Demografische Reformen fehlen Ägyptens Frauen warten auf ihre Rechte

Laut Verfassung ist die Frau in Ägypten dem Mann gleichgestellt. Die Realität sieht leider noch ganz anders aus und wer auf seine Rechte pocht, muss mit Repressalien rechnen. Dennoch geben die Frauenrechtler nicht auf.

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Demokratische Reformen zur Stärkung der Frauenrechte sind in Ägypten in weite Ferne gerückt. Quelle: dpa

Kairo Ägyptens neue Verfassung räumt Frauen deutlich mehr Rechte ein. Doch seit ihrer Verabschiedung sind einige Monate ins Land gegangen und bislang existieren diese Rechte nur auf dem Papier. Frauenrechtler, die zunächst von einem Meilenstein gesprochen hatten, sind zunehmend besorgt.

Ägyptens Politik sei fast ausschließlich Männersache und die Männer seien kaum an Geschlechtergleichheit interessiert, sagen Aktivisten. Seit 2011 der autokratische Präsident Husni Mubarak gestürzt wurde, hat die öffentliche Gewalt gegen Frauen zugenommen und das politische Klima ist repressiver geworden - demokratische Reformen zur Stärkung der Frauenrechte sind in weite Ferne gerückt.

Aktivisten verweisen auf einen Zwischenfall vom März als Negativbeispiel für die öffentliche Stimmung: Eine Studentin der Universität Kairo wurde von einer Gruppe Männer sexuell belästigt. Gaber Nassar, der Universitätspräsident, kritisierte die Frau daraufhin für ihren Aufzug. Unterstützung erhielt er von dem bekannten Fernsehmoderator Tamir Amin, der sagte, die Studentin sei wie eine Bauchtänzerin gekleidet - dabei trug sie lange schwarze Hosen, ein langärmeliges rosafarbenes Hemd und Kopftuch.

In den sozialen Medien schwappte die Empörung über die Äußerungen hoch, bis sich Nassar und Amin entschuldigten. Amin fügte allerdings hinzu, dass Frauen „angemessene“ Kleidung tragen sollten, wenn sie ausgehen.

In den vergangenen drei Jahren wurden während Demonstrationen immer wieder Frauen belästigt. Besonders viele Schlagzeilen machte ein Zwischenfall 2011, als Sicherheitskräfte eine Demonstrantin zu Boden drückten, ihr das Top hochzogen und ihr auf die Brust traten. Andere Demonstrantinnen mussten nach ihrer Festnahme durch das Militärpolizei entwürdigende „Jungfräulichkeitstests“ über sich ergehen lassen. Und erst vergangene Woche wurde eine Journalistin erschossen, als sie über Zusammenstöße zwischen Polizei und Anhängern des abgesetzten Präsidenten Mohammed Mursi berichtete.

Gewalt sei als Waffe gegen Frauen, die sich am öffentlichen Leben beteiligen, „sehr einschüchternd“, sagt Dalia Abdel-Hamid, die für die Menschenrechtsorganisation Egyptian Initiative for Personal Rights in Sachen Geschlechtergleichheit forscht.


„Wir sind wütend auf die Regierung“

Vergangenes Jahr stürzte das Militär Präsident Mursi und griff anschließend sehr hart gegen die Muslimbruderschaft durch, der auch Mursi angehört. Auch von anderen Seiten wird Kritik kaum toleriert. Befürworter demokratischer Reformen und Gegner der vom Militär eingesetzten Übergangsregierung landeten im Gefängnis und müssen sich wegen nicht genehmigter Demonstrationen vor Gericht verantworten.

Die Medien halten sich unterdessen mit Regierungskritik zurück. „Was nützen einem ohne demokratisches Umfeld diese wunderschönen Gesetze?“, sagt Abdel-Hamid. „Es wird sein wie unter Mubarak - wunderschöne Gesetze, aber sie werden nicht umgesetzt.“

Frauenrechtler hatten hart dafür gekämpft, dass in der im Januar verabschiedeten Verfassung die Frauenrechte gestärkt werden. So wird ausdrücklich von Geschlechtergleichheit und einem Recht der Frauen auf Bildung, Arbeit und politische Ämter gesprochen. Gewalt gegen Frauen und Diskriminierung wegen des Geschlechts stehen unter Strafe.

„Sie ist aus Geschlechterperspektive nicht nur fortschrittlicher als die 2012 (von den Muslimbrüdern geschriebene) Verfassung, sondern auch als die Verfassung von 1971“, sagt Salma al-Nakkasch vom Nazra-Institut für Feminismusstudien über die aktuelle Verfassung.

Erst seit 2007 dürfen Frauen auch Richterinnen werden, allerdings hat ein Gericht 2010 verfügt, dass sie nicht Mitglied im Staatsrat werden dürfen, einem einflussreichen Rechtsorgan, das Rechtsstreitigkeiten zwischen Einzelpersonen und dem Staat reguliert und Gesetze prüft. Nachdem mehreren Frauen die Aufnahme in den Rat verweigert wurde, schrieb die Vorsitzende des Nationalen Frauenrats Merwat Tallawi im Januar an den Staatsrat. Sie forderte die Aufnahme von Frauen und verwies auf die Verfassung. Der Rat warf ihr daraufhin „mangelnde Angemessenheit und Manieren“ vor und erhob strafrechtliche Klage gegen den Frauenrat.

Auf einer Konferenz erklärte Tallawi im März, dass die Versprechen der Verfassung nicht umgesetzt würden, liege in erster Linie an der geistigen Haltung der Entscheider in der jetzigen und der künftigen Regierung. Sie verwies auf die geringe Beteiligung von Frauen an der Regierungsarbeit. Im letzten Parlament beispielsweise saßen nur zwei Prozent Frauen, so wenig wie nirgendwo sonst in der arabischen Welt.

„Wir sind wütend auf die Regierung, die Gesetzgeber, die Parteien, auf alle Beamte„, so Tallawi. „Wir wollen 150 Frauen im Parlament. Wir sind die Regierung und die Beamten leid - wir werden auf die Straße gehen.“

Al-Nakkasch fordert für die nahe Zukunft konkrete Maßnahmen, etwa die Einrichtung eines Anti-Diskriminierungsausschusses mit echten Machtbefugnissen, die Berufung von mehr Richterinnen, eine Frauenquote für Parlament und Stadträte. „Frauenrechte haben nie für jemanden Priorität“, sagt sie allerdings auch. Zum Teil erschwere die Verfassung auch die Aufgabe, die Frauenrechte umzusetzen. So sei die Justiz gestärkt worden und stärker vor Einmischung der Politik geschützt worden. Das bewahre den Rechtsapparat aber auch vor Kritik und Reformbemühungen.

„Sie geben der Justiz sehr viel Immunität, bis hin zu dem Punkt, an dem es sehr schwer wird, diese Rechte und Freiheiten durchzusetzen“, sagt Al-Nakkasch. „Man kann sie nicht dafür verantwortlich machen, diese Rechte durchzusetzen.“

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