EU-Pakt mit der Türkei Rückführung von Flüchtlingen hat begonnen

Auf der griechischen Insel Lesbos hat die Rückführung von Migranten und Flüchtlingen in die Türkei begonnen. In beiden Ländern gab es Proteste gegen die Maßnahme, die Teil des EU-Flüchtlingspakts mit der Türkei ist.

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Auf der griechischen Insel Lesbos betreten Flüchtlinge ein Schiff, das sie in die Türkei bringen soll. Quelle: AP

Athen/Lesbos Die Rückführung von Flüchtlingen und anderen Migranten aus Griechenland in die Türkei hat begonnen. Busse brachten am Montagmorgen mehr als 200 Menschen zum Haupthafen der Insel Lesbos. Sie wurden von Sicherheitskräften begleitet.

Das erste Schiff lief anschließend in Richtung der türkischen Stadt Dikili aus, wie eine Reporterin der Nachrichtenagentur dpa beobachtete. Kurz darauf legte auch das zweite bereitstehende Schiff ab.

„An Bord des ersten Schiffes sind 136 Migranten. Im zweiten Schiff sind 66 Migranten“, teilte im Staatsfernsehen der Sprecher des Krisenstabes, Giorgos Kyritsis, mit. An Bord seien nur Männer.

Eine zweite Rückführung soll es am Montag nicht geben, sagte eine Sprecherin der griechischen Polizei. „Erst müssen die gestellten Asylanträge bearbeitet werden“, sagte sie Reportern auf Lesbos. Deswegen sei es nötig, dass weitere Asylexperten aus den EU-Staaten geschickt würden, hieß es. 

Fast zeitgleich wurden Migranten in den Hafen der benachbarten Insel Chios gebracht. Sie sollten am Montagmorgen in die türkische Hafenstadt Cesme gebracht werden, hieß es aus Kreisen der Küstenwache. Auf Chios kam es zu Zusammenstößen zwischen Polizisten und örtlichen Bewohnern, die gegen die dort geplanten Abschiebungen protestierten.

In der Türkei wiederum gab es Proteste gegen die Aufnahme der Menschen. In Dikili herrschte bei den Behörden Ratlosigkeit. Der Bürgermeister des Küstenbezirks Dikili, Mustafa Tosun, kritisierte, die türkische Regierung habe die lokalen Behörden nicht über ihre Pläne vor Ort informiert.

Mit dem umstrittenen Abkommen will die EU den Zustrom von Flüchtlingen drosseln. Es sieht vor, dass alle Menschen, die seit dem 20. März illegal nach Griechenland übergesetzt sind, von Montag an zwangsweise in die Türkei zurückgebracht werden können. Seit dem Stichtag trafen etwa 5000 auf den Ostägäis-Inseln ein.

Ausgenommen von den Rückführungen sind nur Menschen, die nachweisen können, dass sie in der Türkei verfolgt werden. Für jeden aus Griechenland abgeschobenen Syrer soll ein Syrer aus der Türkei legal in der EU aufgenommen werden. Diese Regelung gilt zunächst für 72.000 syrische Flüchtlinge, die in der Türkei Zuflucht gesucht haben. Nach Deutschland sollen 15.000 von ihnen kommen.

In Hannover werden am Montagvormittag die ersten Syrer erwartet. Voraussichtlich werden 35 Syrer mit zwei Linienmaschinen aus der Türkei in der niedersächsischen Landeshauptstadt eintreffen, vor allem Familien mit Kindern. Sie sollen zunächst in das Erstaufnahmelager Friedland gebracht werden. Dort werden sie nach Angaben des niedersächsischen Innenministeriums zunächst medizinisch untersucht, zudem gibt es Willkommens- und Erstorientierungskurse. Anschließend werden die Menschen niedersächsischen Kommunen zugewiesen.


Widerstand in vielen EU-Ländern

In vielen EU-Ländern gibt es gegen die Aufnahme von Syrern Widerstände. Nach Angaben aus Regierungskreisen in Berlin wollen neben Deutschland Anfang der Woche auch die Niederlande, Frankreich, Finnland und voraussichtlich Portugal syrische Flüchtlinge aus der Türkei aufnehmen, und zwar in derselben Größenordnung wie die Bundesrepublik. Genaue Zahlen gibt es nicht. Die EU-Kommission, die bei der Koordinierung eine zentrale Rolle spielt, hat sich dazu bisher nicht geäußert.

Der CSU-Europapolitiker Manfred Weber begrüßte den Start der Rückführungen. Dies sei „ein zentraler Schritt auf dem Weg zu Rückkehr zu Recht und Ordnung beim Migrationsthema in Europa“, sagte der Fraktionsvorsitzende der Europäischen Volkspartei (EVP) im Europaparlament.

Grünen-Chef Cem Özdemir prangerte hingegen offene Punkte des Abkommens an. „Was ist mit der Frage: Wer wird da zurückgeführt? Alte Leute auch, Kranke, Schwangere, kleine Kinder?“, sagte Özdemir im ARD-„Bericht aus Berlin“.

Der SPD-Außenpolitiker Niels Annen wies Forderungen der Opposition nach einer Aussetzung der Rückführung illegal eingereister Flüchtlinge zurück. Er sei überzeugt, dass „sowohl die europäische wie die türkische Seite ein Interesse an der Einhaltung der Verabredung haben“, sagte der außenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion der „Frankfurter Rundschau“. Die Vorwürfe von Amnesty International, nach denen die Türkei massenhaft schutzbedürftige Syrer in das Nachbarland abschiebe, nannte Annen schwerwiegend. Die Türkei bestreite dies aber. „Wir werden Ankara beim Wort nehmen und das überprüfen“, sagte Annen.

Nach den Grenzschließungen der Länder auf dem Balkan und der EU-Türkei-Einigung ist die sogenannte Balkanroute für Flüchtlinge endgültig dicht. In Deutschland ging die Zahl der Neuankömmlinge zuletzt massiv zurück. Bundesweit wurden im März nur noch rund 20.000 neue Flüchtlinge registriert. Das geht aus dem sogenannten „Easy“-System von Bund und Ländern hervor, wie die Deutsche Presse-Agentur aus gut informierten Kreisen erfuhr. Im Februar waren es noch 61.428 gewesen, im Januar 91.671.

Die Länder entlang der Balkanroute zeigen nach Auffassung von Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU), wie man seine Grenzen schützen könne: „Deutschland kann sich nicht darauf verlassen, dass unsere Nachbarländer diese Aufgabe schon hinbekommen. Wir müssen zeigen, dass wir dazu selber bereit und in der Lage sind“, sagte er der „Bild“-Zeitung. Es müsse zudem eine verbindliche Obergrenze für die Aufnahme von Flüchtlingen in Deutschland geben, so Dobrindt.

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