Elfenbeinkunst Bewährung für ein verspieltes Ross

Für knapp 297.000 Euro ersteigerte ein deutscher Kunsthändler 2010 in Wien ein Elfenbeinpferd. Später wurde der Kauf wegen Zweifeln rückgängig gemacht. Aus purer Kulanz, wie die Experten des Auktionshauses im Kinsky betonen. Am 9. November 2011 dreht das Kunstkammer-Objekt nun die zweite Runde im Auktionssaal.

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Pferd aus Elfenbein, entstanden zwischen 1680 und 1720 im Umkreis von Matthias Steinl (1643/44-1727) bzw. Ignaz Elhafen (1658 - vor 1715) oder im 19., frühen 20. Jahrhundert. Quelle: im Kinsky, Wien

Wien. Die Entzauberung von Sensationspreisen findet meist diskret hinter den Kulissen statt, dann und wann auch in aller Öffentlichkeit. Aktuell etwa im Falle eines Kunstkammerobjekts, das einen unter Experten geführten Disput auslöste, der trotz mehrerer Gutachten nicht beendet scheint. Im Mittelpunkt steht ein aus Elfenbein geschnitztes Pferd ehemals ungarischer Adelsprovenienz. Es wurde dem Vater eines deutschen Privatbesitzers in den 1950er-Jahren als Arzthonorar überlassen.

Im November vergangenen Jahres zierte es den Katalog zur 81. Kinsky-Auktion vom 9. November 2010. Datiert war es in die zweite Hälfte des 17. Jahrhunderts und zugeordnet dem Umkreis des kaiserlichen „Kammerbeinstechers“ Matthias Steinl (1643/44-1727). Den ursprünglichen Auftraggeber wähnte man im Umfeld des Wiener Hofes, schlicht weil Elfenbeinarbeiten dieser Güte und jener Zeit nur für einen überschaubaren Personenkreis zu  finanzieren waren. Die im Katalog angeführten Vergleichsbeispiele, von Königen und Kaisern „berittene“ Varianten, stammten aus der Sammlung des Kunsthistorischen Museums (KHM) in Wien.

Verzehnfachung der Taxe

Am Tag vor der Auktion lagen bereits schriftliche Gebote vor und besichtigte auch Johann Kräftner in Begleitung des Pariser Kunsthändlers Alexis Kugel das Objekt. Letztlich habe er sich mit dem Pferdchen nicht hundertprozentig anfreunden können, erklärt der Direktor der Sammlung des Fürsten von und zu Liechtenstein rückblickend. Aus mehreren Gründen, aber auch wegen der Anatomie. Ästhetisch irgendwie unbefriedigend, so sein finales Urteil. Andernfalls hätte es seinem Beuteschema entsprochen.

Andere waren von der Qualität überzeugt, wie der Verlauf der Auktion deutlich machen sollte. In einem mehrere Minuten dauernden Gefecht unter mehreren Interessenten stiegen die Gebote weit über die angesetzte Taxe von 15.000 bis 30.000 Euro. Ein Saalbieter blieb besonders beharrlich, konkret Achim Neuse, der das exquisite Kunstkammer-Ross mit diskretem Kopfnicken von der Koppel führte. 245.000 Euro hatte der Kunsthändler aus Bremen bewilligt, zuzüglich der Käuferprovision bezahlte er insgesamt 296.750 Euro. Ein sensationeller Preis, berücksichtigt man den ursprünglichen Schätzwert. Folglich mussten Neuse und sein Geschäftspartner Volker Wurster überzeugt gewesen sein, ein Werk des legendären Wiener Barockschnitzers erworben zu haben. Und die Branche vermutete ein baldiges Wiedersehen auf der Antiquitätenmesse Tefaf in Maastricht. Dazu kam es nicht.

Das Geschäft wurde rückgängig gemacht

Wann erste Zweifel aufgetaucht waren, ob von Kollegen geschürt oder wissenschaftlich untermauert, Neuse will auf aktuelle Anfrage weder das eine noch das andere kommentieren. Man sei nicht mehr der Eigentümer und „gucke lieber nach vorne“. Aufgrund eines Gutachtens wurde das Geschäft mittlerweile rückgängig gemacht, aus purer Kulanz wie Michael Kovacek betont, da man einen Prozess gewonnen hätte. Denn der verantwortliche Kinsky-Experte ist felsenfest davon überzeugt, dass etwa an der Datierung nicht zu rütteln sei.

Im Gegenteil, neueren Recherchen zufolge ließe sich diese um 1700 abzäunen. Nein, eine naturwissenschaftliche Analyse, so sei ihm von entsprechenden Institutionen bescheinigt worden, mache keinen Sinn. Elfenbein verfüge über zu wenig mineralisches und organisches Material, um Zeiträume unter 200 bis 300 Jahren eingrenzen zu können. Zumal man ja auch einen alten Stoßzahn hätte verarbeiten können, so der Nachsatz.

Edles Ross oder falscher Gaul?

Das dem Auktionshaus vorliegende Negativ-Gutachten verfasste Eike Schmidt. Am 14. Februar 2011 hatte der Kurator am Minneapolis Institute of Arts – heuer auch Debütant in der Tefaf-Jury – das Pferdchen in Augenschein genommen und fasste seine Meinung wenige Tage später schriftlich zusammen. Sein Fazit: Auf der Basis stilistischer Kriterien sowie technischer und anatomischer Merkmale könne er sich der Steinl-Zuschreibung nicht anschließen und ordne es deshalb als „charakteristisch für die Fälscherwerkstätten des 19. und frühen 20. Jahrhunderts“ ein.

Ein hartes Urteil, denn bei aller Weitschweifigkeit, mit der etwa Mähne und Schweif analysiert wurden, Vergleiche zu Arbeiten anderer zeitgenössischer Barockschnitzer blieb Schmidt schuldig. Im KHM stießen Kinsky-Experten bei aktuellen Recherchen etwa auf ein Relief von Ignaz Elhafen (1658 bis vor 1715), das partielle Ähnlichkeiten in der anatomischen Darstellung aufweist. Für Michael Kovacek ist dies ein weiterer Beweis dafür, dass der Bildschnitzer mit Elfenbeinarbeiten des Kaiserhauses vertraut gewesen sein muss und die „Zuchtlinie“ damit im Umfeld von Steinl oder Elhafen zu finden sei, zeitlich nunmehr auf 1680 bis 1720 eingegrenzt.

Spielerische oder unnatürliche Pose?

Die von Eike Schmidt als „Absonderlichkeit“ beanstandete Montierung – „durch Aufspießung auf der Unterseite des Bauches wie ein Karussellpferd“, für die er „keinen Parallelfall“ kenne – entlockt Kovacek ein müdes Lächeln, handelt es sich bei dieser doch um eine deutlich spätere. „An den Hufen der Hinterhand“, die entsprechend dem dargestellten Bewegungsablauf wohl ursprünglich vorgesehene Position, seien laut dem Gutachten „keinerlei Bohrungen oder andere Spuren einer ehemaligen Montierung festzustellen“. Im Gegenteil, so Kovacek, ebendort befinden sich kleine Bohrlöcher, womit zeitgleich die monierte „unnatürlichen Haltung des Pferdes“ widerlegbar ist und eine spielerische Pose des Hengstes wahrscheinlicher wird.

Nicht gedrechselt, sondern geschnitzt

Nicht das einzige Detail, das Schmidt übersehen haben dürfte: Den Schweif bezeichnet er als „technisch komplexes“ und „typisches Drechsel-Kunststück“, eine Technik, für deren Beherrschung aber „im Oeuvre Steinls jedweder Hinweis“ fehle. Nun, die ursprüngliche und 2010 im Katalog angeführte Annahme, dass dieser an der Drechselbank ausgeführt wurde, erwies sich als Irrtum. Der Schweif sei geschnitzt und keinesfalls gedrechselt, ließ sich Michael Kovacek zwischenzeitlich von Fachleuten belehren. Um diese und die anderen jüngsten Erkenntnisse ergänzt, dreht das in „Wien, um 1700“ gefertigte „Elfenbeinpferd in spielerischer Pose“ zur Taxe von 30.000 bis 50.000 Euro exakt 365 Tage später im Rahmen der 87. Auktion am 9. November nun die nächste Runde.

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