Mehr Engagement gefordert Mittelstand schludert bei Patenten

Kleine und mittlere Unternehmen bilden das Schlusslicht - zumindest wenn es um die Anmeldung von Patenten geht. Rechtliche Hürden schrecken viele Unternehmen ab. Und die Großen ziehen davon.

  • Teilen per:
  • Teilen per:
Gute Ideen werden rar: der Mittelstand hinkt bei der Anmeldung von Patenten hinterher. Quelle: dpa

BERLIN. Der deutsche Mittelstand tut zu wenig für den Patentschutz. Der Anteil von kleinen Patentanmeldern sinkt immer weiter. Das meldet das Deutsche Patent- und Markenamt in München (DPMA) in seinem Ende Mai erschienenen Jahresbericht. Gleichzeitig stiegen die Anmeldezahlen durch die Großindustrie.

Unternehmen wie Siemens, Bosch und Daimler melden Jahr für Jahr eine vierstellige Zahl von Erfindungen zum Patent an. Sie sind seit Jahren die Rekordhalter unter den Anmeldern. In die Liste der Unternehmen, die pro Jahr über hundert Patente anmelden, schaffen es mittelständische Firmen mit ihren oftmals kleinen Entwicklungsabteilungen kaum mehr. Im Patentamt München geht man davon aus, dass kleine und mittlere Unternehmen zwischen einem und fünf Patente pro Jahr anmelden. Rund 20 Prozent der Anmeldungen wurden 2005 von solchen Unternehmen getätigt. In diesem Jahr wurde die letzte Stichprobe erhoben.

Dieser Anteil sinkt langsam, aber sicher. Stattdessen rüsten die Großanmelder weiter auf. 2001 waren noch 2,7 Prozent aller Firmen beim DPMA für 42,3 Prozent aller Anmeldungen verantwortlich. Sechs Jahre später kamen aus einer Gruppe von 3,6 Prozent aller Unternehmen schon 59,1 Prozent aller Anmeldungen.

Es ist ein kleiner agiler Zirkel von großen Unternehmen, der auf diese Weise immer mehr Rechte sammelt, während auf die Kleinen ein immer weiter schrumpfender Anteil entfällt. Doris Möller, Leiterin des Referats gewerblicher Rechtsschutz beim DIHK, sieht darin einen verhängnisvollen Trend. "Er macht Unternehmen ohne eigene geschützte Erfindungen dauerhaft abhängig von Lizenzzahlungen. Gleichzeitig laufen mit Ende des Patentschutzes die Lizenzeinnahmen aus", sagt Möller.

Patentanwälte machen zwei grundsätzliche Beweggründe für die Zurückhaltung im Mittelstand aus. Ein "verhängnisvolles Laisser-faire" erkennt Axel Stellbrink, Patentanwalt von Vossius und Partner. Hauptargument der Patentmuffel sei: Patente nützten nichts, sie schadeten. Er erlebt bei seinen Mandanten immer wieder die Angst vor Nachbauten aufgrund der notwendigen Veröffentlichung des Patents. Besser, als aller Welt die Erfindung vorzuführen, sei es, sie als Betriebsgeheimnis zu schützen. Die Geheimniskrämerei überzeugt den Münchener Patentanwalt jedoch nicht. "Ein Fachmann muss in der Lage sein, aus der technischen Beschreibung einer Patentanmeldung heraus, die Erfindung nachzuvollziehen. Das ist aber alles andere als trivial." Leichter sei es, ein Konkurrenzprodukt zu analysieren und nachzubauen - zumal dann kein hinderliches Schutzrecht bestehe, bzw. der Wettbewerber den Spieß einfach umdrehen und selbst die Patentanmeldung vornehmen könne, sagt der Experte.

Stellbrink kennt viele Fälle geprellter Erfinder. "Ein Mandant aus der Edelmetallbranche hat versucht, eine metallurgische Erfindung vertraulich zu halten. Plötzlich kommt ein Wettbewerber und wollte mit einer eigenen Anmeldung sein Monopol durchsetzen." Die Angst vor dem Imitat ist also eher ein modernes Märchen, das unter den Betrieben immer weitergegeben wird. Rechtfertigung für den Stillstand.

Eine anderes Vorurteil: Patente seien zu teuer. Diese Ausrede lässt man beim DIHK nicht gelten. "Die Kosten für die reine Anmeldung betragen zwischen 200 und 410 Euro. Das ist nicht zu hoch. Kosten verursacht erst der Patentanwalt, ohne dessen Sachverstand das Anmeldeverfahren aber nicht bewältigt werden kann", sagt DIHK-Patentexpertin Möller. Hemmschwellen vor dem Gang zum Patentanwalt könnten die örtlichen IHKs nehmen. Und auch das Bundeswirtschaftsministerium (BMWi) biete hier seine Hilfe an. "Es gibt eine ganze Reihe von Fördermaßnahmen, zum Beispiel das INSTI-Programm des BMWi", sagt Möller. Mit dieser Aktion will das Ministerium das Verständnis für das Patentsystem fördern und konkrete "Fahrpläne" für das Anmeldeverfahren und die spätere Verwertung entwerfen. Bis zu fünfzig Prozent der Kosten erstattet das Ministerium.

Die Nachhilfe von Seiten der Kammern und der Bundesregierung scheint auch bitter nötig. Den eigentlichen Grund für die Nachlässigkeit beim Erfinderschutz sehen Anwälte in Unkenntnis und Vorurteilen gegenüber dem modernen Patentwesen liegen. Das Patent hat sich verändert. "Grundlagenpatente - wie früher der Ottomotor - werden immer seltener", sagt Anwalt und Notar Harald Schleicher von der Rechtsanwaltsgesellschaft Ecovis. Technische Weiterentwicklungen fänden heute im Detail statt. Für den Mittelständler stimmte bei den aufwendigen Patentanmeldungen oftmals nicht mehr das Verhältnis von Kosten und Nutzen. Dennoch geht für ihn am Patentschutz kein Weg vorbei. "Bei hochkomplexen Produkten wie Autos oder Handys werden Dutzende oder Hunderte von Patenten diverser Inhaber genutzt", sagt Schleicher. In vielen Bereichen räumten sich Rechteinhaber im sogenannten "cross-lizensing" gegenseitig Lizenzen ein. "Sonst ist keiner mehr in der Lage, das Produkt herzustellen", sagt Schleicher. Für den Rechtsanwalt ist klar: "Wer bei diesem Spiel mitspielen will, braucht selber Patente, oder er sitzt bei den Lizenzverhandlungen am kürzeren Hebel." Im schlimmsten Fall drohen Mittelständlern aber gleich teure Unterlassungsklagen wegen bewusster oder unbewusster Patentverletzungen.

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%