Medizintechnik Kleiner Taktgeber für kranke Herzen

Eine Studie ebnet den Weg für eine neue Generation von Herzschrittmachern: Sie sind viel kleiner als herkömmliche Geräte und kommen ohne Kabel aus. Doch nicht alle Ärzte sind von der neuen Technologie überzeugt.

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Der neue künstliche Taktgeber wird über die Leistenvene minimalinvasiv eingesetzt und direkt ins Herz vorgeschoben. Quelle: ap

London Er ist nicht größer als eine Tintenpatrone und könnte so manchem Patienten eine Operation ersparen: In London haben Wissenschaftler in dieser Woche positive Ergebnisse einer Studie mit einem elektrodenlosen Herzschrittmacher präsentiert. Skeptiker warnen jedoch vor überzogenem Optimismus.

Herkömmliche Herzschrittmacher bestehen aus einem Impulsgenerator und Stimulationselektroden. Sie werden dem Patienten mittels eines chirurgischen Eingriffs implantiert. Dagegen kann der neue künstliche Taktgeber über die Leistenvene minimalinvasiv eingesetzt und direkt ins Herz vorgeschoben werden.

Die winzige Röhre misst nur ein Zehntel der Größe eines konventionellen Schrittmachers, wie der Hersteller St. Jude Medical, ein international tätiges Medizintechnikunternehmen, anlässlich der Veröffentlichung der Studie im „New England Journal of Medicine“ mitteilte.

„Dies ist ein Meilenstein in der Schrittmacher-Entwicklung“, lobt Christopher Granger von der American Heart Association, einer Organisation, die nicht an der Studie beteiligt war. Dennoch mahnt er, nichts zu überstürzen. Die Ärzte müssten sich zunächst mit der neuen Technik vertraut machen, um mögliche Komplikationen zu vermeiden. Wenn es keinen zwingenden Grund gebe, so der Medizinprofessor, würde er Patienten nicht dazu raten, zu den ersten zu gehören, die sich das elektrodenlose Gerät implantieren lassen.

Die Vorsicht rührt vermutlich auch daher, dass eine vorangegangene Studie zur Erprobung des neuen Systems zwei Mal wegen einer beunruhigend hohen Zahl an Komplikationen abgebrochen werden musste. In einem Fall konnte das Gerät nicht wie vorgesehen in der rechten Herzkammer platziert werden, sondern steckte in der Lungenarterie fest.

Für die jüngste Studie setzten Ärzte in Australien, Kanada und den USA mehr als 500 Patienten einen der Mini-Schrittmacher ein. Nach sechs Monaten wurden bei sieben Prozent der Probanden Nebenwirkungen diagnostiziert, unter anderem Herzperforation. Zum Vergleich: Bei herkömmlichen Herzschrittmachern kommt es in etwa zehn Prozent der Fälle zu Komplikationen.


Es liegt an den Ärzten

In Europa ist der elektrodenlose Schrittmacher bereits zugelassen, ebenso wie ein ähnliches System der Firma Medtronic. In den USA wird die nun veröffentlichte Studie vermutlich der zuständigen Behörde, der FDA, vorgelegt, die über die Zulassung entscheidet.

Experten schätzen, dass sich die neue Technologie für etwa 30 Prozent der Patienten eignet, die einen Schrittmacher benötigen. José Ramon, Präsident der Spanischen Kardiologie-Gesellschaft, berichtet, in seinem Krankenhaus sei der Mini-Schrittmacher im vergangenen Jahre nur etwa einem Dutzend Patienten implantiert worden, fast 500 hätten einen herkömmlichen Schrittmacher erhalten.

Das liegt sicherlich auch daran, dass der neuen Technologie Funktionen fehlen, die bei den bewährten Systemen zum Standard gehören. „Man kann Patienten nicht per Telemonitoring überwachen“, sagt Jagmeet Singh vom American College of Cardiology. „Das bedeutet, sie müssen zur Untersuchung ins Krankenhaus.“

Vivek Reddy, leitender Prüfarzt der Studie, ist dennoch davon überzeugt, dass die FDA den elektrodenlosen Geräten der Firma St. Jude Medical in den USA die Zulassung erteilen wird. Die Nachfrage sei da, prophezeit der Chefarzt der Elektrophysiologie am Mount Sinai Hospital in New York: „Es liegt an den Ärzten, mit ihren Patienten darüber zu sprechen, aber die Patienten werden den kleineren Schrittmacher wollen, wenn sie von ihm erfahren.“

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