Druck auf Tsipras steigt Proteststurm in Griechenland

Bauern versperren die Straßen, Anwälte verweigern die Arbeit und selbst Händler schließen ihre Geschäfte: In Griechenland rollt die massivste Streikwelle seit Jahren. Das Volk fordert die Aussetzung der Rentenreform.

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Griechische Bauern protestieren gegen die geplante Rentenreform. Sie blockieren mit Lastwagen wichtige Verkehrsadern des Landes. Quelle: dpa

Athen Eine tiefe Schlucht hat der Fluss Pinios im Laufe der Jahrmillionen in das nordgriechische Ossa-Gebirge gegraben, das Tempi-Tal. An seiner Felswand verläuft die Nationalstraße 1, Griechenlands wichtigste Verkehrsader. Schon in der Antike und zuletzt im Zweiten Weltkrieg war das enge Tal, das Thessalien mit Makedonien verbindet, umkämpft.

Jetzt wird hier wieder eine Schlacht geschlagen. Griechische Bauern blockierten am Dienstag zwölf Stunden lang mit hunderten Traktoren die Fahrbahnen. Es bildeten sich kilometerlange Staus, die Autofahrer mussten stundenlange Umwege über Nebenstraßen in Kauf nehmen. Es war nicht die einzige Sperrung: Mit über 25.000 Traktoren blockieren die Landwirte seit Tagen wichtige Verkehrsknotenpunkte und Grenzübergänge.

Sie protestieren gegen die geplante Rentenreform. Die Sanierung der zerrütteten Rentenfinanzen gehört zu den Vorgaben, die Premier Alexis Tsipras als Gegenleistung für weitere Hilfskredite umsetzen muss. Der Plan der Regierung sieht höhere Beiträge zur Sozialversicherung und eine Kürzung künftiger Renten um durchschnittlich 15 Prozent vor. Die Bauern, deren Renten bisher zu 90 Prozent aus dem Staatshaushalt bezuschusst wurden, treffen die Beitragserhöhungen besonders hart, zumal die Regierung im Rahmen der geplanten Einkommenssteuerreform jetzt auch ihre Einkommen mit 26 statt bisher 13 Prozent belasten will.

Jetzt drohen die Landwirte mit unbefristeten Blockaden wichtiger Überlandstraßen und Flughäfen zwischen Thessaloniki im Norden und Kreta im Süden. Ihr Ultimatum: Binnen fünf Tagen soll die Regierung den Gesetzentwurf zurückziehen.

Aber nicht nur die Bauern gehen auf die Barrikaden. Die massivste Streikwelle seit Jahren rollt jetzt durch das Land. Am Dienstag legten die Bediensteten der Athener Verkehrsbetriebe für fünf Stunden die Arbeit nieder. Anwälte und Notare streiken die ganze Woche. Am Mittwoch treten die Journalisten in den Ausstand, dann wird es keine Informationssendungen in den elektronischen Medien und keine Zeitungen geben.


Generalstreik am Donnerstag

Am Donnerstag erreichen die Proteste ihren vorläufigen Höhepunkt: Die Gewerkschafts-Dachverbände haben zu einem 24-stündigen Generalstreik aufgerufen. Erstmals wollen sich an dem Ausstand auch Berufsgruppen beteiligen, die traditionell nicht besonders streikfreudig sind, wie Händler, Gewerbetreibende, Tankstellenbetreiber und Taxifahrer.

Der Verkehr in Griechenland dürfte weitgehend zum Erliegen kommen: Nicht nur Bahnen und Busse werden bestreikt. Die Seeleute wollen ab Donnerstag mindestens zwei Tage lag die Häfen bestreiken. Und die rund 32 000 griechischen Spediteure haben sogar einen unbefristeten Ausstand angekündigt. Er könnte schon bald zu Engpässen bei der Versorgung mit Lebensmitteln und Treibstoffen führen.

Ein Jahr nach dem Amtsantritt von Tsipras könnte die Stimmung im Land schlechter kaum sein. Das zeigt eine Umfrage von Ende Januar. Danach sehen acht von zehn Befragten Griechenland „auf dem falschen Weg“. 85 Prozent sind mit den Leistungen der Regierung Tsipras nicht zufrieden. Sogar von den Wählern des Linksbündnisses Syriza äußern sich über 70 Prozent unzufrieden.

Während die Protestwelle immer weiter anschwillt, liegt die Regierung im Clinch mit den „Institutionen“, wie die frühere Troika nun auf Wunsch Athens genannt werden muss. Seit Montagnachmittag verhandelt Finanzminister Euklid Tsakalotos in einem Konferenzsaal des Athener Hilton-Hotels mit den Inspekteuren der EU-Kommission, der Europäischen Zentralbank (EZB), des Internationalen Währungsfonds (IWF) und des Euro-Stabilitätsmechanismus ESM.

Es geht um die erste Prüfung im Rahmen des Anpassungsprogramms, dem Premier Tsipras nach langem Ringen im vergangenen Sommer zustimmen musste. Eigentlich sollte die Inspektion schon im Oktober abgeschlossen sein. Aber die Griechen sind mit der Umsetzung der Vorgaben bereits wieder weit im Rückstand, auch wegen der Neuwahlen, die Tsipras Ende September veranstaltete.


Tsipras kämpft an vielen Fronten

Das heißeste Eisen ist die Rentenreform. Während die Griechen gegen die Pläne der Regierung revoltieren, gehen sie den Prüfern nicht weit genug. Sie kritisieren die geplanten Beitragserhöhungen, weil sie darin Anreize zur Schwarzarbeit und einen Dämpfer für die Konjunktur sehen. Sie fordern stattdessen tiefere Einschnitte bei den Leistungen. Für Tsipras ist das politisch nur schwer durchsetzbar, hatte er doch als Oppositionsführer versprochen, die von den damaligen Regierungen vorgenommenen Rentenkürzungen zurückzunehmen.

Vor demselben Dilemma steht Tsipras bei der jetzt fälligen mittelfristigen Finanzplanung 2016-2018. Der IWF sieht bereits in diesem Jahr eine neue Finanzlücke von bis zu 1,8 Milliarden Euro. Ausgerechnet Tsipras, der seinen Wählern ein Ende des Sparkurses versprochen hatte, muss nun den Rotstift ansetzen. Ein weiterer heikler Punkt auf der Agenda der Verhandlungen: Die Regierung soll jetzt ein Regelwerk zur Restrukturierung fauler Bankkredite vorlegen. Strittig ist, in welchem Umfang Privatschuldner und Kleinunternehmen vor Zwangsvollstreckungen geschützt werden sollen.

Premier Tsipras kämpft an vielen Fronten. Er will die Troika-Verhandlungen möglichst bis Ende Februar abschließen. Aber ob er die Renten- und Steuerreform überhaupt durchs Parlament bekommt, ist angesichts wachsender Widerstände im Regierungslager fraglich. Seine Koalition verfügt nur über 153 der 300 Mandate – kein üppiges Kissen für die bevorstehende Abstimmung.

Und nun kommt Tsipras auch noch von einer anderen Seite unter immer größeren Druck, nämlich in der Flüchtlingspolitik. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und die EU-Kommission hätten Tsipras signalisiert, dass er in der Flüchtlingskrise nun endlich entschlossen handeln müsse, berichteten griechische Medien am Dienstag.

Athen steht in der Kritik, weil sich der Aufbau der fünf versprochenen Hotspots auf den Inseln immer weiter verzögert und deshalb viele Flüchtlinge und Migranten ohne vorherige Registrierung in andere EU-Staaten weiterreisen. Immerhin scheint jetzt die Drohung, Griechenland notfalls aus dem Schengen-Verbund auszuschließen, Wirkung zu zeigen: Bis Ende Februar sollen die fünf Hotspots stehen und zwei große Aufnahmelager bei Athen und Thessaloniki eingerichtet werden. Beim Bau soll jetzt die Armee helfen. Tsipras verspricht: „Wir werden alle unsere Verpflichtungen erfüllen.“

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