Europa Ohne den Euro ist alles nichts!

Wir müssen die gemeinsame Währung gegen nationale Egoismen verteidigen. Sonst gibt es kein geeintes Europa mehr. Und dann steht nichts Geringeres auf dem Spiel als unsere Zivilisation.

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Helmut Schmidt Quelle: dpa

Das Jahr 2010 hat unsere Bundesregierung nicht ganz auf der Höhe der Zeit gezeigt – nicht in Sachen Europa und nicht in Sachen Euro. Wer sich als Europäer an die Behandlung der griechischen Schuldenkrise erinnert, an die deutschen Vorwürfe und an die Bekundungen deutscher Sparsamkeit, der hätte sich stattdessen damals die Erklärung durchgreifender deutscher Hilfsbereitschaft gewünscht.

Durchgreifend in mehrfachem Sinne, nämlich erstens die Gläubiger griechischer Staats- und Bankschulden durch ein großzügiges Hilfsangebot überzeugend; zweitens an Bedingungen gekoppelt für das künftige ökonomische und fiskalische Verhalten Griechenlands; und drittens damit zugleich den global spekulierenden privaten Finanzinstituten die prinzipielle Hilfsbereitschaft auch für spätere andere Fälle signalisierend. Stattdessen hat die deutsche Unentschlossenheit eine Phase gemeineuropäischer Entschlusslosigkeit herbeigeführt und dadurch zur Spekulation gegen Irland, Portugal und andere Länder eingeladen.

Zwar hat Deutschland schließlich geholfen, aber nach allerhand Schwierigkeiten, nach überflüssigen negativen Ankündigungen und mancherlei markigen Worten. Bisweilen schien es, als ob es der Bundesrepublik allein um taktische Vorteile ging und vornehmlich um eine möglichst kleine finanzielle Belastung. Auch die heutige, meist aus England und aus den USA herüberschwappende Diskussion um die Zukunft hoch verschuldeter Mitgliedsstaaten der EU lässt uns Deutsche nicht in gutem Licht erscheinen.

In dieser Lage scheint es notwendig, uns Deutsche an unsere Geschichte der vergangenen 60 Jahre zu erinnern. Im Gegensatz zu Kurt Schumacher und zur SPD akzeptierten Konrad Adenauer und die CDU/CSU 1950 den Schuman-Plan, später die sogenannte Wiederbewaffnung und die Bindung der Bundesrepublik an den Westen. Als Willy Brandt und die Sozialdemokraten – nach drei Jahren Vorlauf in der Großen Koalition – 1969 an die Regierung kamen, erfüllten sie selbstverständlich alle vorgefundenen Verträge. Sie stimmten für den weiteren Ausbau der europäischen Integration und für die Erweiterung zur Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft. Sie setzten gegen den Willen der CDU/CSU die neue Ost- und Deutschlandpolitik und den vertraglichen Verzicht auf deutsche Atomwaffen durch; sie beteiligten sich gegen den Willen der CDU/CSU-Opposition an der Helsinki-Konferenz 1975 und unterzeichneten deren Schlussakte – einschließlich des Bekenntnisses zu den Menschenrechten; sie modernisierten die Bundeswehr und wehrten sich gegen die vornehmlich gegen Westdeutschland gerichtete neue sowjetische Drohung mit atomaren Mittelstreckenraketen durch den Nato-Doppelbeschluss. Als Helmut Kohl 1982 wieder die CDU/CSU ans Ruder brachte, akzeptierte er alle diese Akte. Zu seiner Zeit öffnete sich 1989 im Osten die Chance zur Vereinigung ganz Europas und zugleich Deutschlands. Die SPD und an ihrer Spitze Oskar Lafontaine erhoben Einwände. Aber als 1998 die SPD unter Gerhard Schröder wieder ans Ruder kam, akzeptierte sie, was Helmut Kohl 1990 im Zwei-plus-Vier-Vertrag und 1991/92 in Maastricht verabredet hatte. Ebenso hielt es danach die Große Koalition unter Merkel.

Auch wenn seit 1949 die jeweilige Oppositionspartei auf das Heftigste die jeweilige Bundesregierung kritisiert hat, so hat doch jede neue Regierung ohne zu zögern die Sicherheits- und Verteidigungspolitik, die Deutschlandpolitik und ebenso nachhaltig den Ausbau der europäischen Integration fortgesetzt. So haben dann auch Schröder und Merkel die unter Kohls Mitwirkung beschlossene Euro-Währung tatkräftig verwirklicht und aufrechterhalten.

Diese Stetigkeit der Bundesrepublik Deutschland ist bis heute einer der unverzichtbaren Faktoren in der Entwicklung des gemeinsamen Marktes, der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, der Europäischen Union – und der Abschreckungskraft des Nordatlantischen Bündnisses gegenüber der damals bedrohlichen Sowjetunion – und zuletzt der neuen weltweiten Euro-Währung gewesen.

Schrumpfendes Europa

Der über 60 Jahre langen Geschichte gemeinsamer Politik aller bisherigen Bundesregierungen in Bonn und in Berlin lag – trotz allen parteipolitischen Getümmels und trotz aller abwegigen Opposition – eine entscheidende Einsicht zugrunde: Die Integration Europas liegt sowohl im langfristigen strategischen Interesse der damals noch geteilten, heute vereinten deutschen Nation als auch im Interesse aller anderen europäischen Nationalstaaten.

Der große Franzose Jean Monnet hat schon im Jahr 1950 gewusst und es auch gesagt, dass die Zusammenfügung einer Mehrzahl von europäischen Nationalstaaten zu einer dauerhaft gemeinsam agierenden Gemeinschaft ein in der Weltgeschichte bisher nirgendwo vorgekommenes Vorhaben darstellt. Dass es deshalb dafür keinen endgültigen Plan geben kann und man schrittweise vorgehen muss.

Wir befinden uns immer noch in diesem schrittweisen Prozess. Aber schon seit zwei Jahrzehnten hat dieser Prozess sich nach Osten ausgedehnt. Vor allem hat er uns Europäern mehr als 60 Jahre Frieden gegeben. Ganz anders als in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, ganz anders als im 19. Jahrhundert: Kein großer Krieg in Europa! Zugleich ist eine Europäische Union entstanden, die weder Staatenbund ist noch Bundesstaat, sondern vielmehr etwas ganz Neues, etwas ganz Eigenartiges – und etwas zugleich immer noch Unfertiges!

Wir haben keine gemeinsame Sprache. Wir haben eigentlich nicht einmal eine gemeinsame Religion, denn Katholiken und Protestanten haben sich jahrhundertelang bekämpft – auch mit Waffen, und gemeinsam haben sie die Juden und die Muslime verfolgt und unterdrückt. Wohl aber haben wir eine große Zahl gemeinsamer Grundwerte. Wir sind alle von der Notwendigkeit der Grundrechte überzeugt. Wir sind gemeinsam Kinder der Aufklärung. Wir haben unsere Staaten und unsere Kirchen und Religionsgemeinschaften voneinander getrennt. Wir haben alle innerhalb unserer Staaten ein System der Gewaltentrennung etabliert. Wir sind gemeinsam von den Vorzügen der parlamentarischen Demokratie überzeugt. Und darüber hinaus haben wir die Musik gemeinsam, die Kunst und große Teile unserer Literatur. Wir dürfen stolz von einer gemeinsamen europäischen Zivilisation sprechen, die sich mit bedeutenden Ausläufern sogar auf Russland, auf Nord- und Südamerika und auf andere Teile der Welt auswirkt.

Inzwischen hat sich die Lage der Welt gewaltig verändert. Wir erleben die wachsende Bedeutung Chinas, Indiens, Russlands, Brasiliens oder der Opec für die Weltwirtschaft. Wir erleben den stetigen Aufstieg bisheriger Entwicklungs- und Schwellenländer. Wir erleben gleichzeitig eine wissenschaftliche, eine technologische und eine ökonomische Globalisierung, eine Globalisierung der Angebote und der Nachfragen. Und wir müssen wissen: Am Ende des 21. Jahrhunderts werden wir Europäer nur noch etwa fünf Prozent der Weltbevölkerung ausmachen.

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