Bundeswirtschaftsminister Michael Glos im Interview "Anlass zu Demut"

Bundeswirtschaftsminister Michael Glos über das Wachstumsprogramm des Bundes, die Kreditklemme im Mittelstand und Versäumnisse der Politik.

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Bundeswirtschaftsminister Michael Glos Quelle: Arne Weychard für WirtschaftsWoche

WirtschaftsWoche: Herr Minister Glos, die Politik überschlägt sich derzeit mit Plänen für Hilfs- und Konjunkturprogramme. Dabei ist das, was wir erleben, eine Krise mit Ansage. Warum reagiert die Politik erst jetzt?

Glos: Das ist auch ein Problem der öffentlichen Wahrnehmung. Die Anzeichen einer Konjunkturabschwächung waren seit Anfang des Jahres sichtbar. Aber erst wenn eine Entwicklung massen- und medienwirksam ist und die große Finanzkrise das Bewusstsein für eine wirtschaftliche Bedrohungslage geweckt hat, fühlt sich auch eine größere Zahl von Akteuren zum Handeln berufen. Ich will aber auch klarstellen, dass man als Politiker vermeiden muss, zu sehr schwarzzumalen, weil dies prozyklisch wirken kann.

Aber wie hart kann es die deutsche Wirtschaft treffen? Die Konjunkturdaten aus den USA sind sehr schlecht – können wir uns, wie es bislang hieß, von der US-Rezession abkoppeln?

Entgegen der Einschätzung einiger ist der konjunkturelle Zusammenhang zwischen den Vereinigten Staaten und der Weltwirtschaft – und damit auch Deutschland – unverändert groß. Die amerikanische Volkswirtschaft macht immer noch rund 25 Prozent der Weltwirtschaft aus. Und Deutschland als exportabhängiges Land ist von solchen Abkühlungen immer besonders betroffen.

Bisher hieß es außerdem, Deutschland sei wegen seines starken industriellen Rückgrats besser als andere gegen die Finanzkrise geschützt. Stimmt das noch?

Die starke industrielle Basis Deutschlands schützt uns einerseits vor reinen Störungen der Finanzmärkte. Bei uns wird der größte Teil des Bruttosozialprodukts in den Betrieben des Mittelstands erwirtschaftet. Andererseits ist bei uns die Produktion auch abhängig von der Nachfrage aus Volkswirtschaften der durch die Finanzkrise stärker betroffenen Länder. Deshalb können wir uns nicht in Sicherheit wiegen.

Mit welchen Maßnahmen, in welchen Sektoren wollen Sie denn jetzt mit unterstützenden Maßnahmen eingreifen?

Die meisten Menschen in Deutschland sind in kleinen und mittleren Betrieben beschäftigt. Deshalb sollte dort die Basis für künftige Beschäftigungssicherung liegen. Wir wollen vor allem mit einem konjunkturgerechten Wachstumsprogramm zur Beschäftigungssicherung im Mittelstand die Folgen des konjunkturellen Abschwungs begrenzen. Dies soll nicht mit staatlichen Interventionen, sondern durch ein Belastungsmoratorium – also einen zumindest vorübergehenden Verzicht auf neue Belastungen für die produzierende Wirtschaft – und durch nachhaltige Erleichterungen bei Steuern und Abgaben geschehen.

Sie sind vom Kanzleramt zur Erstellung eines Maßnahmenpakets beauftragt. Welche Schritte wollen Sie vorschlagen?

Wir verfolgen gemeinsam mit dem Bundesminister der Finanzen zwei wichtige Ansatzpunkte: Erstens wollen wir die Kreditversorgung des Mittelstands sicherstellen, damit weiter investiert und produziert werden kann. Zweitens...

Kurze Nachfrage: Gibt es bei der Kreditversorgung Anlass zur Sorge?

Im Moment ist eine direkte Verknappung von Krediten noch nicht spürbar. Wir beobachten aber erste Einzelfälle, bei denen Kredite von gefährdeten Instituten nicht mehr verlängert oder erneuert beziehungsweise Kreditlinien von Mittelständlern bei kleinsten Zahlungsunregelmäßigkeiten gekündigt werden. Generell ist zu befürchten, dass im Zuge der Bereinigung von Bilanzen die Kredite für den Mittelstand zurückgefahren werden.

Wie wollen Sie dem begegnen?

Zunächst mit dem von der Bundesregierung beschlossenen Finanzmarktstabilisierungsgesetz, denn dort ist ausdrücklich die weitere Finanzierung des Mittelstandes bei Inanspruchnahme der Rekapitalisierungshilfen vorgegeben. Wenn dieses nicht ausreicht, wird die Kreditanstalt für Wiederaufbau so mit Rücksicherungen ausgestattet, dass sie verbleibende Finanzierungsengpässe bei gesunden Betrieben über-brücken kann.

Was ist der zweite Ansatz in der Förderung? Gibt es steuerliche Anreize?

Wichtig ist, Kauf- und Konsumanreize zu stärken. Dazu gehört die Neuregelung der Kfz-Steuer, damit die bisherige Kaufzurückhaltung beim Auto wegen erwarteter Umweltauflagen aufgebrochen wird.

Ist das nicht zu punktuell? Müsste nicht stärker steuersystematisch mehr für die Mittelschicht getan werden?

Dies ist eine weitere wichtige Maßnahme. Deutschland wird wegen seiner Exportabhängigkeit einen starken Wachstumsmotor verlieren. Umso dringender ist es, mit Steuer- und Abgabenentlastungen etwas für die Binnennachfrage zu tun. Vordringlich werden wir für Entlastungen im Bereich der unteren und mittleren Einkommen werben, wo die Leistungsträger durch den Anstieg der relativen Steuerlast erheblich im Konsumverhalten gebremst werden.

Wie wird das finanziert? Mit neuen Schulden?

Steuersenkungen sind finanzierbar, wenn man darauf achtet, dass die staatlichen Ausgaben langsamer wachsen als das Bruttosozialprodukt. Deutschland weist derzeit einen nahezu ausgeglichenen Staatshaushalt auf. Deshalb könnten wir mit den für 2008 zu erwartenden Steuermehreinnahmen – bei gleichzeitiger Ausgabendisziplin – einige Steuerentlastungen vorziehen. Dies betrifft vor allem die Beseitigung der kalten Progression, also das frühe Greifen der Steuerprogression bei niedrigen Einkommen.

Mehr Brutto vom Netto also. Die Gewerkschaft IG Metall will dies mit höheren Löhnen erreichen. Passen die noch in diese Zeit?

Die Forderungen in der aktuellen Tarifrunde würden, wenn diese so kämen, zu einer Konjunkturbelastung. Wir müssen andere Wege gehen. Ich biete den Gewerkschaften deshalb Gespräche an, um sie über unsere geplanten Maßnahmen zu informieren. Mit dem Wissen über unsere Entlastungen lassen sich die Verhandlungen vielleicht anders führen.

Wie grenzen Sie Ihre Maßnahmen zu dem ab, was als Konjunkturprogramm vielfach von links gefordert wird?

Ich plädiere seit Langem für eine konjunkturgerechte Wachstumspolitik, also für Maßnahmen, die grundsätzlich und langfristig sinnvoll sind und nicht nur aktuellen Aufgeregtheiten entstammen. Diese Maßnahmen müssen auch nach dem Ende dieser Krise noch sinnvoll sein.

Müssen nicht auch einige Auflagen zum Klimaschutz überprüft werden?

Die Überbetonung einzelner Ziele führt immer dazu, dass bei anderen Zielen Defizite entstehen. Insofern muss die Balance zwischen Klimaschutz und Wachstumspolitik wiederhergestellt werden. In der aktuellen Situation wäre jede Verschärfung von Klimaschutzauflagen kontraproduktiv. Nur eine wachsende Wirtschaft kann auch eine ökologisch effiziente Wirtschaft sein.

Macht Ihnen Sorge, wie inzwischen die Fronten zwischen Union und SPD verschwimmen?

Derzeit erleben wir eine sehr gefährliche Diskussion. Ich sehe mit Sorge, dass diese Krise übersteigert und instrumentalisiert wird, um staatsinterventionistische Maßnahmen gegen das ungeliebte Kind soziale Marktwirtschaft durchzusetzen. Ich sage klar: Auch die Politik hat Anlass zur Demut. Denn am Beginn dieser Krise stand ein politisches Fehlverhalten seitens der Geldpolitik in den USA. Und auch beim Überschwappen der Krise nach Deutschland und Europa spielten nicht zuletzt auch öffentlich-rechtliche Banken eine entscheidende Rolle. Populismus ist nicht das Gebot der Stunde, und ich empfehle, auch in der Sprache darauf zu achten, dass nicht rhetorische Dämme zur Verteidigung der Marktwirtschaft eingerissen werden, die man später so leicht nicht wieder aufbauen kann.

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