Im vergangenen Jahrzehnt sollen mehr als drei Millionen Menschen in mehr als 900 Projekten der Weltbank umgesiedelt worden sein. Wie bewerten Sie diese Vorwürfe?
Wilhelm Löwenstein: Ob diese Zahlen stimmen, weiß ich nicht. Was wir derzeit diskutieren, ist aber eigentlich kein Skandal. Vieles wissen wir seit Jahren und die Politik nimmt es mehr oder weniger in Kauf.
Womit hängt das zusammen?
Die Entwicklungsorganisationen erhalten seit einiger Zeit mehr Geld, um weltweit mehr erreichen zu können. Allerdings gestattet die Politik ihnen nicht, ihre Projekte hinreichend zu planen und auszuwerten. Wer das macht, sieht sich schnell dem Vorwurf ausgesetzt, Geld zu verschwenden. Aus der Politik kommt dann das Argument: Das Geld soll bei den Armen ankommen.
Die Weltbank hat ihre Projekte also nicht sorgfältig genug geplant?
So ist es. Hinzu kommt ein Vertragsproblem. Die International Finance Cooperation (IFC) gehört zur Weltbank-Gruppe und stellt Entwicklungsgelder für Regionen bereit, die zwar Potential haben, in die private Investoren aber nicht gehen würden. Die IFC schließt dann mit einem Projektpartner vor Ort einen Vertrag, in dem der die Sozialstandards der Weltbank anerkennt. Diesen Projektpartner kann die IFC zwar kontrollieren – nicht aber andere Sub-Auftragnehmer, die wiederum von Projektpartnern beauftragt werden.
Zur Person
Prof. Dr. Wilhelm Löwenstein leitet das Institut für Entwicklungsforschung und Entwicklungspolitik an der Universität Bochum.
Was muss die Weltbank nun tun?
Sie hat bereits Prüfdienste losgeschickt und wird das nun verstärken. Diese kontrollieren konkrete Projekte vor Ort, bei denen es Fehlverhalten gegeben haben soll. Und dann stellt sich die Frage, ob die Weltbank direkt verantwortlich ist, oder ein Partner.
Können Sie ein Beispiel geben?
Äthiopien ist ein gutes Beispiel. Die Weltbank hat hier ein Programm finanziert, das der ländlichen Bevölkerung Zugang zu Schulen, dem Gesundheitswesen und anderen staatlichen Dienstleistungen ermöglichen sollte. Eine gute Sache. Hinterher stellte sich aber heraus, dass die äthiopische Regierung parallel 33.000 Familien umgesiedelt hat. Und in deren neuer Heimat hat die Weltbank das entsprechende Programm finanziert. Im Kern hat sie also die Umsiedlung von Menschen angenehmer gemacht. Leider wusste die Weltbank das nicht.
Aber sie hätte es wissen müssen.
Ja, hätte sie. Das wurde in einem internen Report später auch festgestellt. Fakt ist jedoch: Sie haben es zu spät gemerkt. Das passiert eben, wenn Projekte nicht richtig geplant und ausgewertet werden.
Deutschland ist der viertwichtigste Geldgeber der Weltbank. Welche Konsequenzen muss die Bundesregierung nun ziehen?
Die Bundesregierung wird der Weltbank wohl vorwerfen – wie alle anderen auch – versagt zu haben. Sinnvoller wäre es aber, mehr Verantwortung für die deutsche Entwicklungspolitik insgesamt zu übernehmen.
Heißt konkret?
Wir brauchen mehr Realismus. Wir geben Mittel an Entwicklungsländer, die nicht gerade für ihre Standards in Sachen Rechtsstaatlichkeit, Demokratie, Umwelt und Soziales bekannt sind. Jetzt gehen die Entwicklungshilfegeber in diese Staaten und sollen möglichst wenig für Planung und Evaluierung ausgeben. Das kann nicht funktionieren. Hier muss die Politik umdenken. Wir brauchen mehr Geld für die Planung von Projekten – auch die Weltbank.
Kritiker werfen der Weltbank und westlichen Staaten vor, sich zu wenig für Menschenrechte zu interessieren.
Das ist völliger Blödsinn. Man muss sich nur die Projekte anschauen, die die Staaten selbst durchführen. Wenn das Geld nicht an Dritte fließt, die dann die Kontrolle verlieren, werden selbstverständlich die Standards eingehalten.
Die Frage nach der Effektivität von Entwicklungspolitik wird immer wieder aufgeworfen. Wissen die westlichen Staaten, wie man sinnvoll hilft?
Wenn Hilfe die Förderung von Demokratie meint, ist das Ergebnis ambivalent. Mancherorts hat es gut funktioniert, andernorts gar nicht. Investitionshilfe wiederum funktioniert meistens sehr gut, weil dann Arbeitsplätze entstehen. Ebenfalls gut funktionieren Investitionen in Bildung. Deutschland ist eines der wenigen Länder, die sich hier stark engagieren. Und zwar sehr erfolgreich.