Moralisch mag Bartholdi die Argumente auf ihrer Seite haben, juristisch ist ihr Vorgehen jedoch umstritten. Der Finanzdirektor von Solothurn, Christian Wanner, hält die öffentliche Nennung von Steuersündern eindeutig für unzulässig. Die kantonale Beauftragte für Datenschutz hatte ebenfalls empfohlen, auf die Veröffentlichung der Namen zu verzichten. Das Verwaltungsgericht beschäftigt sich bereits mit der Rechtmäßigkeit des Steuerprangers. Datenschützerin Judith Petermann Büttler ist sogar der Auffassung, dass die Aktion wegen des laufenden Gerichtsverfahrens hätte verschoben werden müssen. Bartholdi könnte sich daher einem Strafverfahren wegen Amtsgeheimnismissbrauch gegenübersehen.
Aber das schreckt sie offenbar nicht. Der Gemeinderat ist der Ansicht, dass das öffentliche Interesse höher als der Datenschutz zu gewichten ist. Auf die Frage der Aargauer Zeitung, ob sie denn nach der Aktion beschimpft oder sogar bedroht worden sei, antwortete Bartholdi: „Bislang zum Glück nicht. Als ich am Mittwochmorgen meine Mails gecheckt habe, stand es 88:2 für mich.“
Andere Gemeinderäte äußerten denn auch durchaus Verständnis – und loben Bartholdi damit für ihren Mut. "Ich würde es gerne genauso machen. Aber ich scheue die rechtlichen Konsequenzen", sagt etwa der Salmsacher Gemeindeamtmann Kurt Helg gegenüber der Zeitung Tagblatt. Thomas Müller, Stadtpräsident von Rorschach, ist gleicher Meinung: "Der mittelalterliche Pranger hatte auch seine Vorteile."
"Mutig" nennt er den Schritt der Egerkinger Gemeindepräsidentin - selbst gehen würde er ihn allerdings ebenfalls nicht. Walter Grob, Gemeindepräsident von Teufen, hält das Vorgehen hingegen für falsch. "Das oberste Gebot für Gemeinden ist es, sich rechtmäßig zu verhalten – und nicht so, wie sie es vielleicht gerne möchten", sagte er dem Tagblatt.
Die Website Blick.ch hat eine Umfrage unter Schweizer Gemeinden und Städten gemacht, um zu erfahren, wie hoch die Verluste durch Steuerverweigerer sind. In der Regel geht den Stadt- und Gemeindekassen bis zu ein Prozent der Steuereinnahmen so durch die Lappen. In Luzern, Aargau und Zürich sind dies demnach pro Jahr Steuerausfälle von jeweils 20 Millionen Franken. In St. Gallen fehlen sogar 65 Millionen Franken am Jahresende in der Kasse. Dort fehlen sogar 3,2 Prozent der Vermögens- und Einkommensteuern. Aber auch wenn der Steuerpranger vielleicht nützen würde, will die Finanzdirektion dieses Mittel nicht einsetzen. Vizedirektor Hubert Hoffmann hält das für „rechtlich mehr als fragwürdig.“