Argentinien Die Rückkehr des wirtschaftlichen Musterschülers

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Rückkehr in die Moderne

Dante Sica empfängt in einem eleganten Büro im aufwendig restaurierten Hafenwohnviertel Puerto Madero. Sica ist einer der führenden Wirtschafts- und Politberater Argentiniens. Über Macris forsches Tempo staunt er dennoch: „Seine Entscheidungen überraschen in der Geschwindigkeit, mit der sie getroffen, und der Effizienz, mit der er sie umgesetzt werden“, sagt er. „Uns ist ein bisschen schwindelig vor lauter Veränderungen in so kurzer Zeit.“ Sica spürt die Zeitenwende in seinem Beratungsunternehmen Abeceb hautnah.

Auch weil Macris Vorgehen sich so radikal von dem unterscheidet, was die Argentinier in den vergangenen zwölf Jahren erst unter Präsident Néstor und danach unter dessen Gattin Cristina Kirchner von der Politik zu erwarten hatten. Vor allem die Expräsidentin hat in ihren zwei Amtsperioden das Land heruntergewirtschaftet, den Staatshaushalt ausgequetscht, die Notenpresse angeworfen, das Land von der Welt isoliert und die Gesellschaft gespalten. Immer wieder hört man in Buenos Aires dieser Tage von den unterschiedlichsten Menschen von der Erleichterung, nicht mehr die endlosen Schimpftiraden der Präsidentin bei den fast täglichen, obligatorischen TV-Übertragungen ertragen zu müssen.

Und man merkt die Änderungen im Alltag: Kirchner ließ etwa keine größeren Scheine als die 100-Peso-Note ausgeben, um die Inflation zu vertuschen. Dafür gibt es nicht mal mehr eine Pizza. Inzwischen bezahlen die Argentinier wieder wie selbstverständlich mit Kreditkarte, statt ständig die daumendicken Bargeldbündel mit sich herumzutragen.

„Bis vor drei Monaten wollten die Unternehmen wissen, wie hoch die Inflation ausfallen werde und ob sie importieren dürfen“, erklärt Sica. Die Regierung manipulierte die Inflationsdaten wie die Wachstumszahlen. Erhebungen über Armut schaffte die Regierung ganz ab – vorgeblich um die sozial Benachteiligten nicht zu diskriminieren. Importlizenzen erteilte das zuständige Ministerium nach unerfindlichen Kriterien. Das sei das perfekte Arbeitsbeschaffungsprogramm für unabhängige Ökonomen wie ihn gewesen, sagt Sica. Doch das habe sich jetzt geändert. „Unternehmen wollen jetzt strategische Beratung, um in den Markt zu kommen.“

Angesichts der Wachstumsschwäche der Emerging Markets könnte Argentinien schon bald die Investoren mit einer neuen Dynamik überraschen. „Argentinien kann die Rolle spielen, die Brasilien die letzte Dekade in Südamerika spielte“, prophezeit Sica. Eineinhalb Jahrzehnte ist in Argentinien kaum investiert worden. Die Unternehmen sind kaum verschuldet, weil sie keinen Kredit mehr bekamen. Die private Verschuldung beträgt gerade mal sieben Prozent der Wirtschaftsleistung. Anders als viele Schuldennationen weltweit hat Argentinien mit einer hochmodernen Landwirtschaft eine solide Devisenquelle, um Kredite zurückzahlen zu können.

Deswegen wollte Macri sich jetzt auch möglichst schnell mit den ausländischen Gläubigern einigen: Argentinien braucht dringend Investitionen aus dem Ausland. Ausländische Investoren sollen Projekte in der Infrastruktur, Energie und Telekom finanzieren. Ein neues Mediengesetz soll TV, Internet und Telekom enger zusammenwachsen lassen.

Der Macri-Plan aber ist nicht ohne Risiken. Besonders anfällig ist er an einer Stelle, die in Argentinien traditionell riskant ist: Er muss die in dem Land latente Inflationsgefahr unter Kontrolle kriegen. Noch immer liegt die Teuerungsrate zwischen 25 und 30 Prozent. Sollten diese Werte steigen, droht sich die Preis-Lohn-Spirale immer schneller zu drehen. Dann wären auch die Wettbewerbsvorteile des abgewerteten Peso schnell wieder neutralisiert.

Diese Volkswirtschaften geben 2050 den Ton an
Skyline Berlin schön Quelle: dpa
Eine Frau verkauft Hülsenfrüchte Quelle: REUTERS
Platz 9: Russland und der IranDank erneut hoher Ölpreise und einer stark steigenden Konsumnachfrage ist das russische BIP im Jahr 2011 laut amtlicher Statistik um 4,3 Prozent gewachsen. Für die kommenden drei Jahre sagen die HSBC-Experten Wachstumsraten in ähnlicher Größenordnung voraus. Sie gehen davon aus, dass Russland bis 2050 durchschnittlich um 3,875 Prozent wächst. Damit würde das Riesenreich in der Liste der größten Volkswirtschaften der Welt von Rang 17 (2010) auf Rang 15 steigen. Ebenfalls eine durchschnittliche Wachstumsrate von 3,875 Prozent bis 2050 prophezeit die britische Großbank dem Iran. Im Jahr 2011/2012 betrug das Bruttoinlandsprodukt Schätzungen zufolge circa 480 Milliarden US-Dollar. Zu den wichtigsten Wirtschaftszweigen Irans zählen die Öl- und Gasindustrie, petrochemische Industrie, Landwirtschaft, Metallindustrie und Kfz-Industrie. Die Inflationsrate wird von offizieller Seite mit 22,5 Prozent angegeben, tatsächlich liegt sie bei über 30 Prozent. Die Arbeitslosenrate beträgt offiziellen Angaben zufolge 11,8 Prozent. Quelle: dpa-tmn
Ginza-Viertel in Tokio Quelle: dpa
Mexikanische Flagge Quelle: dapd
Copacabana Quelle: AP
Baustelle in Jakarta Quelle: AP

Wie schwierig Gegenhalten ist, zeigten die Verhandlungen mit den Lehrer- und Transportgewerkschaften dieser Tage. Die Angestellten fordern satte Lohnerhöhungen. Zu große Zugeständnisse könnten schnell Nachahmer finden, was wiederum zu höherer Inflation führen könnte. Einerseits. Andererseits ist die Regierung bedacht, keine allzu großen sozialen Proteste zu entfachen – nichts wäre verheerender für den zarten Aufschwung, als eine Stimmungslage, wonach ausländische Gläubiger ihr Geld bekämen, einfache Argentinier aber nicht.

Macris Minister zeigen sich entsprechend kompromissbereit. Deswegen toleriert der Finanzminister vorerst eine höhere Teuerung, als die Wirtschaft es sich wünscht. „Er wird die nächsten Monate auf die Notenpresse angewiesen sein, um das Haushaltsdefizit zu finanzieren“, sagt Sica. Der Zentralbankpräsident wiederum will die Geldmengenexpansion auf 25 Prozent beschränken.

Entscheidend wird sein, ob es Macri gelingt, die unter Kirchner gespaltene Gesellschaft zu vereinen. Unter seiner Vorgängerin wurden die Argentinier ein Volk von Sozialhilfeempfängern. 40 Prozent der Argentinier sollen in irgendeiner Form Staatshilfen bekommen. Macri will die Sozialhilfe für die Armen nicht abschaffen. Das wäre sein politischer Selbstmord. Aber er hat bereits die Subventionen auf den Stromverbrauch gestrichen, von denen tatsächlich eher die Wohlhabenden profitierten. Bald sollen die Transportsubventionen aufgehoben werden. Das ist sozial sensibel. Die Reichen fahren Auto, wenn die Busse teurer werden – dem Rest aber bleiben kaum Alternativen.

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