Am Dienstag kommen die EU-Botschafter in Brüssel zusammen, um sich auf neue Sanktionen gegen Russland zu einigen – die Stufte drei im Portfolio der Druckmittel. Dieses Mal soll es nicht nur einzelne Personen treffen, dieses Mal geht es um Waffen- und Finanzsanktionen. Doch die findet nicht jedes Land gleich gut. Denn die Länder sind unterschiedlich eng mit Russland verbandelt.
Deutschland zum Beispiel gibt sich relativ gelassen. Die anstehenden Wirtschaftssanktionen dürften die deutsche Rüstungsindustrie nach Angaben ihres Branchenverbandes kaum treffen. Doch wie sehen das die Nachbarn? Was die Strafmaßnahmen für Frankreich, Großbritannien, Österreich und Italien bedeuten würden, analysieren die Korrespondenten von Handelsblatt Online.
Frankreich
Frankreich gehört mit Deutschland zusammen zu den treibenden Kräften, die sich in der EU um eine diplomatische Lösung des Ukraine-Konfliktes bemühen. Doch seit Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier auf härtere Sanktionen drängt und Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel die Waffenexporte Frankreichs offen kritisiert, lockert sich die Kooperation.
Frankreich ist der zweitgrößte ausländische Investor in Russland, wenn man die Reinvestitionen von Russen, die sich aus Steuer- oder Sicherheitsgrünen im Ausland angesiedelt haben, abzieht. Dies und die beabsichtigte Lieferung von zwei Hubschrauberträger- und Kommandoschiffen an Russland ist der wichtigste Grund dafür, dass Paris bei weiteren wirtschaftlichen Strafmaßnahmen Zurückhaltung predigt.
Staatspräsident François Hollande ist fest entschlossen, trotz der Kritik aus den USA, Großbritannien und nun auch Deutschland das 200 Meter lange Kriegsschiff der Mistral-Klasse, das fix und fertig in Saint Nazaire vor Anker liegt und auf dem derzeit 400 russische Soldaten geschult werden, im Oktober auszuliefern. Das Geschäft ist gut eine Milliarde Euro wert. Ein zweites Schiff soll 2015 folgen, außerdem hat Russland eine Option auf zwei weitere Schiffe. Kritik daran hat der Chef der Sozialisten Cambadélis als „falsche Debatte, die von falschen Fünfzigern geführt wird“ schroff zurückgewiesen.
Würde Hollande nun vom 2008 von seinem Vorgänger Nicolas Sarkozy abgeschlossenen Vertrag zurücktreten, müsste er die millionenschwere russische Anzahlung erstatten und wahrscheinlich eine zusätzliche Entschädigung leisten. Außerdem würde auf der halbstaatlichen Werft STX, die im Auftrag der staatlichen Rüstungsschmiede DCNS die Schiffe baut, wieder die Angst vor Arbeitsplatzverlust zunehmen.
Die allein für Landungsoperationen, also offensive Aktionen gedachten Schiffe sind nicht das einzige wirtschaftliche Interesse Frankreichs in den Beziehungen mit Russland. Der Erdöl- und Gasmulti Total hat enge Kontakte zu Russland und erst vor kurzem ein neues Großprojekt dort auf die Beine gestellt. Russland ist eines der wichtigsten Gasförderländer für Total. Gut ein Sechstel der Gesamtmenge bezieht der Multi aus der russischen Föderation.
Danone ist ein anderer Großkonzern, für den Russland ein wichtiger Wirtschaftspartner ist. Im Laufe der vergangenen Jahre ist Russland der wichtigste Absatzmarkt für den Hersteller von Mineralwasser und Milchprodukten geworden. Da die traditionell für Danone bedeutsamen südeuropäischen Märkte krisenbedingt schwächeln und in China aufgrund des Fehlers eines Lieferanten ein schmerzhafter Rückschlag eingetreten ist, hat Russland eher noch ein Bedeutung dazu gewonnen.
Schließlich darf man nicht die russischen Investments von Peugeot Citroen und von Renault vergessen. Sie haben viel Geld in ihre dortigen Fabriken gesteckt, die erst mühsam modernisiert werden müssen. Da beide Konzerne bereits im Iran aufgrund der Sanktionen einen schweren Einbruch erlitten haben, sind sie alles andere als erpicht darauf, dieses Szenario in Russland zu wiederholen.
Die Großbank Société Générale zu guter Letzt ist das Geldhaus mit einem der höchsten privaten Engagements in Russland. Ihr gehört Rosbank, die größte private Bank des Landes. Soc Gen hatte gehofft, vom Aufschwung des Landes profitieren zu können. Doch nun geht es rückwärts. Im ersten Quartal sank der Gewinn aufgrund einer Abschreibung auf den Goodwill, der beim Erwerb der Rosbank gezahlt wurde. In dieser Woche wird Soc Gen die Zahlen für das zweite Quartal bekannt geben. Die Lage dürfte sich kaum gebessert haben. Auf 17 Milliarden Euro beziffert die französische Bank das Kreditrisiko in Russland.
Österreich
Österreich lässt sich nicht beirren: Trotz vieler Scharfmacher in der EU tritt die Alpenrepublik bei geplanten Wirtschaftssanktionen gegen Russland möglichst unauffällig auf die Bremse. Das hat gute Gründe: Die österreichische Wirtschaft ist mit der russischen eng verzahnt. Zahlreiche wichtige Unternehmen wie der Öl- und Gasriese OMV, der Baukonzern Strabag, das Öltechnologieunternehmen Catoil oder Banken wie Raiffeisen oder Bank Austria sind im Reich von Wladimir Putin stark engagiert. Harte Wirtschaftssanktionen gegenüber Russland würden die österreichische Volkswirtschaft ins Mark treffen. Entsprechend groß ist der Widerstand in der österreichischen Wirtschafts- und Finanzwelt.
Die rot-schwarze Regierung in Wien ist traditioneller kein Freund einer scharfen Sanktionspolitik. „Wir gehören aber nicht zu jenen, die ständig diese Sanktionskeule schwingen, in dem Vertrauen, das würde das Problem lösen“, sage Werner Faymann, Österreichs sozialdemokratischer Bundeskanzler, zuletzt. Wenn es zu schärferen Maßnahmen seitens der Europäischen Union kommen sollte, gehört Österreich zweifellos zu denjenigen EU-Mitglieder, die für eine moderate und gut überlegte Reaktion eintreten werden. „Wir sagen, das ist das letzte Mittel, um einen Druck zu erhöhen, und der wird sorgsam angewendet. Österreich hat sich da nie an die Spitze gestellt“, erklärte Faymann zu einer härteren EU-Sanktionspolitik gegenüber Russland.
Für Deutschland und die anderen EU-Länder ist die Sonderrolle Österreich keine große Überraschung mehr. Denn noch im Juni – bereits mitten in der Ukraine-Krise – rollte Wien den russischen Präsidenten Wladimir Putin den roten Teppich aus. Dafür handelte sich das neutrale Land herbe Kritik von EU-Partner ein. Der österreichische Bundespräsident Heinz Fischer verteidigt die Einladung Putins nach Österreich bis heute. „Ich hielte es für absolut irrational, den Besuch des Präsidenten vom Juni, der ein reichlich überlegter war, nach der schrecklichen Flugzeugkatastrophe von Juli zu beurteilen. Ich kann auch nicht in die Seele des russischen Präsidenten blicken. Tatsache ist, dass er an dem Tag, an dem er Österreich besucht hat, die Ermächtigung der Duma (für eine mögliche Truppenentsendung in der Ostukraine) zurücknehmen ließ. Ich habe dies als positiven Schritt bewertet“, sagt das österreichische Staatsoberhaupt.
In Österreich haben Russland und Putin einflussreiche Freunde. Zuletzt wurde Siegfried Wolf bei der mächtigen österreichischen Staatsholding ÖIAG, die auch 31,5 Prozent am Energieriesen OMV hält, Aufsichtsratschef. Der frühere Magna-Manager ist ein persönlicher Freund Putins. Zufall oder nicht, ausgerechnet bei Putins umstrittener Wien-Visite im Frühsommer unterzeichnete OMV mit der russischen Gazprom eine enge Partnerschaft. Trotz der Vorbehalte der EU-Kommission unterschrieben OMV-Chef Gerhard Roiss und sein Gazprom-Kollege Alexej Miller während des umstrittenen Österreich-Besuchs von Staatspräsident Putin den Vertrag zum Bau des österreichischen Teilstücks von South Stream. Die Leitung soll russisches Gas nach Südost- und Südeuropa bringen.
Italien
„Sanktionen sind immer ein Problem – sowohl für jene, denen sie auferlegt werden als auch für jene, die sie verhängen“, hat Italiens Wirtschafts- und Finanzminister Pier Carlo Padoan vergangene Woche auf die Frage geantwortet, was die Sanktionen für Italien bedeuten würden.
Tatsächlich treffen die Sanktionen Italien mitten in einer Phase, in der das Land und seine Unternehmen verstärkt auf Moskau gesetzt haben. Der Export nach Russland ist im vergangenen Jahr um zehn Prozent gestiegen.
Mario Monti war als Premierminister nach Russland gereist, auch um die Abkommen der italienischen Industrie mit der russischen voranzutreiben. Auch sein Nachfolger Enrico Letta förderte die Zusammenarbeit der beiden Länder und deren Unternehmen.
Die Zusammenarbeit reicht von dem Hubschraubhersteller Augusta Westland – eine Finmeccanica-Tochter- , der mit Russian Helicopters Hubschrauber herstellt, bis zu den Milliardenschweren Abkommen zwischen des Industrie-Konzerns Techint und Norislskij Nickel. Aber auch der Öl- und Gaskonzern Eni hat zuletzt seine ohnehin schon starke Präsenz mit einer Partnerschaft mit der Putin-nahen Rosneft gestärkt.
Der italienische Staatsfonds Fondo Strategico italiano hat 2013 ein Abkommen mit dem Russian Direct Investment Fund (Rdif) unterschrieben, nach dem die Italiener und die Russen jeweils 500 Millionen Euro in gemeinsame Projekte investieren.
Angesichts der aufblühenden Geschäfte mit Russland haben sich auch Italiens Banken stärker in dem Land engagiert. Mit Unicredit hat Italien zudem eine Bank, die extrem stark in Osteuropa ist und auch in Russland mit einer eigenen Bank vor Ort ist. Italiens Banken stehen mit ihrem Exposure gegenüber Russland von 30 Milliarden Euro an zweiter Stelle nach den französischen.
Großbritannien
Großbritannien rechnet inzwischen damit, dass die Londoner City die Hauptlast der Russland Sanktionen tragen wird – weil weder ein Boykott russischer Gaslieferungen nach Deutschland noch eine französischer Stornierung des „Mistral“ Auftrags in Frage kommen dürften. Dazu kommt, dass eine Sperre der globalen Kapitalmärkte für russische Staatsbanken, die vor allem den Londoner Finanzbezirk, die City, treffen würde, eine der effektivsten Maßnahmen ist. Allein die Androhung hat gereicht, russische Kreditkosten in die Höhe und Aktienmärkte nach unten zu treiben.
Lord Livingston, Staatssekretär im Handelsministerium, erklärte am Sonntag, London werde sich nicht vor Sanktionen drücken, selbst wenn es weh tue. Es war eine Warnung an die Londoner City, aber auch eine Versicherung für die EU-Partner. „Ganz Europa soll, wissen, das London absolut bereit ist, seinen Teil der Schmerzen zu tragen und das Richtige zu tun“.
Wie groß die Schmerzen wirklich sind, ist umstritten. Von den 2013 in Europa gezeichneten russischen Anleihen im Wert von 15,8 Milliarden Euro entfiel knapp die Hälfte, 7,5 Milliarden Euro, auf London. Doch der Think Tanks „Open Europe“ bezeichnete die Vorhersage von katastrophalen Verlusten im Falle eines Finanzboykotts Russlands als „übertrieben“. Nur 0,5 Prozent der europäischen Investitionen in der City kämen aus Russland. Andererseits wären britische Firmen wie BP stark betroffen, wenn Russland seinerseits westliche Vermögen einfrieren würde. BP besitzt einen knapp 20 Prozent Anteil an dem russischen Staatskonzern Rosneft.
Ausdrücklich warnte Premier Cameron in der BBC auch die Oligarchen, von denen so viel die Rede ist. „Ich bin in der Tat der Meinung, dass wir gegen Putins Clique harte Sanktionen verhängen sollten, wo immer sie leben“, sagte er in der BBC. Aber er fügte auch hinzu, Investoren und Bürger in Großbritannien dürften nicht nur deshalb bestraft werden, weil sie mit russischen Akzent sprächen. Dachte er dabei an die reichen Russen und von Russen geführte britische Firmen, die seine konservative Partei mit teilweise hohen Spenden unterstützen.
„Oligarchen haben eine Woche Zeit, ihr Geld in Sicherheit zu bringen“, warnte der „Daily Telegraph“. Auch hier hat allein die Drohung bereits dazu geführt, dass kaum noch neues Geld aus Russland nach London kommt. Regierungskreise bestätigten, dass Russen nun Geld außer Landes zu schaffen, laut City Berichten ist Singapur der neue Zielhafen für russische Gelder.
Aber Sanktionen gegen Individuen sind mit Problemen behaftet. London verdankt seinen Ruf als Weltfinanzzentrum vor allem seinen soliden Rechtsgrundlagen und dem absoluten Respekt vor Eigentum. Individualvermögen ohne hieb und stichfeste Rechtsgrundlage einzufrieren, wäre ist mit riesigen Problemen behaftet, nicht nur, wenn es sich, wie bei vielen reichen Russen in London, um britische Staatsbürger handelt. Unter anderem haben der Finanzier Andrey Borodin und der ehemalige Yukos Manager Alexander Temerko,. Vize der britischen Energiefirma OGN Group, die britische Staatsbürgerschaft. Abgesehen davon, dass eine Flut von Prozessen auf die britische Regierung zukommen würde, wäre Großbritannien kaum bereit, mit Sanktionen, deren Ziel die Aufrechterhaltung der internationalen Rechtsordnung ist, diese internationale Rechtsordnung selbst zu brechen.
Eine für Großbritannien eher profitable Sanktion dagegen wäre, Russland die Fußball Weltmeisterschaft 2018 wegzunehmen – weil sich England als Unterlegener Bieter große Hoffnungen machen könnte, die WM dann auszutragen. Den Vorschlag machte Vizepremier Nick Clegg am Wochenende. Premier Cameron unterstützte ihn dabei allerdings nicht. Für einen Boykott sei es noch zu früh.