Schweizer Franken Wie die Aufwertung reinknallt

Im Ski-Örtchen Samnaun im Kanton Graubünden wird wie unter dem Vergrößerungsglas die ganze Dramatik der Aufwertung des Schweizer Franken sichtbar.  

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Schweizer Exportschlager, die nun teurer werden
Ovomaltine Quelle: AP
Ricola-Bonbon
Swatch-Uhren Quelle: REUTERS
Uhr
Schweizer Taschenmesser Quelle: AP
Berge Quelle: dpa
Lindt-Schokoladenhasen

„Wie wollen Sie die Brötchen bezahlen“, fragt die Bäckerin, „in Euro oder in Franken?“ Der Kunde, ein deutscher Tourist, überlegt kurz und erkundigt sich:  „Welchen Kurs machen Sie denn?“. Sie biete 1,25 Franken für einen Euro, antwortet die Frau. „Das ist nicht viel“, sagt daraufhin der Kunde, „andere Geschäfte im Dorf geben 1,30 Franken.“  Da wird die Mittdreißigerin wütend. „Das kann ich nicht, ich weiß nicht wie die das machen“, sagt sie und schimpft: „Glauben Sie ja nicht, uns gefällt das, wir können nichts dafür, das ist der Draghi.“

Der Wortwechsel beim Bäcker über Mario Draghi, den Chef der Europäischen Zentralbank (EZB),  zeigt, wie blank die Nerven bei vielen Bewohnern des 750-Seelendorfs in der Ostschweiz liegen. Denn die Entscheidung der EZB, den Euro zu schwächen und damit nun auch die Schweizer Notenbank in die Knie zu zwingen,  trifft in Samnaun so gut wie jeden und zwar ganz direkt: den Bäcker und den Skihüttenbesitzer, die Hoteliers und die Skiliftgesellschaft, den Kellner in der Jause und die Bedienung in der Après-Ski-Bar.

Das verdankt der kleine Ort seiner ungewöhnlichen Lage. Wer von der Schweiz nach Samnaun will, muss über Österreich einreisen, weil die bis knapp 3000 Meter hohen Berge das Dorf  auf gut 1900 Meter Höhe von den übrigen Eidgenossen abschneidet. Das ließ den versteckten Flecken lange Zeit ein bescheidenes Dasein fristen. Zulauf brachte allenfalls die Zollfreiheit, die die Geschäfte eifrig nutzen, um preiswert Alkoholika, Zigaretten und Luxusuhren an Tagestouristen  zu verkaufen.

Das änderte sich, als die Samnauer in den 1970er Jahren entschieden, die Skihänge auf ihrer Seite des Tals mit denen des österreichischen Wintersportortes Ischgl jenseits des Bergkamms zu einer riesen großen Piste mit rund 250 Kilometer Abfahrt zusammenzulegen, zur Silvretta-Arena. Zwar stehen bis heute noch kleine Grenzhäuschen zwischen Viderjoch und Greitspitze und zeugen von der Grenze zu Österreich. Und manchmal sollen Zöllner auf Ski sogar noch Wintersportler überprüfen, ob sie nach der Abfahrt über den „Schmugglerpfad“  mit  einem Rucksack zollfreier Zigaretten aus Samnaun nach Österreich zurückkehren.  

 

Doch das kratzt die Leute in Samnaun und die Touristen heute kaum noch. Viel mehr schlägt ins Kontor, dass durch die praktisch offene Grenze Franken und Euro schonungslos aufeinanderprallen - und die Schweizer in der kleinen Enklave jeden Rückgang des Euro-Kurses sofort spüren. Der Grund: Die zigtausend Skitouristen in der grenzüberschreitenden Bergregion haben Möglichkeit, auf Währungsereignisse direkt zu reagieren und dorthin zu gehen, wo es das gleiche Angebot für weniger Geld gibt. Verteuert sich der Franken wie jetzt um teilweise 20 Prozent, heißt das für eine vierköpfige Familie, dass sich ein Stopp zum Germknödel und Almdudler etwa auf der Alptrida-Hütte auf Schweizer Seite schlagartig von 40 Franken auf 48 Franken verteuert. Will der Wirt verhindern, dass ihm die Kunden weglaufen, bleibt ihm nur, die Preise auch fix in Euro anzugeben. Und schon nimmt er pro Gast ein Fünftel weniger ein - bei gleichen Kosten für Löhne, Energie und Rohstoffe.

Das Gleiche passiert den Liftbetreibern auf der Schweizer Seiite, weil keiner der Skitouristen das Ticket mehr in Franken bezahlt. Früher waren die Preise im Prospekt noch in Franken und Euro angegeben. Die Liftinfos 2014/15 begnügen sich nur noch mit  Euro. Auch dies geht nicht anders, weil sonst jeder den Skipass gegenüber, auf der anderen Seite des Bergkamms in Ischgl kaufen würde. Prompt büßen die Schweizer bei einer Wochenkarte für 265 Euro durch die Aufwertung des Franken auf einen Schlag rund 50 Euro ein.

Noch hat der Tourismusverein von Samnaun auf den  explodierten Franken nicht reagiert. Denn die meisten Buchungen für die laufende Wintersaison sind bezahlt oder unterzeichnet. Aber nicht alle: Hannelore Prinz, die im Samnauner Ortsteil Compatsch zwei Appartements vermietet, musste eine erste Stornierung hinnehmen, kaum, dass der Franken so hoch geschossen war. Ein Gast, der sich für März angemeldet hatte, verweigerte die Unterschrift unter den zugesandten Vertrag und kündigte an, sich in Anbetracht der ganzen Situation mit dem Franken auf die österreichische Seite zu schlagen. "Dabei wären wir zu Verhandlungen bereit gewesen", sagt die Schweizerin. Für die kommende Wintersaison 2015/2016 steht für sie bereits fest: "Dann werden wir unsere Preise auch in Euro angeben" - und damit auf Einnahmen gegenüber heute verzichten.

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