Frauenquote in Deutschland Kulturwandel kommt nur langsam voran

Für die Frauenquote ist 2016 ein sehr wichtiges Jahr. Denn jetzt kommt der Praxistest. Die Prognosen sind bescheiden: Komplett erfüllt werden die 30 Prozent, wie sie das Gesetz vorsieht, wohl noch lange nicht.

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Viele der größten börsennotierten und mitbestimmungspflichtigen Unternehmen haben die Quote von 30 Prozent mit Jahresbeginn 2016 nicht erreicht. Quelle: dpa

Berlin Für viele war es ein historischer Schritt. 2015 wurde die Frauenquote Gesetz. Allerdings haben viele der etwa 100 größten börsennotierten und mitbestimmungspflichtigen Unternehmen die Quote von 30 Prozent mit Jahresbeginn 2016 nicht erreicht - und werden sie auch am Ende des Jahres nicht geschafft haben. Denn erst dann, wenn Neubesetzungen oder Nachwahlen für den Aufsichtsrat anstehen, greift die Neuregelung. Das kann fünf Jahre dauern.

Im August 2015 lag die Frauenquote in den Aufsichtsräten der 30 Dax-Unternehmen bei 26,7 Prozent. Nach inoffiziellen Zahlen der Initiative Frauen in die Aufsichtsräte (FidAR) liegt sie Ende 2015 sogar noch darunter. Bemerkenswert sind die Differenzen. Spitzenreiter im August war Henkel mit 43,75 Prozent. Fresenius und Fresenius Medical Care waren Schlusslichter mit 0,0 Prozent.

Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) sieht die Quote nach wie vor kritisch. „Eine starre Quote ist und bleibt ein erheblicher Eingriff in die unternehmerische Freiheit“, sagt Holger Lösch, Mitglied im BDI-Hauptvorstand. Insgesamt hat der Verband aber wohl seinen Frieden damit gemacht. Zu den Bemühungen der Unternehmen sagt Lösch: „Es gibt spürbare Fortschritte.“

FidAR-Präsidentin Monika Schulz-Strelow erkennt in den Unternehmen immer noch große Vorbehalte. „Viele fühlen sich durch das Gesetz gestört.“ Die gängige Einstellung sei weiterhin: „Was mischt sich der Staat bei der Privatwirtschaft ein?“ Manche Unternehmen verweigerten sich mit dem bekannten Argument: „Wir finden niemanden.“

Bemerkenswert ist nach FidAR-Angaben auch, dass der Frauenanteil auf der Arbeitgeberseite der Aufsichtsräte noch geringer ist als bei den Arbeitnehmern. Etwa jedes Fünfte der rund 100 börsennotierten und voll mitbestimmten Unternehmen hat demnach überhaupt keine Frau auf der Anteilseignerseite des Aufsichtsrats.

Mindestens so wichtig wie die 30-Prozent-Quote in den größten Konzernen sind die Vorgaben für etwa 3500 weitere Unternehmen, die sich selbst Zielgrößen für den Frauenanteil in Vorstand, Aufsichtsrat und weiteren Führungsetagen geben müssen. Die Umsetzung kommt hier offensichtlich nur schleppend voran. Zielvorgabe Null ist keine Seltenheit.


„Man darf keine Wunder erwarten“

„Da gibt es relativ wenig Fortschritte“, sagt Schulz-Strelow. Manche Unternehmen hebelten die gesetzte Frist 2017 aus, indem sie sich für Ende 2016 eine sehr bescheidene Zielvorgabe setzen, und sich dann die nächsten fünf Jahre nicht weiter verpflichten müssten. „Die Fristen sind sehr kurz. Man darf keine Wunder erwarten“, sagt Lösch vom BDI.

Auch die 100 Großen müssen sich über die Aufsichtsräte hinaus für Vorstände und Führungsetagen Zielvorgaben zur Frauenquote setzen. Bei den Dax 30 liegt sie derzeit nur bei 7 bis 8 Prozent (Stand August 2015). Insgesamt sind demnach bei den 30 Unternehmen nur 16 Frauen im Vorstand. Ein Jahr vorher waren es 12, von insgesamt 192.

„Der Kulturwandel braucht mehr Zeit als wir uns das gewünscht haben“, sagt Schulz-Strelow. Aber sie ist nicht ohne Hoffnung: „Viele sehen es so: Wenn wir etwas tun, dann erwarten wir eine bessere Reputation für das jeweilige Unternehmen. Das ist der Hebel, wo wir ansetzen müssten, denn Reputation ist ein hohes Gut bei der Unternehmerschaft.“

Eindeutig positiv sieht die Unternehmensberaterin Ana-Cristina Grohnert, Managing Partner bei Ernst & Young, die Quote. „Sie hat die Diskussion beschleunigt. Und einige Unternehmen haben den Weckruf gebraucht.“ Das Thema Frauen in Führungspositionen sei nun höher auf der Agenda aller Entscheider.

Auch Grohnert weist allerdings auf die großen Unterschiede zwischen den Firmen hin. „Einige Unternehmen sind früher wach geworden als andere.“ International ausgerichtete Konzerne seien oft schneller gewesen, andere einfach nicht gut vorbereitet. „Die sagen jetzt: Es gibt keine geeigneten Frauen.“

Insgesamt habe sich das Klima in den Unternehmen aber geändert: „Die Stimmung ist nicht mehr so ängstlich wie vor der Quotendiskussion, sondern sehr viel pragmatischer und positiver als die Abwehrreaktion, die vorher da war.“ Viele wüssten inzwischen: „Eine Kultur, die offen ist für Andersartigkeit, kann auch wirtschaftlichen Erfolg bedeuten“, sagt Grohnert, die auch Vorstandsvorsitzende des Vereins „Charta der Vielfalt“ ist.

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