Europäische Union Brüssel muss Ungarn die Grenzen aufzeigen

Mit einem Vertragsverletzungsverfahren allein wird Europa Ungarn auf seine Weg in die „illiberale Demokratie“ nicht stoppen. Brüssel muss die europäische Wertegemeinschaft viel energischer verteidigen. Ein Kommentar.

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Wien In Ungarn gibt es für Ausländer wenig zu Lachen. Vielleicht deshalb kam Ulrich Tukur & Die Rhythmus Boys bei Ihrem heiteren Frühlingskonzert in Budapest auf Einladung der Deutschen Botschaft in Ungarn so gut bei den internationalen Konzertbesuchern an? Mit ihrem lebensfrohen, weltoffenen Swing bot das Quartett zumindest musikalisch das Gegenstück zur pessimistischen, nationalen Stimmung im Land der Magyaren.

Mit seinem geplanten Hochschulgesetz hat der rechtspopulistische Premier Viktor Orbán, der mit seiner Partei Fidesz im Budapester Parlament über eine knappe Zwei-Drittelmehrheit verfügt, nach Meinung ausländischer Analysten in Ungarn komplett überdreht. Selbst konservative Sympathisanten gehen mittlerweile auf Distanz zu dem Premier, der sein Modell einer „illiberalen Demokratie“ Stück für Stück umsetzt.

Orbán ist ein Ministerpräsident, der sich permanent im Wahlkampf befindet. Er ist einer, der sich immer neue Gegner oder Sündenböcke sucht, um die heimische Wählerschaft zu mobilisieren und hinter sich zu scharen. Nach den Flüchtlingen hat er George Soros, den aus Ungarn stammenden Multimilliardär und Philanthropen jüdischen Glaubens, als neuen Gegner ausgemacht. Doch an dem einflussreichen Investor aus New York droht sich Orbán nun zu verheben.

Das am Dienstag verkündete Vertragsverletzungsverfahren, dass die EU-Kommission, als Warnschuss angegeben hat, ist für Orbán ärgerlich, aber nicht bedrohlich. Viel mehr schmerzt den ungarischen Ministerpräsidenten, dass er es sich mit seinem Angriff auf Soros private Eliteuniversität Central European University (CEU) in Budapest mit dem amerikanischen Präsidenten Donald Trump verdorben hat. Seine Rechnung, in dem erzkonservativen Gegner des Freihandels einen mächtigen Unterstützer seiner autokratischen Politik zu finden, ist nicht aufgegangen. Im Gegenteil, die Unterstützung Washingtons für Soros und sein philanthropisches Engagement in Ungarn ist gewaltig. Und auch Brüssel steht demonstrativ auf der Seite des Unternehmers, wie der herzliche Empfang des 86-Jährigen durch EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker am Donnerstag zeigte.

Orbán wird durch das trickreiche Hochschulgesetz deshalb nicht die Schließung der Eliteuniversität CEU erreichen können.  Nicht nur weil es gegen geltende EU-Gesetze wie der akademischen Freiheit oder Dienstleistungsfreiheit verstößt, sondern weil er für die USA mit seiner Gesetzesinitiative eine rote Linie überschritten hat. Das haben Unterhändler aus Washington in Budapest längst klar gemacht. Selbst in der rechtspopulistischen Fidesz geht der Kampf gegen die angesehene Hochschule vielen zu weit. Während Orbán selbst vergessen hat, dass er einst als Student in Oxford vom pekuniären Segen Soros‘ profitiert hat, wissen andere in seiner Partei, dass er mit der beabsichtigten Schließung der CEU dem Ansehen Ungarns in Europa und in der Welt schwer schaden würde.


Beobachter erwarten einen Rückzieher Orbans

Orbáns Politik funktioniert bislang wie die Echternacher Springprozession: drei Schritte vor, zwei Schritte zurück. Alles deutet darauf hin, dass der ungarische Ministerpräsident im Fall des neuen Hochschulgesetzes einen umfassenden Rückzieher machen wird. Orbán selbst hat jetzt angekündigt, eine Lösung zu finden, ohne sie genau zu definieren.

Das Gesetz wird in der bisherigen Form zweifellos im Oktober nicht in Kraft treten. Orbán will es sich wegen Soros und einer Privatuniversität mit gerade mal 1.400 Studenten nicht für ewig mit Donald Trump verderben, aber auch nicht mit der Europäischen Union. Schließlich ist Brüssel der Dukatenesel für den Führer der Ungarn, um sichtbare Wohltaten wie Stadtverschönerung, den Ausbau von Straßen, Schulen und andere Infrastrukturmaßnahmen zu verteilen.

Europa muss in Zukunft Ungarn, dem Modell einer autoritären Demokratie mit eingeschränkten Bürger- und Unternehmerrechten und eine kaum noch vorhandenen Medienfreiheit, mehr Aufmerksamkeit widmen. Denn das osteuropäische Land darf nicht zu einem Feldversuch für eine „gelenkte Demokratie“ nach dem Vorbild von Wladimir Putin oder Recep Tayyip Erdoğan werden. Der Salamitaktik der ungarischen Regierung, mit immer neuen, bauernschlauen Gesetzen die Demokratie zu unterminieren, muss Europa viel stärker als in der Vergangenheit begegnen. Ein Vertragsverletzungsverletzungsverfahren ist ein Instrument, aber keinesfalls das Wirksamste.

Geld ist auch in diesem Fall die stärkste Waffe. Der Milliarden schwere Geldsegen aus der Brüsseler Kasse ist schließlich das Schmieröl für Orbáns System und eine von Oligarchen geprägte Wirtschaft. Nach einem Austritt Großbritanniens aus der EU wird es weniger Geld innerhalb der Union zu verteilen geben, deshalb ist es besonders wichtig, gegen Korruption und Vorteilsnahme in osteuropäischen Ländern vorzugehen. Es kann nicht sein, dass auf illegale Weise gerade die Feinde Europas mit Subventionen großzügig alimentiert werden. Kontrolle, Transparenz und Strafen sind daher das oberste Gebot für die EU.

Doch wer glaubt, mit dem Rückzieher im Fall der drohenden Schließung der Uni wäre die Auseinandersetzung mit Orbán gewonnen, täuscht sich. Längst hat der Rechtspopulist neue Gesetze in Vorbereitung, beispielsweise gegen Nicht-Regierungsorganisationen, die für Menschenrechte, Flüchtlinge, Pressefreiheit und die Zivilgesellschaft eintreten. Orbans Fragebogen-Aktion „Stoppt Brüssel!“ auf postfaktischer Grundlage und mit Suggestivfragen gibt einen Vorgeschmack auf seine Schamlosigkeit im Kampf um Stimmen.

Im April 2018 stehen schließlich die nächsten Parlamentswahlen an. Der seit 2010 regierende Orbán will die Wahlen nicht nur gewinnen, sondern seinen schärfsten innenpolitischen Gegner, die rechtsextreme Jobbik-Partei, in die Schranken weisen. Angesichts des bevorstehenden Duells zwischen Rechtspopulisten und Rechtsextremisten in dem osteuropäischen EU-Land wird sich Europa noch auf manche unliebsame Überraschung gefasst machen müssen. Ohne nachhaltigen Widerstand und selbstbewusste Konfliktfähigkeit wird Europa den Kampf gegen das Modell der „illiberalen Demokratie“ nicht gewinnen können.

In der Auseinandersetzung mit Ungarn geht es für Europa um sehr viel. Denn die Union begreift sich als Wertegemeinschaft mit wirtschaftlicher Erfolgsgarantie. Wenn diese Werte von einem Mitgliedsland immer wieder und provokant mit Füßen getreten werden, muss die Union angemessener und effektiver reagieren. Denn sonst wird ihre mehr als 60 Jahre alte DNA, geschaffen mit den Römischen Verträgen, irreparabel beschädigt. Die Tage der Europäischen Union in ihrer bisherigen Form wären dann gezählt – mit unabsehbaren Folgen.

 

 

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