Anlegerschutz Zertifikate verbieten?

Die Lehman-Pleite hat die an Privatanleger verkauften und oft riskanten Papiere ins Visier der Politik gerückt. Jetzt soll eine strengere Regulierung Sparer vor Verlusten schützen. Die WirtschaftsWoche hat Verbraucherschutzministerin Ilse Aigner und Gerhard Schick von den Grünen befragt und die wichtigsten Antworten gegenüber gestellt.

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Ilse Aigner, Bundesministerin für Ernährung (CSU) Quelle: Birgit Lang

Banken und Sparkassen haben Sparern, die eine sichere Anlage suchten, zu oft Zertifikate ins Depot gedrückt. Anleger verloren in der Finanzkrise und nach dem Lehman-Debakel Milliarden. Einige Institute – allen voran Sparkassen in Frankfurt und Hamburg – haben Anleger zwar entschädigt. Dass Zertifikate sich zum Politikum entwickelten, wurde so aber nicht verhindert. Und so traf SPD-Chef Franz Müntefering in Hamburg mit Lehman-Geschädigten zusammen und sprach sich für die Einrichtung eines Finanz-TÜVs aus. Bundespräsident Horst Köhler forderte in seiner Berliner Rede im März, dass es „keine unregulierten Finanzräume, Finanzinstitute und Finanzprodukte“ mehr geben dürfe. Auf bis zu 30 Milliarden Euro schätzt die Bundesregierung den Schaden, der Sparern jedes Jahr durch falschen Einsatz von Zertifikaten und anderen künstlichen Wertpapieren entsteht. Nun steht dem Markt eine tiefgreifende Regulierung bevor. Sie wird sich vor allem auf drei Punkte konzentrieren:

1. Beratung statt Vertrieb. Der Gesetzentwurf fordert ausführliche Gesprächsprotokolle und eine verlängerte Haftung von Beratern. Verkäufer haften, wenn sie unbedarften Sparer hoch riskante Papiere verkaufen – wie etwa Basketzertifikate, deren Rendite davon abhängt, dass keine im Zertifikat eingerechnete Aktie schwach abschneidet. In schwierigen Börsenzeiten ist das fast unmöglich. Zudem dürfte mit dem Gesetzentwurf der Weg in die Honorarberatung geebnet sein, bei der ein neutraler Fachmann gegen Entgelt hilft, die richtigen Zertifikate auszuwählen.

2. Einfache statt komplizierte Papiere. Zertifikate sollen transparent aufgebaut sein und eine angemessene Leistung bieten. Mit dieser Forderung werden unübersichtliche Konstruktionen angeprangert: Zum Beispiel Twin-Win-Zertifikate, die dank verschiedener Optionen in jeder Börsenlage einen Gewinn abwerfen sollen – allerdings so kompliziert sind, dass selbst Profis den Kursverlauf nicht mehr nachvollziehen können. Einfache Zertifikate werden begrüßt, etwa Indexpapiere, die wie das entsprechende Börsenbarometer laufen.

3. Offenlegung der Kosten. Alle Gebühren, die Emittenten und Vertrieb bisher abzweigten, sollen auf den Tisch. Das wird das Geschäft mit komplexen Zertifikaten dämpfen; etwa mit Hedgefonds-Papieren, an denen viele Ebenen verdienen. Es soll vermieden werden, dass Gebühren den eigentlichen Wertgewinn auffressen.

Unter dem Strich dürften Anleger profitieren. Die WirtschaftsWoche fragte Verbraucherschutzministerin Ilse Aigner und Gerhard Schick, finanzpolitischer Sprecher der Grünen, wie sie künftig Zertifikateanleger vor Schäden bewahren wollen.

WirtschaftsWoche: Tausende von Sparern haben mit Zertifikaten Geld verloren. Wo muss der Gesetzgeber nachbessern, damit so etwas nicht mehr passiert?

Aigner: Wir haben den Gesetzentwurf zur Neuordnung des Schuldverschreibungsrechts auf den Weg gebracht, der das parlamentarische Verfahren bis zur Sommerpause durchlaufen soll. Darin wird der Anlageberater verpflichtet, über jede Beratung ein Protokoll zu erstellen und dem Anleger auszuhändigen. Die Verjährungsfrist bei Falschberatungen wird von drei auf zehn Jahre verlängert. Diese Vorschriften gelten auch für Zertifikate. Was weniger bekannt ist: Der Gesetzentwurf enthält auch ein Transparenzgebot für die Leistungsbedingungen von Schuldverschreibungen, zu denen auch Zertifikate gehören. Das Leistungsversprechen der Schuldverschreibung muss für denjenigen Anleger verständlich sein, an den sich die Schuldverschreibung richtet.

Schick: Als zentralen Punkt sehen wir die Kostentransparenz. Derzeit herrscht ein Wirrwarr an Kosten und Provisionsfaktoren. Hinzu kommen eingebaute Margen und unterschiedliche Kauf-Verkauf-Spannen. Der Anleger muss klar erkennen können, dass sich teilweise hinter vermeintlich trendigen Produkten hohe Gebühren verbergen. Beim Thema Bonität der Emittenten genügt es nicht, kurz dieses Risiko zu erwähnen. Im Beratungsgespräch muss es vielmehr ausführlich erläutert werden. Zudem müssen Anleger darauf hingewiesen werden, selbstständig auf die Bonitätsrisiken nach Kauf des Zertifikats zu achten.

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