Deutschland vs. USA Plötzlich beste Feinde

Die Spähaktionen des US-Geheimdienstes NSA haben Deutschland mit voller Wucht getroffen. Dass Merkel überwacht worden sein soll, stößt auf helle Empörung – und hat das Zeug, dass aus Freunden plötzlich Feinde werden.

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Obama und Merkel: Die jüngste Spähaffäre belastet ihr Verhältnis sehr. Quelle: AFP

Berlin Die Nachricht schlug am Mittwochabend im politischen Berlin ein wie eine Bombe. Dass der US-Geheimdienst Millionenfach Daten unbescholtener Bürger ausspäht, ist bekannt, dass nun aber auch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) von den US-Diensten ausgespitzelt worden sein soll, hat bis dato kaum jemand für möglich gehalten. Wie brisant der Vorgang ist, sieht man daran, dass Merkel sich veranlasst sah, deutliche Worte an US-Präsident Barack Obama zu richten und diese zugleich öffentlich zu machen.

Die Kanzlerin beauftragte Regierungssprecher Steffen Seibert, in einer Pressemitteilung die Details mitzuteilen. Die Bundesregierung habe Informationen erhalten, wonach das Mobiltelefon Merkels womöglich durch US-Geheimdienste überwacht worden sei, erklärte Seibert. Merkel hatte deswegen Obama angerufen und nach den Worten Seiberts gefordert, solche Überwachungspraktiken unverzüglich zu unterbinden. Die US-Regierung versicherte, die Kommunikation Merkels werde nicht überwacht. Ein Sprecher Obamas ließ aber offen, ob dies in der Vergangenheit geschehen ist.

Seitdem schweigt Merkel. Selbst beim Eintreffen zum Gipfel der EU-Staats- und Regierungschefs in Brüssel äußerte sie sich nicht. Bekannt wurde lediglich, dass sich Merkel und Frankreichs Staatschef François Hollande am Rande des Gipfels über die neuen Spionagevorwürfe gegen die US-Geheimdienste austauschen wollten. Auch Frankreich sieht sich offenbar im großen Stil den Spähangriffen der US-Geheimdienste ausgesetzt. Zu diesem Zeitpunkt hatte der Vorgang schon seine nächste Eskalationsstufe erreicht.

Spitzenpolitiker aller Parteien verurteilten den vermuteten Spähangriff scharf. Der amtierende Außenminister Guido Westerwelle (FDP) bestellte in Berlin den US-Botschafter zum Rapport ein, dass Bundestagsgremium zur Kontrolle der Geheimdienste trat zu einer Sondersitzung zusammen und die Bundesanwaltschaft ließ wissen, sie werde die mit der Affäre befassten Bundesbehörden um Übermittlung ihrer Erkenntnisse bitten. Welche Konsequenzen das Ganze nach sich ziehen wird, ist noch nicht abzusehen. Politisch gesehen ist schon erheblicher Schaden entstanden.

Schon die heftige Wortwahl, mit der die Bundeskanzlerin ihr Beschwerdetelefonat mit Präsident Obama beschreiben ließ, markiert einen Bruch gerade für die überzeugte Transatlantikerin. Anscheinend ist für Merkel selbst nun eine Grenze überschritten worden. "Bisher ließen sich viele Aktivitäten der US-Geheimdienste zumindest damit erklären, dass sie einen Zusammenhang zum Anti-Terror-Kampf hatten", heißt es in der Regierung. Dies musste beim millionenfachen Sammeln von Metadaten von Kommunikationsverbindungen stets als Begründung herhalten. Beim möglichen Abhören des Kanzlertelefons endet der Zusammenhang mit dem Terrorverdacht allerdings endgültig.


Gabriel prescht mit Anti-USA-Initiative vor

Sehr aufmerksam wurden deshalb in Berlin die Zeitformen vermerkt, mit denen das US-Präsidialamt über das Telefonat informierte. Denn es hieß, dass die Kanzlerin "nicht abgehört wird und nicht abgehört werden wird". Die Vergangenheitsform fehlte wohlgemerkt, was die Zweifel in Berlin noch verstärkt hat, dass an dem zuerst vom "Spiegel" aufgebrachten Verdacht etwas dran sein könnte.

Für Obama ist die Angelegenheit mehr als peinlich - und international gefährlich. Denn durch die immer neuen Enthüllungen über tatsächliche oder vermeintliche NSA-Aktivitäten wird die Liste verärgerter Staats- und Regierungschefs immer länger. Sehr heftig reagierte etwa die brasilianische Präsidentin Dilma Rousseff auf Abhörvorwürfe. In Frankreich musste sich US-Außenminister John Kerry Anfang der Woche mit Vorwürfen auseinandersetzen, dass die Regierung und französische Botschaften abgehört worden seien. "Le Monde" zitierte aus einem US-Dokument, wonach sich die NSA sogar mit einem Lob der amerikanischen UN-Botschafterin Susan Rice brüstete: Diese soll das Ausspähen anderer Uno-Delegationen in New York mit den Worten gelobt haben, dass ihr dies stets einen Vorteil in den Verhandlungen garantiert habe.

Für die US-Diplomatie, die derzeit bei den Verbündeten für die umfassende transatlantische Wirtschaftspartnerschaft TTIP wirbt, sind solche Berichte verheerend, auch wenn die NSA umgehend von einer fehlerhaften Darstellung in der französischen Zeitung sprach. „Die Angelegenheit stellt eine ernsthafte Belastung der deutsch-amerikanischen und der transatlantischen Beziehungen dar“, sagt Andreas Etges vom Amerika-Institut der Ludwig-Maximilians-Universität München im Gespräch mit Handelsblatt Online. „Das sollte nun endlich Folgen haben, die allerdings schon längst angebracht gewesen wären, nicht erst jetzt, wo möglicherweise europäische Regierungschefs selbst betroffen sind.“

Etges ist sich sicher, dass durch die Affäre die Verhandlungen über eine transatlantische Wirtschaftspartnerschaft verzögert würden. Er hofft allerdings auch, dass die Gunst der Stunde zu einem Hinterfragen anderer Vereinbarungen führen werde, wie etwa im Falle des Swift-Abkommens, das den weltweiten Austausch von Bankdaten regelt.

Anders als Merkel scheut ihr Möchtegern-Vizekanzler in spe, Sigmar Gabriel (SPD), keine klaren Worte. Für ihn steht außer Frage, dass die USA spüren müssen, dass sie mit ihrer Spionagetätigkeit falsch liegen, vor allem, wenn sie dabei befreundete Staaten ins Visier nehmen. Gabriel stellte kurzerhand die Verhandlungen über das Freihandelsabkommen mit den USA infrage. Man könne mit den Amerikanern kein Freihandelsabkommen schließen, ohne zuvor mögliche Verletzungen der Freiheitsrechte der Bürger geklärt zu haben, sagte er. Das Ausspähen der Kanzlerin sei empörend und nicht akzeptabel. Die EU verhandelt seit Sommer mit den USA über Handelserleichterungen.


Union will Freihandelsgespräche fortführen

Noch deutlich wurde EU-Parlamentschef Martin Schulz. „Ich glaube schon, dass wir jetzt mal unterbrechen müssen“, sagte Schulz in Brüssel am Rande eines Treffens der europäischen Sozialdemokraten mit Blick auf die Freihandelsgespräche. „Es gibt bestimmte Standards und Kriterien, die müssen erfüllt sein, sonst macht es ja keinen Sinn, miteinander zu sprechen“, sagte Schulz.

Das Thema birgt auch eine gewisse innenpolitische Brisanz, zumal in Berlin derzeit über eine Große Koalition verhandelt wird. Entsprechend harsch fielen die Reaktionen in der Union auf den Vorstoß Gabriels aus. „Den Vorgang, dass die Kanzlerin ausgespäht worden sein soll, finde ich unglaublich, und natürlich muss das aufgeklärt werden. Aber ich halte gar nichts davon, deswegen die Freihandelsgespräche infrage zu stellen“, sagte der wirtschaftspolitische Sprecher der Unions-Bundestagsfraktion, Joachim Pfeiffer (CDU), Handelsblatt Online. „Wenn sich Herr Gabriel damit als Wirtschaftsminister empfehlen will, dann wäre das ein grandioser Fehlstart.“

Die Spähvorwürfe hätten mit dem Freihandelsabkommen nichts zu tun, betonte der CDU-Politiker. „Wir haben das größte Interesse daran, das Thema zum Erfolg zu führen. Wir dürfen diese Jahrhundert-Chance nicht verspielen“, sagte Pfeiffer weiter. „Damit würden wir uns nur ins eigene Knie schießen.“

Ähnlich äußerte sich der Präsident des CDU-Wirtschaftsrats, Kurt Lauk. „Eine Verletzung der Freiheitsrechte der Bürger ist ein Skandal“, sagte Lauk Handelsblatt Online. Dies bedürfe jetzt einer raschen Aufklärung. „Aber die langfristigen Vorteile einer transatlantischen Freihandelszone deshalb jetzt aufzugeben, wäre unklug.“

Das sieht auch der Vorsitzende der FDP im EU-Parlament, Alexander Graf Lambsdorff, so. „Eine Aussetzung der Verhandlungen über das geplante Freihandelsabkommen, wie sie Sigmar Gabriel verlangt, wäre völlig falsch, denn mit einem solchen Abkommen können Wohlstand, Wachstum und Beschäftigung auf beiden Seiten des Atlantiks gesteigert werden“, sagte Lambsdorff Handelsblatt Online. „Das dürfen wir uns bei allem berechtigen Ärger nicht kaputt machen lassen.“

Lambsdorff forderte die Bundesregierung stattdessen auf, in Brüssel der Aussetzung des Swift-Abkommens für den Transfer von Bankdaten zuzustimmen, wie das vom Europaparlament am Mittwoch verlangt worden war. „Auch diese Daten sind offensichtlich von der NSA illegal ausgelesen worden.“


War das Weiße Haus in die Spähaktionen verwickelt?

Rückendeckung erhält Gabriel dagegen von den Grünen. „Die Verhandlungen zum transatlantischen Freihandelsabkommen sollten ausgesetzt werden, bis die Vorwürfe rund um den Abhörskandal geklärt sind“, sagte der Wirtschaftsexperte der Grünen im EU-Parlament, Sven Giegold, Handelsblatt Online. „Die Bundesregierung sollte sich nicht nur um die Datensicherheit der Kanzlerin kümmern, sondern vor allem auch die Interessen normaler Internetnutzer und Unternehmen verteidigen.“

Auch die Vize-Vorsitzende der Grünen-Bundestagsfraktion, Kerstin Andreae, vertrat die Ansicht, dass Verhandlungen über ein EU-Freihandelsabkommen mit den USA nur Sinn machten, wenn Sie auf ein „Mindestmaß gegenseitigen Vertrauens“ aufbauen können. „Schließlich geht es hier um sehr sensible Bereiche“, sagte Andreae Handelsblatt Online und fügte hinzu: „Angesichts der aktuellen Abhöraffäre sehe ich dieses Vertrauen aber infrage gestellt.“ Errungenschaften in Bereichen Ökologie, Verbraucherschutz und eben auch Datenschutz seien nicht verhandelbar, an diese Maßstäbe müssten sich Verhandlungspartner halten. „Nicht nur die Bundeskanzlerin, sondern auch deutsche Unternehmen müssen vor Datenklau und Spionage geschützt werden.“

Für Lambsdorff haben die neuen Spähvorwürfe gegen die NSA mit den aktuellen Enthüllungen eine neue Qualität erreicht. „Jetzt muss geklärt werden, ob der Geheimdienst auf Anweisung aus dem Weißen Haus oder einmal mehr auf eigene Faust gehandelt hat“, sagte er. „Die USA müssen sich erklären, nicht nur in Berlin, sondern auch in Frankreich, Mexiko und Brasilien, deren Regierungen ebenfalls angegriffen wurden.“

Ob Erklärungen noch zur Schadensbegrenzung taugen? Experte Etges ist skeptisch. Möglicherweise stellen die ausgespähten Staaten allesamt ihr partnerschaftliches Verhältnis auf den Prüfstand und kommen am Ende zu dem Ergebnis, dass es für eine Freundschaft kaum noch Gemeinsamkeiten gibt. Für eine solche Entscheidung gäbe es sicherlich viele Gründe.


Experte rät zu Protesten und Konsequenzen

So stehe Präsident Obama, wie der USA-Experte Etges sagt, „trotz aller gegenteiligen Erwartungen und auch Beteuerungen leider in einer langen und unrühmlichen amerikanischen Tradition, die im Namen des Kampfes gegen die Feinde Amerikas – ob Kommunisten im Kalten Krieg oder islamische Terroristen in den letzten zehn Jahren – massive Rechtsverstöße im eigenen Land und international rechtfertigt“. Hinzu komme der Anspruch der USA, sich in letzter Konsequenz nicht an internationales Recht halten zu müssen. „Das sollten auch die engsten westlichen Verbündeten nicht weiterhin ohne deutliche Proteste und die Androhung von Konsequenzen hinnehmen.“

Dennoch muss die Debatte kein völliges Desaster für die Beziehungen zwischen Deutschland und den USA sein. Volker Perthes, Direktor der Stiftung Wissenschaft und Politik, erwartet, dass Merkel rational genug ist, um die TTIP-Verhandlungen im Interesse der deutschen und europäischen Wirtschaft trotz ihrer Verärgerung voranzutreiben. Und Obama hatte angesichts auch wachsender Proteste in den USA angekündigt, dass die Balance zwischen Sicherheitsbedürfnissen und Schutz der Privatsphäre neu gefunden werden müsse.

Seither scheint in Washington ein Machtkampf zwischen den Sicherheitskräften und denen zu toben, die den Geheimdiensten zwölf Jahre nach den Terroranschlägen des 11. September 2001 wieder straffere Zügel anlegen wollen - bei denen die peinlichen Enthüllungen Obama nun helfen könnten. Vielleicht ist es deshalb auch kein Zufall, dass NSA-Chef Keith Alexander vor wenigen Tagen plötzlich seinen Rückzug erklärte. Und vielleicht haben die Europäer doch eine echte Chance, den Datenschutz ihrer Bürger - und Regierungschefs - wieder zu verbessern.

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