Frauen an die Spitze Chefin unter Allah

Frauen gelten in vielen muslimisch geprägten Ländern als unterdrückt – tradiertes Rollenverständnis, geringe Bildungschancen, keine berufliche Karriere. Malaysia entwickelt sich zum Gegenentwurf.

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Junge, muslimische Angestellte in der malaysischen Hauptstadt Kuala Lumpur. Malaysierinnen sind im weltweiten Vergleich überdurchschnittlich ehrgeizig. Viele streben Geschäftsführer- und Vorstandsposten an. Quelle: picture alliance / ZB

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Es gibt mehrere Gründe, warum man ein Treffen mit Janet Yap nicht so schnell vergisst. Die überraschend tiefe Stimme der zierlichen Malaysierin zum Beispiel. Oder das Tattoo mit dem Namen ihrer Tochter, das sich in Form einer Pflanze über den rechten Handrücken der Unternehmensberaterin schlängelt. Und es ist nicht lange her, dass noch ein anderes Merkmal für Aufsehen sorgte: ihr Geschlecht. Denn Yap ist die erste Frau, die in Malaysia die lokale Niederlassung des internationalen Beratungsunternehmens Accenture leitet. „Ich arbeite in einer Branche, die lange Zeit von Männern dominiert wurde“, sagt die 52-jährige Informatikerin. „In den Konferenzräumen der Klienten war ich oft die einzige Frau.“

Diese Erfahrung machte Yap zuletzt aber immer seltener. Das Geschlechterverhältnis in Malaysias Chefetagen ändert sich gerade rasant und grundlegend: Weibliche Führungskräfte drängen vehement an die Spitze. Das Klischee der im Islam unterdrückten Frauen erscheint in der Unternehmenswelt des muslimisch geprägten Staates inzwischen alles andere als zutreffend. Stattdessen fallen Malaysias weibliche Führungskräfte durch einen verblüffenden Ehrgeiz und Optimismus auf. „Als ich mich in den 80er-Jahren für eine Karriere im Technologiesektor entschied, waren meine Eltern noch geschockt“, erinnert sich Yap. Sie befürchteten, ihre Tochter würde beruflich in einer Sackgasse landen. „Frauen gab es auf diesem Gebiet damals so gut wie keine. Heute wollen viele junge Frauen eine ähnliche Karriere machen.“

Das neue Geschlechterverhältnis macht sich im öffentlichen Leben deutlich bemerkbar. Wenn es um den beruflichen Aufstieg von Frauen geht, bescheinigen Studien dem südostasiatischen Land mit rund 30 Millionen Einwohnern eine Sonderstellung: Zusammen mit den Philippinen hat Malaysia laut einer Befragung des Beratungsunternehmens PwC aus Sicht junger Arbeitnehmerinnen im internationalen Vergleich die größte Geschlechtergerechtigkeit am Arbeitsplatz. Eine Untersuchung des Personaldienstleisters Hays, die Japan, China, Hongkong, Singapur und Malaysia analysierte, zeigte zudem Anfang 2016, dass malaysische Firmen mit 37 Prozent über den höchsten Anteil weiblicher Führungskräfte verfügen.


Der Ehrgeiz der Malaysierinnen tritt zutage

Vor wenigen Wochen legte das Unternehmen mit einer weiteren globalen Erhebung nach: Untersucht wurden 25 Staaten, darunter auch Deutschland, Frankreich, China und die USA. Das Ergebnis: Nirgendwo sind die befragten Frauen so ambitioniert, einen Chefposten zu ergattern, wie in Malaysia: 28 Prozent gaben an, Geschäftsführerin oder Vorstandschefin werden zu wollen.

Dagegen nannten nur 26 Prozent der malaysischen Männer solche Toppositionen als persönliches Karriereziel. Verglichen mit den globalen Durchschnittswerten tritt der Ehrgeiz der Malaysierinnen noch deutlicher zutage: In den von Hays untersuchten Ländern streben im Schnitt nur zwölf Prozent der Frauen den Chefposten an. Bei den Männern sind es 18 Prozent.

Doch was treibt die malaysischen Frauen an? Im Konferenzsaal eines Business-Hotels in Kuala Lumpur verspricht eine Veranstaltung Antworten. Die deutsche Konrad-Adenauer-Stiftung hat in der malaysischen Hauptstadt gemeinsam mit einem ortsansässigen Managementinstitut zum „Female Leadership Forum“ geladen. Rund 100 weibliche Führungskräfte sind gekommen. Viele tragen Kopftuch und Abaya, ein traditionelles Kleid in der muslimischen Kultur.

Im dunklen Hosenanzug und Pumps dagegen steht auf der Bühne eine Person, die weiß, wie Malaysias ambitionierte Frauen ticken – denn sie ist eine von ihnen. Anne Abraham war Geschäftsführerin erst von SAP und später von Cisco in Malaysia. Vor fünf Jahren machte die Malaysierin sich selbstständig mit einer Personalberatung. Die Headhunterin bringt Arbeitgeber, die vakante Chefpositionen zu besetzen haben, mit qualifizierten Kandidatinnen zusammen.

Abraham fragt die Damen im Publikum, selbstverständlich auf Englisch, wie viele von ihnen bereits in einer Leitungsfunktion arbeiten. Deutlich mehr als die Hälfte heben die Hand. Auch die Powerpoint-Folien der erfahrenen Managerin zeichnen ein positives Bild: „Wenn wir uns mit Singapur und anderen Ländern der Region vergleichen, dann stehen wir klar an der Spitze“, sagt sie zu einer Grafik über den Frauenanteil im Topmanagement der malaysischen Unternehmen.


Vorbilder tragen zum gesellschaftlichen Wandel bei

In der Tat sind Frauen an der Spitze von Malaysias Konzernen keine Seltenheit mehr: Die islamischen Banken Hong Leong und Alliance, die Landesgesellschaften des Versicherungsunternehmens AIA und der Fluglinie Air Asia sowie der milliardenschwere Medienkonzern Astro werden allesamt von Vorstandschefinnen geführt. Auch die malaysische Zentralbank hatte bis April 2016 jahrelang eine Frau an ihrer Spitze. Diese Vorbilder tragen aus Abrahams Sicht zum gesellschaftlichen Wandel bei. „Ambitioniert zu sein, das war früher nur etwas für Männer. Ehrgeizige Frauen galten als verbissen und egoistisch“, sagt sie im Gespräch mit dem Handelsblatt. „Inzwischen merke ich immer stärker, dass auch die Frauen in den Unternehmen die Hand heben, wenn Positionen neu besetzt werden.“

Das hohe Selbstbewusstsein der malaysischen Frauen beim Streben nach Führungsposten erklärt sich Abraham auch durch wachsenden politischen Rückhalt. „Wir sind das einzige Land in der Region, in dem die Regierung ein eigenes Budget für die Förderung von Frauen in Führungspositionen zur Verfügung gestellt hat“, sagt sie. „Die staatlichen Initiativen wirkten wie ein Katalysator, der die Entwicklung anstieß.“ 

Die Regierung fördert zum Beispiel flexible Arbeitszeiten und die Berufsrückkehr von Müttern nach der Schwangerschaft. Die Berater von Hays, die die Ambitionen der Malaysierinnen untersucht haben, loben diese Initiativen. „Das Thema Geschlechtervielfalt wird in Malaysia heiß diskutiert“, kommentieren sie. „Das könnte der Grund dafür sein, warum Frauen stärker davon überzeugt sind, dass Geschlechtergerechtigkeit möglich ist.“

Eine gesetzlich verpflichtende Frauenquote für Führungspositionen, wie sie in Deutschland seit 2016 gilt, gibt es in Malaysia nicht. Doch vor fünf Jahren hat die Regierung von Premierminister Najib Razak das Ziel ausgerufen, mindestens 30 Prozent der Vorstands- und Aufsichtsratsposten mit Frauen zu besetzen. Bis Ende 2016 sollte dieses Ziel erreicht werden.

Es wurde nur knapp verfehlt: Im November bezifferte der Börsenbetreiber in Kuala Lumpur den Frauenanteil in den Chefetagen der gelisteten Firmen auf 26 Prozent. „Es ist natürlich enttäuschend, dass wir das Ziel nicht erreicht haben“, sagt Janet Yap, die sich ebenso wie Anne Abraham in der Initiative 30 Percent Club engagiert. „Aber man darf nicht vergessen, wie viel sich in den paar Jahren bewegt hat. Der Frauenanteil hat sich verdoppelt. Das ist eine enorme Leistung.“


Große Schwester statt Boss

Mit der steigenden Zahl an Frauen im Management soll sich die Atmosphäre in Malaysias Wirtschaft grundlegend ändern. Ai Ching Goh glaubt, dass mehr Vielfalt auch zu mehr Kreativität und besseren Entscheidungen führt. Goh ist 30 Jahre alt und leitet das Start-up Piktochart, das sie zusammen mit ihrem Ehemann auf der malaysischen Insel Penang gegründet hat. Die Firma bietet ein Online-Tool, mit dem Nutzer ohne großen Aufwand anspruchsvolle Infografiken erstellen können. Die Idee brachte Goh schon weit: Vor zwei Jahren konnte sie ihr Konzept bei einer Start-up-Veranstaltung dem damaligen US-Präsidenten Barack Obama vorstellen. Drei Minuten lang sprach sie mit ihm über ihre Firma. „Er ist ein guter Zuhörer“, lobt Goh. Sie selbst möchte von ihren Mitarbeitern ebenso eingeschätzt werden.

„Wichtige Entscheidungen werden bei uns basisdemokratisch getroffen“, sagt sie. „Jede Stimme wird gehört.“ Ihren Führungsstil würde sie zwar nicht als typisch weiblich beschreiben. Dennoch sagt sie: „Ich leite das Unternehmen bestimmt anders, als es die meisten Männer tun würden.“ Sie sei weniger auf Zahlen und Wachstum fixiert als andere Gründer. „Ergebnisse sind zwar wichtig, aber die Menschen dahinter sind mir wichtiger.“ Und für ihre Mitarbeiterinnen möchte sie ein Vorbild sein: „Malaysische Frauen hatten schon immer einen ausgeprägten Unternehmergeist“, sagt sie. „Jetzt sehen sie viele Managerinnen in Spitzenpositionen. Das ermutigt zu großen Träumen.“

Doch nicht im ganzen Land läuft der Aufstieg von Malaysias Frauen reibungslos. Auf dem Podium des „Female Leadership“-Forums in Kuala Lumpur berichtet auch Sarimah Sabudin von ihren Erfahrungen. Als Repräsentantin eines Möbelverbands war sie in vielen malaysischen Provinzen unterwegs, in denen das Leben noch deutlich konservativer abläuft als in den kosmopolitischen Ballungszentren. „Im Islam kann nur ein Mann der Anführer sein – diese Auffassung ist dort noch weit verbreitet“, sagt Sarimah. Der Muslimin gelang es dennoch, zur Chefin ihrer Organisation aufzusteigen. „Ich musste mich bei den Kollegen aber anders verkaufen: nicht als Boss, sondern eher als große Schwester“, erklärt sie ihr Erfolgsrezept.

Auch Accenture-Chefin Yap gibt zu bedenken, dass viele kulturelle Barrieren für Frauen noch nicht überwunden sind. Ihrer Ansicht nach liege das aber nicht an der muslimischen Religion allein, der die Mehrheit der Malaysier angehört – solche Schwierigkeiten gebe es auch in den chinesisch- und indischstämmigen Volksgruppen des Landes. „In vielen asiatischen Kulturen ist die Erwartungshaltung, dass sich Frauen primär um die Familie kümmern, noch immer fest verankert“, sagt sie.

Frauen mit Karriereambitionen setze das – ähnlich wie in Deutschland – unter Druck: „Sie müssen im Beruf eine hohe Leistung zeigen und gleichzeitig noch fantastische Mütter, Töchter und Ehefrauen sein.“ Sie schätze sich glücklich, dass in ihrer eigenen Familie ihr beruflicher Ehrgeiz nicht mit den Ansprüchen der Familie kollidiere: „Meine Tochter und ich sind beide überzeugt davon, dass man auch mit Karriere eine gute Mutter sein kann.“ Dass sich die Tochter ebenfalls zur Topmanagerin entwickelt, muss nicht sein. Yap: „Sie kann machen, was sie will – ich erwarte nur, dass sie ihr Bestes gibt.“

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