Euro-Brandherde Griechenland vor dem Fall, Spanien tiefer im Krisenstrudel

Der Euro-Zone drohen schwere Turbulenzen. Nicht wegen der Griechenland, sondern wegen Spanien. Der Ratingschlag gegen die heimischen Banken reißt das Land tiefer in den Krisenstrudel und stellt Europa vor neue Probleme.

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Spanische Flagge. Quelle: ap

Berlin/Düsseldorf Während die Zukunft Griechenlands in der Eurozone immer unsicherer wird, gewinnt ein viel größeres Problem für den Währungsraum an Dramatik: Spanien. Die Entwicklung in der viertgrößten Ökonomie des Euroraums droht aus dem Ruder zu laufen. Geht das so weiter, wäre das ungleich bedrohlicher als der Fall Hellas, sind sich alle Experten einig. Dafür bürgt schon die ungleich größere Bedeutung Spaniens. Das Land hat einen Anteil an der Wirtschaftsleistung des Währungsraumes von rund elf Prozent, Griechenland nur von zwei Prozent.

Ist eine Währungsunion ohne Spanien überhaupt vorstellbar? „In der jetzigen Konstellation Nein“, sagt der Außenhandelschef der Deutschen Industrie- und Handelskammertages, Volker Treier. Seine Antwort fußt auf zwei Aspekten. „Wenn Spanien unter die europäischen Rettungsschirme käme, wäre das noch machbar.“ Deren Volumen von rund 800 Milliarden Euro, davon rund 500 Milliarden Euro freie Hilfemittel, könnten zunächst ausreichen. Aber es seien die Ansteckungsgefahren für andere große Länder wie Italien oder Frankreich, die das Mega-Risiko darstellen, dass die Währungsunion zerreißen könnte. „Deshalb kann man sich im Moment eine Euro-Zone ohne Spanien nicht vorstellen“, lautet Treiers Folgerung. So weit ist es aber zum Glück noch nicht.

Doch die aktuellen Zeichen stehen schlecht: die Neuverschuldung des spanischen Staates schießt über die verabredeten Grenzwerte hinaus. Das Land ist nach einem Mini-Wachstum im Vorjahr wieder in eine Rezession abgestürzt: Die Wirtschaft wird in diesem und dem nächsten Jahr schrumpfen. Der Bankensektor braucht Milliarden vom Staat und gerät immer stärker ins Trudeln. Gerüchte über einen massiven Einlagen-Abzug bei der Krisenbank Bankia machen die Runde. Die Herabstufung der Bonität von 16 spanischen Geldhäusern durch die Ratingagentur Moody's kam kaum noch überraschend.

„Die Herabstufung ist ein Warnzeichen“, sagte Treier. Das Land müsse den eingeleiteten Spar- und Reformkurs umsetzen und noch etwas mehr tun. Dann könne es vermeiden, zur Gefahr für den Euro-Verbund zu werden und müsse auch nicht unter die Euro-Rettungsschirme EFSF und ESM schlüpfen. Und schließlich gebe es einige Hoffnungszeichen, wie etwa die Besserung der Wettbewerbsfähigkeit mit steigenden Exporten als Lohn. Zudem habe Spanien mit seiner vergleichsweise moderaten Gesamtverschuldung - gemessen an der Wirtschaftsleistung weniger als Deutschland - noch „Puffer“, um das zu tun, was nötig ist.

Ifo-Chef Hans-Werner Sinn klingt düsterer: „Das Hauptproblem ist Spanien“. Er verweist auf die steigenden Zinsen für das Anleihen des Landes von inzwischen mehr als sechs Prozent - eine Größenordnung, die nachhaltig nur schwer zu finanzierten ist. Negativ führt er die massive private und öffentliche Auslandsverschuldung von rund 92 Prozent der Wirtschaftsleistung ins Feld. Ein sozialpolitisch hochbrisantes Problem ist zudem die Arbeitslosenquote von fast 25 Prozent und die exorbitant hohe Jugendarbeitslosigkeit von fast 50 Prozent. Zudem sieht Sinn die massiv gestiegenen Schulden des Landes im europäischen Zentralbanken-Zahlungssystem Target als Alarmzeichen. Ein Thema sei auch Kapitalflucht.


Plan B für Griechenland in Vorbereitung

Ein anderes Problem, das sich bald von selbst erledigen könnte, ist Griechenland. Angesichts der politischen Wirren in Athen kursieren in der Euro-Zone seit langem Planspiele für eine Zukunft ohne Griechenland. Die EU-Kommission und die EZB arbeiten EU-Handelskommissar Karel De Gucht zufolge an entsprechenden Notfall-Szenarien. „Vor eineinhalb Jahren mag die Gefahr eines Domino-Effekts bestanden haben“, sagte De Gucht einem am Freitag veröffentlichten Interview der belgischen Zeitung „De Standaard“ zufolge. Aber nun stellten sich Stäbe der EZB und der EU-Kommission auch darauf ein, „dass es Griechenland nicht schafft“. Die EZB wolle Hellas im Euro halten, erwiderte EZB-Führungsmitglied Jose Manuel Gonzalez-Paramo aus Spanien.

Dank aufkeimender Hoffnungen auf eine Bewältigung der Schuldenkrise machten die europäischen Aktienmärkte ihre Anfangsverluste im Verlauf wieder wett. Der Euro erholte sich ebenfalls, nachdem eine Umfrage den Sparbefürwortern in Hellas überraschend wieder gute Chancen bei den Wahlen am 17. Juni einräumte. Angesichts dieser Hoffnungsschimmer bemühte sich auch die EZB, die Wogen zu glätten: Es stehe der Europäischen Zentralbank (EZB) nicht zu, sich über ein Ausstiegsszenario für Griechenland zu äußern, betonte Gonzalez-Paramo, der Ende des Monats turnusmäßig aus dem EZB-Direktorium ausscheidet.

Die Interview-Äußerungen De Guchts lassen aufhorchen, räumte bisher doch kein Vertreter der EU-Kommission die Existenz von Notfallplänen für einen griechischen Euro-Austritt öffentlich ein. Ein Sprecher der EU-Vertretung in Berlin dementierte, dass in Brüssel ein solcher Fall konkret durchgespielt werde: „Um es deutlich zu sagen, die EU-Kommission arbeitet nicht an einem Austrittsszenario für Griechenland.“

Bundeskanzlerin Angela Merkel setzt unterdessen auf eine möglichst rasche Bildung einer handlungsfähigen Regierung in Athen. Dies teilte die Kanzlerin dem griechischen Präsidenten Karolos Papoulias am Morgen in einem Telefonat mit. Eine Sprecherin des Bundesfinanzministeriums sagte auf die Frage, ob Finanzminister Wolfgang Schäuble mit den Vorbereitungen für einen Euro-Austritt Griechenlands begonnen habe, diese Fragen stellten sich derzeit nicht.

In Griechenland wittert das vermeintlich bereits auf verlorenem Posten stehende Lager der Sparbefürworter wieder Morgenluft: In der ersten Erhebung seit dem Scheitern der Regierungsgespräche und der Ausrufung von Neuwahlen kamen die konservative Neue Demokratie und die sozialistische Pasok zusammen auf genügend Mandate, um eine Regierungskoalition bilden zu können. Zuletzt hatte das radikale Linksbündnis Syriza, das den von der EU und dem IWF zur Bedingung gemachten Sparkurs ablehnt, in Umfragen vorne gelegen. Das schürte Sorgen, das schuldengeplagte Griechenland könne sich von der Euro-Zone verabschieden und direkt in den Staatsbankrott schlittern.


Trichet präsentiert eigenen Euro-Rettungsplan

Auch wenn es noch einen Monat bis zur Wahl am 17. Juni hin ist und Experten davor warnen, einer einzelnen Umfrage zu viel Gewicht einzuräumen, so könnte die jüngste Erhebung doch auf eine Trendwende hindeuten. Die Griechen machten sich nach dem Platzen der Regierungsgespräche vor wenigen Tagen offenbar Sorgen wegen eines möglichen Abschieds aus der Euro-Zone, sagte der Analyst John Loulis.

Der weltgrößte private Gelddrucker De La Rue stellt sich unterdessen auf die Rückkehr der griechischen Drachme ein. Man müsse sich auf alle Eventualitäten vorbereiten, sagte ein Insider - der anonym bleiben wollte.

Spanien geht derweil in die Offensive, die Probleme auf dem heimischen Finanzsektor in den Griff zu bekommen. Mit Hilfe namhafter Wall-Street-Häuser will die Regierung die Institute des Landes durchleuchten und damit Vertrauen an den Märkten zurückgewinnen. Wie die Nachrichtenagentur Reuters aus spanischen Regierungskrisen erfuhr, soll Goldman Sachs eine unabhängige Bewertung der Problembank Bankia liefern. In Finanzkreisen hieß es, die US-Firmen BlackRock und Oliver Wyman sollten zudem die gesamte Finanzindustrie des Landes einem Stresstest unterziehen und sich danach die einzelnen Banken genauer anschauen. Die Regierung will die Namen der beauftragten Institute am Montag enthüllen. Sie hat den Bedarf unterkapitalisierter Banken an zusätzlichen Geldspritzen des Staates auf weniger als 15 Milliarden Euro taxiert. Das Einschalten unabhängiger Prüfer gilt als Kernstück, um den Märkten Klarheit über die tatsächlich in den Bilanzen schlummernden Risiken zu verschaffen.

Vor dem Hintergrund der schlechten Euro-Nachrichten tritt nun der frühere EZB-Präsident Jean-Claude Trichet auf den Plan – mit einem eigenen Vorschlag zur Rettung des Euro. Seinen Vorstellungen zufolge soll es möglich sein, dass die EU-Staaten im Extremfall ein Land für bankrott erklären und seine Haushaltspolitik übernehmen. Dazu sollte es dann kommen, wenn die Fiskalpolitik des Landes die Währungsunion als ganze gefährde, sagte Trichet am Donnerstag in einer Rede vor einem Wirtschaftsinstitut in Washington.

Die Bildung einer Art europäischer Bundesregierung, die die Fiskalhoheit der Mitgliedstaaten größtenteils übernimmt, sei politisch nicht durchsetzbar. „Ich glaube nicht, dass wir einen großen EU-Haushalt haben werden“, sagte Trichet. Eine Alternative wäre seinen Worten zufolge, eine solche EU-Regierung nur unter außerordentlichen Umständen zu aktivieren. Trichet sprach von einer „Föderation in Ausnahmefällen“. Diese sei notwendig für eine solide Wirtschafts- und Währungsunion. „Es ist ein Quantensprung in der politische Führung“, betonte er.

Trichet verwies darauf, dass es bereits eine gegenseitige Überwachung der Haushaltspolitik in der EU gebe sowie Möglichkeiten der Bestrafung bei Verstößen. Der nächste Schritt wäre es, ein Land auch unter Konkursverwaltung stellen zu können, wenn es keine Politik im Rahmen der EU-Vorgaben hinbekomme, sagte er. Demokratisch legitimiert wäre ein solcher Schritt, wenn er durch den Europäischen Rat der Staats- und Regierungschefs sowie das Europäische Parlament gebilligt würde, führte Trichet aus. Er äußerte sich am Vorabend des G8-Gipfels in den USA. Der Franzose Trichet war bis November Chef der Europäischen Zentralbank (EZB). Sein Nachfolger ist der Italiener Mario Draghi.

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