Die Immobilienbranche ist vom britischen Abschied aus der Europäischen Union überrascht worden – das ist der einhellige Tenor auf der Handelsblatt Jahrestagung Immobilienwirtschaft am Mittwoch in Hamburg. Der Brexit trifft auch Privatanleger, die in den vergangenen Monaten in offenen Immobilienfonds ein Mittel gegen Nullrenditen bei Sparanlagen gesehen hatten und Milliarden investiert haben.
Immobilien in Großbritannien müssten von den Fonds abgewertet werden. „Zehn Prozent werden es sein“, sagt Frank Pörschke, Deutschland-Chef des Immobiliendienstleisters JLL. Offene Immobilienfonds für Kleinanleger haben rund acht Milliarden Euro in Großbritannien investiert, weit überwiegend in London. Für sie bedeutet der Brexit also einen zumindest zeitweisen Wertverlust von etwa 800 Millionen Euro.
Wer jüngst Objekte geprüft hat, kann durchatmen, wenn er nicht zugeschlagen hat. „Wir haben uns Projekte in London angesehen, die noch nicht vermietet waren“, so Frank Billand, Manager beim Fondsanbieter Union Investment Real Estate der Volks- und Raiffeisenbanken. „Wir sind froh, dass wir sie nicht gekauft haben.“
Das sagen Ökonomen zum Brexit-Entscheid
„Wir müssen einen sanften Übergang in eine neue wirtschaftliche Beziehung sicherstellen. Der IWF unterstützt die Bank von England und die Europäische Zentralbank darin, für die nötige Liquidität des Bankensystems zu sorgen und Schwankungen nach der Abstimmung zu begrenzen.“
„Der Brexit ist für die deutsche Wirtschaft ein Schlag ins Kontor.“
„Die Briten werden die Ersten sein, die unter den wirtschaftlichen Folgen leiden werden.“
„Wir erwarten in den kommenden Monaten einen deutlichen Rückgang des Geschäfts mit den Briten. Neue deutsche Direktinvestitionen auf der Insel sind kaum zu erwarten.“
„Nach einem EU-Austritt sollte niemand Interesse daran haben, mit Zollschranken zwischen Großbritannien und dem Festland den internationalen Warenverkehr zu verteuern.“
„Es wird nicht lange dauern, bis unsere Maschinenexporte nach Großbritannien spürbar zurückgehen werden.“
„Weniger Wirtschaftswachstum in den EU-Staaten und ein schwächeres Exportgeschäft werden die Konsequenzen sein.“
„Die EU-Staats- und Regierungschefs müssen schnell die dringend erforderlichen Reformen für mehr Wettbewerbsfähigkeit und Fairness im EU-Binnenmarkt in Angriff nehmen.“
"Es kommt jetzt darauf an, ob wir eine saubere oder eine schmutzige Scheidung bekommen. Es geht vor allem darum, ob Großbritannien nach einem Verlassen der EU den Zugang zum EU-Binnenmarkt behält. Wichtig ist, dass die EU jetzt nicht die beleidigte Leberwurst spielt. Sie sollte ein starkes Interesse daran haben, mit den Briten in den kommenden zwei Jahren eine saubere Trennung zu vereinbaren. Das Land ist zweitwichtigster Handelspartner der EU, nach den USA und vor China. Die EU hat ein großes wirtschaftliches Interesse daran, Zölle im Warenhandel zu vermeiden und das Land im Binnenmarkt zu behalten.
Der Brexit stellt auch ein politischen Risiko für die EU dar. Denn das wird den Anti-EU-Parteien in vielen EU-Ländern Rückenwind geben. Die Regierungen werden noch weniger als bisher mehr Europa wagen, so dass die Probleme der Währungsunion weitgehend ungelöst bleiben. Was die EZB mehr denn je zwingt, die Probleme durch eine lockere Geldpolitik zu übertünchen.
Der Brexit schafft Unsicherheit und ist insofern schlecht für die deutsche Wirtschaft. Aber wir erwarten nicht, dass der Euro-Raum in die Rezession zurückfällt. Das gilt auch für Großbritannien und erst recht für den Fall, dass sich allmählich eine saubere Scheidung abzeichnet."
"Jetzt kommt eine große Phase der absoluten Unsicherheit. Denn etwas Vergleichbares hatten wir noch nicht. Unsicherheit ist schlecht für die Wirtschaft." Der Aufschwung in Großbritannien dürfte nun weitgehend zu Ende sein, in der Euro-Zone werde er sich abschwächen. Hersteller von Investitionsgütern wie Maschinen und Autos dürften die Folgen stärker spüren. "Deutschland ist also stärker betroffen als beispielsweise Spanien", sagte Schmieding.
"Die Entscheidung der britischen Wähler für den Brexit ist eine Niederlage der Vernunft", sagte er. "Die Politik muss jetzt alles tun, um den wirtschaftlichen Schaden zu begrenzen. Dazu gehört es, sicherzustellen, dass Großbritannien so weit wie möglich in den Binnenmarkt integriert bleibt." Es sei wichtig, die Verhandlungen darüber möglichst schnell zum Abschluss zu bringen, damit die Phase der Unsicherheit über die künftigen Wirtschaftsbeziehungen möglichst kurz bleibe.
"Die Finanzmärkte werden einige Tage brauchen, um den Schock zu verarbeiten. Die Politik muss jetzt versuchen, das Beste aus einer Entscheidung zu machen, die die EU schwächt. Das wird lange brauchen. Und so lange wird Unsicherheit das Geschehen prägen, zumal die Fliehkräfte in anderen EU-Ländern stärker zutage treten werden. Das Ergebnis kann auch die Nicht-Mainstream-Parteien in Spanien stärken, wo am Sonntag gewählt wird. Bis gestern hatte Europa ein Problem, jetzt ist erst mal Panik."
"Das Ergebnis des Referendums ist kein gutes Signal für Europa. Aber es ist vor allem kein gutes Signal für Großbritannien. Die politischen Strukturen der EU sind stark. Und anders als bei einem 'Grexit', also dem Ausscheiden eines Landes aus der Währungsunion, für das es keine rechtliche Grundlage gibt, ist die Prozedur für das Ausscheiden eines Landes aus der EU rechtlich klar geregelt. Die Folgen für den europäischen Integrationsprozess werden weniger gravierend sein, als jetzt oft vorschnell beschrieben. Auch wenn es schwierig wird: Die EU kann einen Austritt Großbritanniens verkraften.
Innerhalb Europas sollte der Fokus der nächsten Monate auf der Vertiefung des Euro-Raums liegen. Die Euro-Krise ist immer noch nicht ausgestanden. Die EZB hat die Grenze ihres Mandats erreicht. Nun müssen sich die Euro-Länder so schnell wie möglich auf einen Stabilisierungsplan einigen, der sowohl mehr Risikoteilung (vor allem schwierig für Deutschland) als auch mehr Souveränitätsteilung (vor allem schwierig für Frankreich) umfasst. Allerdings ist für einen solchen Plan kaum Zeit."
"Jetzt wird es turbulent an den Finanzmärkten. Das Pfund ist bereits auf einem 30-Jahres-Tief gegenüber dem Dollar. In absehbarerer Zeit sollten wir aber wieder eine Erholung sehen. Die Finanzmärkte fragen sich jetzt: Wie sieht das neue Verhältnis zwischen EU und Großbritannien aus? Die Briten könnten künftig Mitglied des Europäischen Wirtschaftsraums (EWR) werden, wie Norwegen. Ich gehe nicht davon aus, dass das Verhältnis EU-Großbritannien damit beendet ist. Die EU wird das Land nicht am langen Arm verhungern lassen.
Mit dem heutigen Tag ändert sich erst einmal gar nichts. Es wird jetzt Verhandlungen mit der EU geben. So lange bleibt GB Vollmitglied der EU, also die nächsten zwei Jahre. Ich gehe nicht davon aus, dass sich die wirtschaftliche Lage dramatisch verändern wird. Die Briten dürften es aber merken: Die dortigen Unternehmen dürften jetzt Investitionen überdenken. Aber ich denke nicht, dass das Land nun in eine Rezession fällt."
Das Pfund hat seit vergangener Woche rapide an Wert verloren und notiert am Mittwoch bei 1,3425 Dollar nach noch 1,50 Dollar vor weniger als einer Woche. Außerdem sind Zweifel laut geworden, dass London vor allem für die Finanzbranche an Attraktivität verlieren könnte. Das heißt, das wichtige Mieter aus der Londoner City abwandern könnten.
Für Blackstone-Deutschland-Vertreter Andreas Hardt wird London trotz des schwachen Pfunds kein Schnäppchenmarkt für neue Käufe – auch wenn London derzeit für Investitionen billiger sei als München, sagte er auf der Konferenz. Einzig mittelfristig werde London ein wichtiger Markt für die Branche bleiben, hieß es auf der Tagung.
Grund für die Verunsicherung: Die Briten hätten offensichtlich keinen Plan haben, wie es weitergehen solle. Andreas Hard, Geschäftsführer Blackstone PM (Germany) und Union-Geschäftsführer können sich ein zweites Referendum vorstellen, in dem über die Abkehr vom Ausstieg entschieden werden könnte.
Trotz des Chaos in der britischen Politik und der Unruhe an den Finanzmärkten, versicherte JLL-Manager Pörschke: „Es droht kein neues 2008.“ Die Pleite der US-Investmentbank Lehmans hatte im Herbst 2008 die Finanzmärkte ins Chaos gestürzt und die Immobilienmärkte mitgerissen. Deutsche Immobilien-Kleinanleger traf die Schließung mehrerer offener Immobilienfonds besonders hart. Sie mussten später abgewickelt werden, ein Prozess der bis heute noch nicht abgeschlossen ist. Anleger verloren bis zur Hälfte ihres Immobilienfonds-Vermögens.
Mieten für Büros steigen langsam
Der Grund für die weniger pessimistische Erwartung: Die Branche rechnete bereits vorher mit einem Rückgang der Transaktionsvolumina in diesem Jahr gegenüber 2015. In Großbritannien seien die Umsätze im Gewerbeimmobilienmarkt im ersten Quartal bereits um ein Drittel zurückgegangen, so Pörschke. JLL-Wettbewerber BNP Paribas Real Estate ermittelte sogar fast 40 Prozent Minus auf 13,9 Milliarden Euro. Wenn die Branche von Großbritannien spricht, meint sie im Grunde genommen London – den mit Abstand umsatzstärksten Markt in Europa.
Das Investitionsvolumen geht aber nicht aus Mangel an Mitteln zurück. „Geld ist im Überfluss vorhanden“, so Pörschke. Die Kassen der großen Immobilienkäufer, etwa der von Finanzinvestoren, sind unverändert prall gefüllt. Mit den fünf größten Immobilientransaktionen waren im ersten Quartal 14,6 Milliarden Euro umgesetzt worden, doppelt so viel wie im Jahr zuvor. Investierten Versicherer in Europa im Jahr 2006 noch rund sieben Milliarden Euro direkt in europäische Gewerbeimmobilien, waren es 2015 laut JLL fast dreimal so viel.
Darüber hinaus kaufen Versicherer auch indirekt über Fonds Gebäude – in Deutschland häufig über offene Spezialimmobilienfonds für Profi-Anleger, deren Anlagevolumen seit Jahren wächst. Ein Beispiel für die Lust auf Immobilien ist die Allianz, einer der größten Investoren unter den Versicherern weltweit. Die Münchener wollen mittelfristig ihr weltweites Immobilienvermögen einschließlich Immobilienkredite von 45 auf 60 Milliarden Euro erhöhen, sagt Annette Kröger, Chefin von Allianz Real Estate Germany.
Die Allianz stößt dabei wie alle anderen auf ein knappes Immobilienangebot. Und die Nachfrage wird weiter zusätzlich durch die niedrigen Zinsen gepuscht. Auch daran wird sich so schnell nichts ändern. „Der Brexit wird zu einer Verlängerung der Niedrigzinsphase führen“, erwartet Michael Hüther, Direktor Institut der deutschen Wirtschaft (IW). Je länger die Niedrigzinsphase daure, desto größer sei das Risiko von Fehlallokation von Kapital. Dies gelte vor allem dann, wenn das Immobilienangebot nicht ausgeweitet werde. Allerdings stellte Hüther auch klar: „Wir sehen keine Blase.“
Aber es ist damit zu rechnen, dass die Mietrenditen weiter abnehmen, weil die Immobilienwerte stärker steigen als die Mieten. Pörschkes Einschätzung für deutsche Büroimmobilien: Die Kapitalwerte steigen um fünf Prozent, die Mieten nur um zwei Prozent.
Die Mietrenditen fallen bereits seit mehreren Jahren. In den fünf Immobilienhochburgen Berlin, Düsseldorf, Frankfurt, Hamburg und München steuert die durchschnittliche Mietrendite für Spitzenbüroobjekte auf die vier Prozent-Marke zu, ist damit aber auch vier Prozentpunkte höher als die sich um null Prozent bewegende Rendite zehnjähriger Bundesanleihen.