„Falsches Signal“ Empörung über Pariser Rüstungs-Deal mit Moskau

Trotz der Zuspitzung in der Ukraine will Frankreich Kriegsschiffe an Russland liefern. Russische Soldaten haben bereits mit dem Training begonnen. In Berlin stößt der Deal auf scharfe Kritik. Nun soll die EU eingreifen.

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Zwei Schiffe vom Typ Mistral will Russland kaufen: Die sogenannten amphibischen Angriffsschiffe können bis zu 16 Hubschrauber sowie Dutzende gepanzerte Fahrzeuge transportieren und so Hunderte Soldaten in kürzester Zeit an ausländischen Küsten bringen. Quelle: dpa

Berlin Frankreichs geplante Lieferung von „Mistral“-Hubschrauberträgern an Russland stößt vor dem Hintergrund des Flugzeugabschusses über der Ostukraine auf scharfe Kritik in Berlin. Der Obmann der Unions-Bundestagsfraktion im Auswärtigen Ausschuss, Roderich Kiesewetter (CDU), sieht die EU in der Pflicht, die französische Regierung zu einem Verzicht auf den Export der Kriegsschiffe zu drängen.

Jetzt komme es darauf an, dass sich die Europäische Union glaubwürdig gegenüber dem russischen Präsidenten Wladimir Putin positioniert, der der EU Schwäche vorwerfe. „Ein Export französischer Mistral nach Russland wäre genau das falsche Signal“, sagte Kiesewetter Handelsblatt Online. „Deutschland sollte mithelfen, dass die EU eine einheitliche Meinung gegenüber dem russischen Vorgehen in der Ukraine entwickelt, dazu gehört auch, Rüstungsexporte nach Russland zu verhindern.“

SPD-Bundesvize Ralf Stegner geht die Forderung Kiesewetters nicht weit genug. „Ich bin generell der Auffassung, dass Rüstungsexporte restriktiver gehandhabt werden sollten und weder in Spannungsgebiete noch Diktaturen erfolgen dürfen“, sagte Stegner Handelsblatt Online. Diesen Politikwechsel versuche die SPD derzeit gegen Widerstände aus der Rüstungsindustrie und auch aus der Union in Deutschland herbeizuführen. „Bevor wir also anderen europäischen Partnern hierzu öffentlich Ratschläge geben, sollten wir in Deutschland mit gutem Beispiel vorangehen“, betonte der SPD-Politiker.

Ungeachtet der Spannungen in der Ostukraine hatte Russland Anfang des Monats rund 400 Marinesoldaten ins westfranzösische Saint-Nazaire geschickt. Sie sollen dort bis Oktober für den Einsatz auf zwei Hubschrauberträgern vom Typ „Mistral“ geschult werden, die in Frankreich für Russland gebaut wurden.

Bei dem 1,2 Milliarden-Euro-Deal, der bereits 2011 vereinbart worden war,  geht es auch um mögliche Folgegeschäfte. Unter Verweis auf die aktuelle politische Situation hatten Verbündete Frankreichs bereits deutliche Kritik geäußert. Vor allem die USA und die östlichen Nato-Partner stellten die Lieferung in Frage. Erst Anfang Juni brachte US-Präsident Barack Obama erneut seine Besorgnis über die Vereinbarung zum Ausdruck. Eine Aufrechterhaltung des Geschäftes sei problematisch, nachdem „Russland internationales Recht gebrochen hat“, sagte Obama.


Grüne fordern neue EU-Russland-Politik

Frankreich argumentiert dagegen, es gehe um ein privates Geschäft, denn der Vertrag sei zwischen Industrieunternehmen abgeschlossen worden. Eine staatliche Prüfung sei erst dann durchzuführen, wenn das erste der beiden Schiffe im Herbst ausgeführt werden soll, hieß es zuletzt im französischen Verteidigungsministerium. Zudem hätten die bisher gegen Russland erhobenen Sanktionen keinerlei Auswirkungen auf die geplante Lieferung.

Russland hatte immer wieder betont, großes Interesse an den Kriegsschiffen zu haben. Im Falle einer Lieferung stellte Präsident Wladimir Putin weitere Bestellungen in Aussicht. „Wenn Frankreich entscheidet, den Vertrag zu annullieren, kann es das tun. Wir werden dann Entschädigung verlangen“, hatte Putin bei seinem Frankreich-Besuch Anfang Juni gesagt.

Die „Mistral“ sind die größten französischen Kriegsschiffe nach dem Flugzeugträger Charles de Gaulle. Sie können 16 Hubschrauber, 13 Panzer, etwa hundert Fahrzeuge und 450 Soldaten zu einem Einsatzort transportieren.

Die Forderung nach einem Lieferstopp greift aus Sicht der Vorsitzenden der Grünen-Fraktion im Europäischen Parlament, Rebeccas Harms, zu kurz. Sie fordert, dass die EU ihre Russland-Politik grundlegend korrigiert. „Es geht darum, dass die Europäische Union die Beziehungen zu Russland verändern muss, weil Russland angefangen hat, die Friedensordnung des Kontinentes umzukrempeln, weil Russland das Budapester Abkommen zur nuklearen Abrüstung gebrochen hat“, sagte Harms Handelsblatt Online.

Der Abschuss des Passagierflugzeuges hätte für den russischen Präsidenten Wladimir Putin „ein Wendepunkt“ sein können, sagte Harms weiter. „Statt sich von den selbsternannten Separatisten endlich zu distanzieren, kommt schon zwei Tage nach dem grausamen Tod von so vielen Menschen wieder schweres Kriegsgerät aus Russland nach Donezk.“ Dass die Grenze zwischen Russland und der Ukraine „dicht gemacht“ werden müsse, sei daher neben einer Waffenruhe die wichtigste Forderung. Nicht nur Kanzlerin Angela Merkel (CDU), sondern alle EU-Chefs müssten endlich angemessene Antworten auf den Krieg im Gebiet Donbass als „soft power“ geben. „Gerade wer keine militärische Eskalation will, muss jetzt die anderen Sanktionen konsequent einsetzen“, sagte Harms.

Es gehe daher nicht nur um die „Mistrals“, es gehe vielmehr darum, dass die EU-Staaten ihre eigenen Beschlüsse ernst nehmen müssten. In Frankreich seien vor einigen Wochen russische Marinesoldaten zur Ausbildung angekommen, damit sie die Mistrals bedienen können, sagte Harms. Italien und Österreich hätten zudem ihre Kontrakte mit Gazprom mit neuen Verträgen gefestigt, London sei nicht bereit, sein Finanzzentrum anzutasten und Deutschland wolle seine Exporte nicht gefährden. Aber in die Ukraine habe keine Schutzausrüstung für die Armee exportiert werden dürfen. „Wenn die EU sich weiter selber nicht respektiert und die Brüsseler Gipfelentscheidungen Papier bleiben, wer soll dann die EU  respektieren?“, fragte Harms.


Auch Union auf Distanz zu Russland

Ähnlich wie Harms hatten sich jüngst auch führende CDU-Außenpolitiker geäußert. Die Beziehungen zwischen Russland und Europa würden heute vor allem durch unterschiedliche Wertevorstellungen und Interessen geprägt, schreiben der Unions-Fraktionsvize Andreas Schockenhoff und der Vorsitzende der deutsch-ukrainischen Parlamentariergruppe, Karl-Georg Wellmann, in einem Positionspapier. Beide werfen Russland vor, eine über 40 Jahre aufgebaute europäische Friedensordnung durch sein Vorgehen in der Ukraine infrage zu stellen. Dies müsse Konsequenzen für die Beziehungen haben.

„Derzeit ist ein russisches Interesse an einer echten Zusammenarbeit in Europa nicht erkennbar“, heißt es in dem Papier. Die Nato müsse im September prüfen, ob sie wegen des aggressiven Verhaltens Russlands dauerhaft Truppen in Osteuropa stationieren solle.

Die Forderung dürfte in der Union und in der Großen Koalition die Debatte über die Russland-Politik anheizen. Im Koalitionsvertrag ist noch von einer Fortsetzung der Modernisierungspartnerschaft die Rede, von der Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) in seiner ersten Amtszeit gesprochen hatte. Auch in der Union votieren zudem etwa der außenpolitische Sprecher Philipp Mißfelder und der stellvertretende CSU-Chef Peter Gauweiler dafür, intensivere Kontakte mit Russland zu suchen. Schockenhoff gilt dagegen als früherer Russland-Beauftragter der Bundesregierung als Kritiker Putins.

Schockenhoff und Wellmann erklärten, das Angebot einer „echten Modernisierungspartnerschaft“ sollte durchaus aufrechterhalten bleiben, wenn Russland darunter nicht nur Hilfe für Wirtschaftsreformen verstehe. Denkbar seien auch die gemeinsame Sanierung der ukrainischen Gas-Transitpipelines sowie eine gemeinsame Freihandelszone von Wladiwostok bis Lissabon. Dafür seien aber eine neue Vertrauensbasis und „deutlich mehr Übereinstimmung in politischen Zielvorstellungen und Wertefragen“ nötig.

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