Streitfall des Tages Wie man sich gegen Auslandsknöllchen wehrt

Behörden aus EU-Ländern können Strafzettel von deutschen Autofahrern seit 2010 erheblich einfacher einfordern. Doch nicht immer sind sie im Recht. Was zu tun ist, wenn der Strafzettel ungerechtfertigt ausgestellt wurde.

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Der Schmu des Tages. Illustration: Tobias Wandres

Der Fall
Monika L. * (Name der Redaktion bekannt) aus Pulheim im Rheinland ist ein Fan der Niederlande. Eigentlich. Wann immer sich die Gelegenheit bietet, fährt die Einundfünfzigjährige an die holländische Küste. Doch die Begeisterung für den Nachbarstaat hat sich merklich gelegt, seit sie zwei Strafzettel über insgesamt mehr als 300 Euro kassiert hat – beide für zu schnelles Fahren.

Monika L. ist zum besagten Zeitpunkt aber nicht selbst in Holland gewesen, sondern hat ihr Fahrzeug an einen Bekannten verliehen und hat daher die Geschwindigkeitsübertretungen nicht selbst begangen. Sie will gegen die Auslandsknöllchen vorgehen und schaltet den ADAC ein, der sie erst einmal über die Rechtslage aufklärt.

Die Rechtslage
Seit Ende Oktober 2010 können Bußgelder aus der Europäischen Union auch in Deutschland schnell und direkt vollstreckt werden – Autofahrer, die bislang die Strafzettel nach Auslandsbesuchen ignoriert haben, gehen also ein höheres Risiko ein, dass die Strafen automatisch vollstreckt werden. Das deutsche Bundesamt für Justiz in Bonn ist für die Vollstreckung ausländischer Bußgelder zuständig und hat nach eigenen Angaben immer mehr zu tun.

 

Die Relevanz
„Die ersten Ersuche aus dem EU-Ausland haben uns im Frühjahr 2011 erreicht – insgesamt sind es dann im Jahr 2011 rund 2.900 Ersuche gewesen. Im Jahr 2012 waren es dann schon über 6.000 Ersuche – die meisten stammen aus den Niederlanden und betreffen Verkehrsordnungswidrigkeiten“, erklärt Thomas W. Ottersbach vom Bundesamt für Justiz in Bonn. Bisher haben nach Angaben des Amtes zwar noch nicht alles europäischen Länder das Abkommen ratifiziert, so fehlen beispielsweise Italien, Irland und Griechenland, doch die Ersuche um Amtshilfe steigen ständig. 

Besonders eifrig beim Eintreiben säumiger Autofahrer sind die Niederlande. Sie  vollstrecken konsequent über das Bundesamt für Justiz – von den fast 2.900 vollstreckten Strafzetteln des Bundesamtes aus dem Jahr 2011 stammten mehr als 2300 aus Holland.

„In den Niederlanden beispielsweise können Verkehrsverstöße schnell sehr teuer werden, denn die Bußgelder sind hier deutlich höher als in Deutschland – wer beispielsweise innerorts 20km/h zu schnell fährt, muss mit 173 Euro rechnen, telefonieren am Steuer kostet sogar 220 Euro“, erklärt Polizeihauptkommissar Christoph Becker vom Polizeipräsidium in Münster. Wird der Betrag nach zwei Mahnungen nicht bezahlt, kommen noch einmal 50 Prozent an Aufschlägen und Verwaltungsgebühren hinzu – Punkte oder Fahrverbote wie in Deutschland gibt es für im Ausland begangene Verstöße allerdings nicht.

 


So vollstrecken ausländische Behörden

Mindestbetrag 70 Euro
Vollstreckt werden allerdings nicht alle Bußgelder – sondern nur solche ab einem Betrag von mindestens 70 Euro. Diese so genannten Geldsanktionen nach Paragraf 87, Absatz 3 IRG beinhalten sowohl das Bußgeld – beispielsweise für Straßenverkehrsverstöße oder Verstöße gegen Lenk- und Ruhezeiten als auch die Verfahrenskosten.

Vollstreckt wird also inklusive Verfahrenskosten, die Grenze von 70 Euro ist nach Angaben des ADAC auch dann erreicht, wenn die Geldbuße beispielsweise 50 Euro und die Verfahrenskosten 25 Euro betragen – denn die Summe lautete auf 75 Euro.

Ablauf des Vollstreckungsverfahrens 
Wenn einem deutschen Autofahrer in einem europäischen Mitgliedstaat ein Strafzettel erteilt wurde und er diesen nicht bezahlt, kann das Nachbarland das Bundesamt für Justiz um die Vollstreckung der nicht bezahlten Geldsanktion in Deutschland bitten.

Das Amt prüft dann in einem ersten Schritt die von der ausländischen Stelle vorgelegten Unterlagen in Bezug auf die Zulässigkeit der Vollstreckung. Wenn dieser nach Ansicht des Bundesamt für Justiz nichts entgegensteht, kann sich der Betroffene innerhalb von zwei Wochen zu dem Vorwurf äußern.

Dann entscheidet das Amt über die Bewilligung der Vollstreckung und stellt diesen Bewilligungsentscheid dem Betroffenen zu. Der kann gegen diesen Bewilligungsbescheid wiederum binnen zwei Wochen Einspruch erheben. Erhebt der Betreffende keinen Einspruch, ist die Entscheidung rechtskräftig. Wer dann nicht fristgerecht bezahlt, kommt ins Vollstreckungsverfahren.

Kein Widerspruch im Vollstreckungsverfahren 
Ist das Vollstreckungsverfahren erst einmal angelaufen, kann sich der Betroffene nicht mehr gegen den ursprünglichen Tatvorwurf der ausländischen Behörde wehren, erläutert der ADAC. Denn das Bundesamt für Justiz prüft nicht die materielle Rechtmäßigkeit des Tatvorwurfs, sondern nur die korrekte Einhaltung der formellen Wege. Einwände gegen den Tatvorwurf selbst können nur im Tatortland im Rahmen des dort vorgesehenen Rechtsweges vorgebracht werden. Hier ist es häufig sinnvoll, auf einen ADAC-Vertrauensanwalt vor Ort zurückzugreifen. Außerdem müssen die im Tatland geltenden Rechtsfristen eingehalten werden.


Automobilclubs raten, sich zu wehren

Was tun, wenn das Bußgeld zu Unrecht erhoben wird?
Automobilclubs wie der ADAC raten Autofahrern dazu, sich gegen die unberechtigt erhobenen Strafzettel zu wehren. Das kann aber ausgesprochen schwierig und langwierig werden, wie auch Monika L. feststellen musste. Außerdem muss sich jeder klar machen: „Das Bundesamt für Justiz prüft nur die Rechtmäßigkeit der Vollstreckung im Rahmen eines Vollstreckungshilfeersuchens – also formelle Gründe. Die tatsächliche Rechtmäßigkeit des Anspruchs überprüfen die Bonner nicht“, erklärt Bernd Gstatter, Experte für internationales Recht beim ADAC in München.

Beispielsweise wird nicht vom Amt vollstreckt, wenn der zugestellte Bescheid aus dem Ausland nicht ins Deutsche übersetzt wurde. Oder, wie in einigen europäischen Nachbarstaaten üblich, von einer Halter- und nicht von einer Fahrerhaftung ausgegangen wurde.

 

Widerspruch besser mit Rechtsschutz
„Ist der Tatvorwurf unberechtigt, hilft nur der Rechtsweg des jeweiligen Landes – was sehr schwierig werden kann, denn einige Länder akzeptieren Einwände nur in der jeweiligen Landessprache“, erklärt Bernd Gstatter weiter. Und das kann teuer werden – denn sicherheitshalber sollte der Widerspruch durch einen Anwalt in der Landessprache formuliert werden, der auch dort zugelassen ist.

Das Fazit
Monika L. aus Pulheim hatte Glück – sie ist zwar ein Fan der Niederlande, aber an den beiden besagten Daten war ein Freund mit ihrem Fahrzeug im Reich von König Alexander unterwegs. Und eine Vollstreckung von Bußgeldern auf Basis der Halterhaftung, wie sie beispielsweise in Frankreich, Italien und den Niederlanden rechtmäßig ist, verweigern die deutschen Behörden – und Monika L. hat fristgerecht im Ausland Einspruch eingelegt.

 

Links zum Thema
Was Verkehrssünder im Ausland zahlen: Eine Übersicht vom ADAC

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