem Verkauf der Papiere bestimmte Ergebnis.

Bilanzierung ist in erster Linie Ausdruck der Unternehmenskultur

Entscheidend für die Wert- und Nachhaltigkeit eines Zahlenwerkes ist die Attitüde des Managements. Sowohl die Regeln des Anschaffungskostenprinzips als auch des Fair Value geben Kaufleuten die Möglichkeit, sich reich zu rechnen oder arm. Wer die Party rechtzeitig verlässt, hat am Morgen keinen Kater: Kein Prüfer hätte es Banken verübelt, wenn diese Risiken höher angesetzt hätten. Sicher, der Aktienkurs hätte gelitten, weil Großinvestoren, die ebenso wie Laien nicht zwischen Papier- und echten Gewinnen unterscheiden können, verkauft hätten. Die Milliarden-Boni der cleveren Derivate-Verpacker hätte es nicht gegeben. Heute aber würde eine solche Bank glänzend dastehen, hätte sie nur das Prinzip des vorsichtigen Kaufmanns angewendet.

Gleiches gilt für Industrieunternehmen, die in der Regel nichts unterlassen, um mögliche Abschreibungen zu vermeiden. Dabei ist es nicht verboten, Prämien auf akquirierte Unternehmen sukzessive abzuwerten (Goodwill-Abschreibungen), es ist erlaubt, Entwicklungskosten für Motoren oder Restwerte aus Leasing rechtzeitig zurückzuschrauben. Wer das unterlässt, bekommt in der Rezession die Quittung, siehe Continental, siehe Deutsche Post, siehe BMW.

Woran sich Anleger orientieren sollten

Woran aber soll sich letztendlich der Anleger noch orientieren? Bilanzierung ist ein wichtiger Teil der Unternehmenskultur. Wer etwa Aufsichtsräte, Mitarbeiter und Journalisten bespitzeln lässt, dem darf auf dem sensiblen Feld der Bilanzierung ebenfalls einiges zugetraut werden: Die Telekom wollte sich erst am Nettoergebnis messen lassen; als dieses einbrach, am Gewinn vor Steuern, Zinsen und Abschreibungen; dann wieder am Jahresüberschuss, schließlich am freien Mittelzufluss. Stetigkeit – ein Grundprinzip der Bilanzierung, egal, nach welchen Regeln – sieht anders aus.

Misstrauen ist angebracht, wenn ein Unternehmen schon mal die Vorjahreszahlen rückwirkend anpasst, um der Öffentlichkeit eine Gewinnsteigerung vorzutäuschen; wenn vergessen wird, eine Umtauschanleihe ordentlich zu bilanzieren und so der Gewinn geliftet wird; wenn über Jahre trotz desaströsen Verlaufs das US-Geschäft bilanziell nicht nach unten anpasst wird – alles passiert bei der Deutschen Post unter Klaus Zumwinkel. Auch wer Rumpfgeschäftsjahre von Töchtern zu adjustierten Pro-forma-Ergebnissen zusammenkleistert und daraus Investorenpräsentationen strickt, will nur die Schieflage eines Unternehmens verschleiern – siehe Thomas Middelhoff bei KarstadtQuelle (Arcandor).

Stress-Test wünschenswert

So liegt es letztlich einzig am Management des Unternehmens oder der Bank, wie sich über Jahre eine Bilanz entwickelt. Wer in guten Zeiten vorsichtig agiert und auch mal in Kauf nimmt, auf den ersten Blick schlechter dazustehen als mancher schwachbrüstige Wettbewerber, hat einen Puffer für Phasen hoher Zinsen oder schlechter Konjunktur. Wirklich fair wäre es, am Ende der Bilanz dem Investor, Gläubiger, Kunden und Lieferanten einen Stress-Test vorzuführen. Was passiert, wenn die Konjunktur abrutscht, der niedrig angesetzte Zinsansatz nicht mehr weiter durchzuhalten ist, wenn das Risiko von Ausfällen steigt? Mit einem solchen Test könnten Unternehmen echten Value bieten. Und die Hoffnung sei erlaubt: Eines Tages könnte etwas mehr Vorsicht dem Aktienkurs sogar nutzen.

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