NRW-Landtagswahl Rüttgers' Bauchladen-Strategie

Am Samstag stimmt die NRW-CDU auf ihrem Landesparteitag in Münster über ihr Wahlprogramm ab. Das enthält für jeden etwas: Grüne Industriepolitik, soziale Gerechtigkeit, das Leistung-muss-sich-lohnen-Prinzip. Damit legt die CDU auch die Basis für Bündnisse außerhalb von Schwarz-Gelb.

  • Teilen per:
  • Teilen per:
Jürgen Rüttgers (CDU) Quelle: dpa

Die Frage nach seinem Koalitionspartner für die Zeit nach dem 9. Mai hört NRW-Ministerpräsident Jürgen Rüttgers gar nicht gern. Gebetsmühlenartig betont er die gute Zusammenarbeit mit den Liberalen, die er darum auch unbedingt fortsetzen möchte. Bündnisse mit den Grünen oder der SPD wischt Rüttgers mit Verweis auf die unterschiedlichen politischen Programme vom Tisch. Nur wirklich ausschließen tut er sie nicht.

Die aktuellen Umfragewerte geben dazu auch keinen Anlass. Die CDU liegt zwischen 35 und 38 Prozent, der Noch-Koalitionspartner schwankt zwischen sechs und zehn Prozent. Vorbei die Zeiten der – zumindest in den Umfragenwerten – absoluten Mehrheit. Die Euphorie des Regierungswechsels in Berlin ist längst verflogen, seitdem geht es auch an Rhein und Ruhr für Schwarz-Gelb bergab.

Gleichzeitig legen die Oppositionsparteien zu. Rot-Grün liegt je nach Umfrage zwischen 45 und 46 Prozent. Zünglein an der Waage spielen die Linken, die erstmals in den Düsseldorfer Landtag einziehen könnten. Weder SPD noch Grüne haben eine Koalition bislang definitiv ausgeschlossen, auch wenn beide immer wieder die „Regierungsunfähigkeit“ der Linken betonen.  

Verlierer in allen Spekulationen sind die Liberalen. Sie gelten als angezählt, trotz aller Harmoniebeteuerung der Parteispitzen. Rüttgers steht zwar offiziell zu seinem Koalitionspartner, hält sich aber diverse Hintertürchen offen.

Differenzen nicht unüberbrückbar

Denn die inhaltlichen Differenzen zwischen den Parteien – mit Ausnahme der Linken – sind alle nicht so gewaltig, dass sie in Koalitionsverhandlungen nicht aus dem Weg geräumt werden könnten.

Beispiel Industrie- und Energiepolitik: Besonders in diesem für NRW wichtigen Politikfeld gelten die Grünen als Hemmschuh. Sie wollen nicht nur den Ausstieg aus der Atomenergie - im Falle von NRW, das keine Meiler hat, heißt das die Schließung der Urananreicherungsanlage in Gronau und des Zwischenlagers in Ahaus -, sondern auch den Ausstieg aus der fossilen Energiegewinnung. Das heißt konkret: Abschaltung der alten Kohlekraftwerke ohne den Bau von neuen Anlagen. Stattdessen soll die Energieversorgung im Land auf die regenerativen Energieträger umgestellt werden. Ganz nebenbei sollen durch den sogenannten Green New Deal so auch 200.000 neue Jobs entstehen.

Für Rüttgers steht das Kraftwerkserneuerungsprogramm dagegen nicht zur Diskussion. „Wir sind Industrieland und wollen es bleiben.“ Ohne Kraftwerke sei seine Vision einer wachstumsorientierten, dabei aber umweltfreundlichen Industriepolitik nicht zu machen. Trotzdem beinhaltet Rüttgers' Kurs auch viele Komponenten, die den Grünen durchaus gefallen müssten wie den massiven Ausbau der Elektromobilität und ein nachhaltiges sowie CO2-armes Städtebauprojekt im Ruhrgebiet. Auch in das Lieblingsprojekt der Grünen, die Kraft-Wärme-Kopplung, will Rüttgers in Zukunft weiter investieren. Es gibt also durchaus „Zugeständnisse“, die den Weg in ein schwarz-grünes Bündnis ebnen würden. Weniger Schwierigkeiten hätte Rüttgers allerdings mit den Sozialdemokraten. Denn die sprechen sich ebenfalls für den Bau moderner Kraftwerke im Land aus.

Beispiel Schulpolitik: Bildung ist eines der zentralen Themen in Landtagswahlkampf. Hier stehen sich zwei Lager gegenüber: Schwarz-Gelb hält am traditionellen dreigliedrigen Schulsystem fest, während SPD und Grüne für das Modell einer Gemeinschaftsschule werben. Diese soll langfristig alle anderen Schulformen ablösen. CDU und FDP warnen vor einem bevorstehenden „Schulkrieg“, ähnlich dem in Hamburg. Unbegründet ist das nicht, denn das Modell der Gemeinschaftsschule wäre die radikalste unter allen in Deutschland versuchten Schulreformen. Doch im Vergleich zur SPD sind die Grünen kompromissbereiter. Sie setzen vor allem auf dezentrale Lösungen, „die wachsen müssen“.

Gut möglich, dass sich CDU und Grüne auf eine Ausweitung der jetzt schon existierenden Verbundschulen einigen können. In Nordrhein-Westfalen sind Verbundschulen Kooperationen von Haupt- und Realschulen, in denen sich die Schulen zwar unter einem Dach befinden, formal aber weiterhin eigenständige Schulen sind. Das Modell ist aber in erster Linie eine Antwort auf die seit Jahren sinkenden Schülerzahlen, die dafür sorgen, dass viele Schulstandorte geschlossen werden müssen. Die Idee des längeren gemeinsamen Lernens wird in diesem Modell nicht aufgegriffen.

Selbst mit der FDP gibt es Konfliktpotenzial

Aber auch im Falle eines schwarz-gelben Wahlsieges wird sich Rüttgers in der Schulfrage bewegen müssen. Auch die FDP strebt ein „Reförmchen“ an. Die Liberalen wollen das Verbundschulmodell ausbauen und die regionale Mittelschule einführen. Diese Schulform soll langfristig als zweite Säule neben dem Gymnasium etabliert werden und ähnlich wie die Gesamtschule mehrere Schulzweige haben. Der Reformvorschlag ist zunächst ohne großen gesellschaftspolitischen Zündstoff, weil sich das Modell parallel zum bestehenden System bewähren soll. Trotzdem machte FDP-Chef Andreas Pinkwart bereits deutlich, dass er die Mittelschule in jedem Fall durchsetzen will. Rüttgers kommentiert das gewohnt ergebnisoffen. „Darüber werden wir dann in den Koalitionsverhandlungen sprechen.“

Fazit: Jürgen Rüttgers hat sich durch seine Bauchladen-Strategie trotz fallender Umfragewerte eine ausgezeichnete Machtposition erarbeitet: Schwarz-Gelb, Schwarz-Grün, Schwarz-Rot – alle Koalitionen wären rechnerisch und thematisch möglich und würden Rüttgers seinen Platz in der Düsseldorfer Staatskanzlei sichern. Spannend bleibt also lediglich, ob es die Linken in den Landtag schaffen. Denn die kann selbst Jürgen Rüttgers nicht einbinden.

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%