Brasilien-Reise Merkels Atomkraft-Paradox

Die Grünen werden Merkels Brasilien-Reise genau verfolgen. Denn Deutschland hilft Brasilien beim Bau von Atomanlagen. Die Kanzlerin hingegen wird wohl für die Energiewende werben – und vermutlich auf Widerstand stoßen.

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Der Bau des Atomkraftwerks im brasilianischen Angra dos Reis. Quelle: dpa

Angra dos Reis Die Affen hier mögen die Atomkraft. So viele Stromleitungen, die sie entlang hangeln können. Der strahlend weiße Reaktor eingerahmt von drei Palmen. Gebirgige Inseln im Meer, eine Traumbucht, mitten in den Tropen. Doch Abkühlung verspricht hier nur das Abklingbecken. Im Leitstand geht es recht entspannt zu, Telefone, Knöpfe und Armaturen erinnern an die 80er Jahre. Willkommen im AKW Angra, Stolz der Brasilianer. In der Turbinenhalle hängt eine riesige Nationalflagge: „Saubere Energie für den Fortschritt“, steht drunter.

An der Costa Verde, 190 Kilometer südwestlich von Rio de Janeiro, schlängelt sich die malerische Küstenstraße bergauf, bergab, bis unten in der Bucht vor türkisfarbenem Meer die weiße Reaktorkuppel zwischen dem Regenwald durchschimmert. Zigtausende Liter Kühlwasser werden jeden Tag aus dem Meer gepumpt. Ein Sicherheitskordon versucht Unliebsames wie Schildkröten abzuhalten. Es ist die Kopie eines alten deutschen Meilers: des Druckwasserreaktors Grafenrheinfeld in Bayern.

Der ist gerade stillgelegt worden. Hier bauen sie hingegen neben der Anlage Angra 2 (Leistung: 1350 Megawatt) nun auch den technisch ähnlichen Reaktor Angra 3 (1405 MW), teils mit 70er-Jahre Technik aus Deutschland, für mindestens vier Milliarden Euro. Der Nuklearexperte Francisco Corrêa kritisiert: „Angra 3 erfüllt noch nicht einmal alle Sicherheitsbestimmungen seines Referenzreaktors Grafenrheinfeld in Deutschland.“ So werde der Sicherheitsbehälter nur halb so dick sein – ein großes Risiko bei Wasserstoffexplosionen oder Flugzeugabstürzen.

Bis zu 2500 Arbeiter wuseln auf der Baustelle für den dritten brasilianischen Atommeiler herum – es gibt hier neben Angra 2 noch Angra 1, einen kleinen Altreaktor mit US-Technik (640 MW). Teile der AKW-Belegschaft werden in Essen für Krisenfälle geschult. Knapp drei Prozent des Bedarfs werden erst mit Atomstrom gedeckt, Angra versorgt vor allem Rio. Die Ingenieure vertrauen der Technik „da Alemanha“. Und setzen auf weitere Meiler, auch wenn das keine Erfolgsgeschichte bisher ist. Aber Brasilien verfügt über umfangreiche Uranvorkommen.

Doch wenn Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) am 19. August mit einem Großteil ihres Kabinetts zu den ersten Regierungskonsultationen nach Brasilien kommt, dürfte sie eher für mehr Wind- und Solarstrom werben. Zumal die Grünen zu Hause ständig Ärger machen wegen Angra.


Technik aus den 80er-Jahren

Denn die ganze Anlage gibt es nur wegen des deutsch-brasilianischen Atomabkommens von 1975 – das bis heute in Kraft ist. Unter Kanzler Helmut Schmidt (SPD) gab es die Absicht, der damals herrschenden Militärdiktatur beim Bau von acht Meilern zu helfen. Doch ständig gab es Planungs- und Finanzierungsprobleme. Angra 2 ging nach rund 20 Jahren Bauzeit 2000 ans Netz. Das AKW wurde von der Kraftwerksunion gebaut, einem nicht mehr existenten Siemens-/AEG-Unternehmen. In der Turbinenhalle prangen überall die Logos der Kraftwerksunion auf den Maschinen. Für Angra 3 wurde auch schon in den 80ern ein Großteil der Technik geliefert – sie lagert bis heute auf dem Gelände am Atlantik.

Fast drei Jahrzehnte nach Planungsstart entschloss sich die Regierung von Präsident Luiz Inácio da Silva 2007, das Milliardenprojekt doch noch zu vollenden. Immerhin soll es nun digitale Leittechnik geben, der französische Areva-Konzern schloss 2013 mit Eletronuclear einen Vertrag über 1,25 Milliarden Euro für die Fertigstellung ab, einige Komponenten werden in Deutschland gefertigt. Das Land ist stark von Wasserkraft abhängig (Strommix-Anteil 70 Prozent). Trockenheit sowie wachsender Strombedarf erhöhen den Druck, neue Kraftwerke zu bauen.

Aber: Nun gibt es auch einen Korruptionsskandal im Zusammenhang mit Angra-3-Bauaufträgen. Der bisherige Präsident des Staatsunternehmens Eletronuclear wurde am Dienstag festgenommen. Mehrere brasilianische Firmen sollen involviert sein. Hunderte Beamte der Bundespolizei ermitteln, ob auch hier wie im Skandal um den Ölkonzern Petrobras Politiker und Unternehmen für Bauaufträge geschmiert worden sind.

Baustellenchef José Eduardo Costa Mattos glaubt an die Fertigstellung von Angra 3 bis August 2018. Er kann Merkels Kehrtwende nach der Katastrophe von Fukushima 2011 nicht nachvollziehen: „Die Deutschen haben die besten Autos der Welt, die Tschechen hingegen bauen pannenanfälligere Autos.“ Man erzähle sich hier gerne den Witz, dass das auch mit den Atomkraftwerken so sei. „Jetzt stellen die Deutschen ihre erstklassigen Autos in die Garage und kaufen schlechtere bei den Tschechen.“ Will heißen: Atomstrom werde nun vom Nachbarn importiert.


Brasilianische Ingenieure stören sich an Grünen-Einfluss in Deutschland

Nun ist das die gängige These in der Atomszene. Doch an den meisten Tagen produziert Deutschland dank des Solar- und Windstromzuwachses mehr Strom als verbraucht wird, es gibt ständdig neue Exportrekorde.

„Das sind die sichersten und ökonomischsten Anlagen der Welt“, beharrt Mattos. Er kann die Namen aller deutschen Atomkraftwerke runterrasseln. Ein Ingenieur echauffiert sich über den Einfluss der Grünen auf die deutsche Energiepolitik. Die haben Antrag um Antrag im Bundestag gestellt, um die deutsch-brasilianische Atomkooperation aufzukündigen. Unter den Prämissen des deutschen Ausstiegs erscheine das Abkommen „anachronistisch und inkonsequent zugleich“, heißt es im letzten gescheiterten Antrag von 2014. Eine Aufkündigung sei „nicht zuletzt eine Frage der Glaubwürdigkeit der Atomausstiegspolitik“.

Nach langem Hin und Her gibt es aber zumindest keine deutschen Kredit-Bürgschaften für den Bau. Die schwarz-rote Bundesregierung argumentiert sicher nicht ganz zu Unrecht, dass mit der Partnerschaft zur Verbesserung der Atomsicherheit in Brasilien beigetragen werde. Umweltschützer warnen vor der Gefahr durch Erdrutsche in der feuchten Region. Wenn man die Baustelle betrachtet, denkt man zudem sofort an Fukushima und die Tsunami-Gefahr, die Anlage liegt direkt am Meer.

„Das hier ist keine Erdbebenregion“, fällt Costa Mattos einem bei der F-Frage ins Wort. Unmöglich so was hier. „Außerdem sind wir geschützt durch die vorgelagerten Inseln.“ Und der hochradioaktive Müll? Wird erstmal auf dem Gelände gelagert. Und ein Endlager: „Das ist nicht unsere Verantwortung, das ist Sache der nationalen Behörden.“ Noch gebe es keinen Ort. Aber: Da sei Deutschland ja auch nicht weiter.

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