Gastbeitrag zur Lebensversicherung Die Renaissance des legalen Betrugs

Die Versicherer gaukeln der Politik, der Finanzaufsicht und ihren Kunden etwas vor, schreibt Verbraucherschützer Axel Kleinlein in einem Gastbeitrag. Das Vertrauen der Sparer in die private Altersvorsorge sei zerstört.

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Der Vorstand beim Bund der Versicherten gilt als schärfster Kritiker der Versicherungsbranche. Quelle: Einberger für Handelsblatt

Wir werden betrogen. Von den Versicherern. Uns Verbrauchern wird eine faire Überschussbeteiligung vorgegaukelt. So als hätten wir gesicherte Ansprüche an einem Großteil der Überschüsse, die die Versicherer mit unserem Geld erwirtschaften. Stimmt aber nicht. Denn die Unternehmen zwacken Geld ab, viel Geld, und entziehen es der Überschussbeteiligung.

Aber trotzdem erwecken sie den Anschein, als würden wir fair an den Überschüssen partizipieren. Anschein und Wirklichkeit stimmen nicht überein. In meiner Welt nennt man das Betrug – auch wenn das strafrechtlich kein Betrug ist.

Denn die Versicherer brechen kein Gesetz. Sie sprechen sich mit der Aufsichtsbehörde ab. Diese staatliche Behörde hilft den Unternehmen. Sie erlässt Regeln, die so einiges erlauben. Zum Beispiel eben das mit der Überschussbeteiligung.

Diese Aufsichtsbehörde ist direkt dem Finanzminister unterstellt. Es ist eine große und wichtige Behörde – früher nannte sie sich sogar „Amt“. Deshalb ist dann auch alles legal, was die Aufsicht erlaubt.

Diese Aufsicht lässt das betrügerische Handeln der Versicherer zu. Zuweilen fördert sie auch dieses Handeln. Deshalb handelt es sich nicht nur um einfachen Betrug. Es ist legaler Betrug. Die Geschäfte der Lebensversicherer sind derzeit davon durchdrungen.

Die Betrogenen sind aber nicht nur die Kunden, die Verbraucher. Auch die Politiker lassen sich betrügen. Das ist auch ein Ziel der Versicherungsbranche. Denn wenn die Politiker erst einmal den Betrug für bare Münze nehmen, dann machen sie den Weg frei, um noch mehr Regeln zu legalisieren, die den Versicherern helfen und den Kunden schaden.

Ein Beispiel: Eigentlich sollen die Versicherten an den erwirtschafteten Gewinnen fair beteiligt werden. Da gibt es feste Quoten, die festlegen, wie viel der Gewinne für zukünftige Überschussbeteiligungen für die Kunden verwendet werden müssen. Seit ein paar Jahren wird aber nicht mehr der gesamte Gewinn nach diesen Quoten aufgeteilt. Stattdessen wird ein großer Batzen der Gewinne in einen Nebentopf gepackt (in die sogenannte Zinszusatzreserve). Kein Cent dieses Geldes fließt dann in die Überschussbeteiligung.


„Die Branche sägt auf dem Ast, auf dem sie sitzt“


So wird die Mindestbeteiligung an den Gewinnen umgangen. Den Kunden wird das aber nicht gesagt oder erklärt. Es widerspricht ja auch dem Deal, dass eigentlich eine faire Überschussbeteiligung stattfinden soll. Weil aber die Aufsichtsbehörde dieses Verfahren gut findet, ist das Verfahren legal. Das ist in meinen Augen eben der legale Betrug.

Auch tut die Versicherungsbranche gegenüber den Politikern immer so, als hätten sie Probleme die Garantieverzinsung auf die Kundengelder zu erwirtschaften. Das würde stimmen, wenn sie für die Kapitalanlage wirklich nur die Kundengelder zur Verfügung hätten. Sie haben aber noch zusätzlich diverse Reservetöpfe. Und deren Erträge helfen mit, die notwendigen Mindestzinsen zu erwirtschaften. Habe ich zwei Konten zur Geldanlage und muss nur für eines Garantiezinsen erwirtschaften, dann wird alles einfacher. Denn die Erträge des anderen Kontos kann ich hinzurechnen für die Mindestzinsen.

Trotzdem hört man ein großes Jammern und Greinen der Versicherer, dass das so schwierig wäre mit den Garantiezinsen. Und mit einem Reflex springt die Politik darauf an, glaubt dem falschen Gejammer und lässt die Kunden noch mehr schröpfen.


Der legale Betrug reicht also weit. Und er zerstört das letzte bisschen Vertrauen, das Verbraucher in die kapitalgedeckte Vorsorge mit Versicherungen hatten. Mit diesem legalen Betrug sägt die Branche schon länger an dem Ast auf dem sie sitzt. Und der Ast ächzt und knackt bereits. Es wäre Zeit endlich Klartext mit den Verbrauchern zu reden – und den legalen Betrug zu beenden. Oder aber der Ast kracht.

PS: Wer mir nicht glaubt, sollte die Zahlen in der aktuellen Ökotest-Ausgabe durcharbeiten. Es ist erschreckend, wie gut es den Unternehmen eigentlich geht und die Kunden trotzdem mies behandelt werden. Die dort veröffentlichten Zahlen machen das deutlich.

PPS: Dass es zumindest in Teilen auch anders geht zeigt Österreich. Denn dort wird zum Beispiel die Zinszusatzreserve nicht aus Kundenmitteln bestückt.

Axel Kleinlein (Jahrgang 1969) gilt aktuell als einer der schärfsten Kritiker der Versicherer. Kleinlein ist Diplom-Mathematiker und arbeitete im Aktuariat der Allianz Lebensversicherung. Ab 2000 betreute er bei der Stiftung Warentest den Bereich Lebensversicherung und Altersvorsorge. Weitere Stationen führten Kleinlein zur Rating-Agentur Assekurata, wo er mehrere Branchenuntersuchungen zu Lebensversicherungen leitete und für die Öffentlichkeitsarbeit verantwortlich war. Danach gründete Kleinlein das versicherungsmathematische und fachjournalistische Büro Math Concepts. Aktuell ist er Vorstandssprecher des Bundes der Versicherten (BdV).

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