Flüchtlingskrise Merkel will Nato-Einsätze in der Ägäis

Erneut sterben Migranten, die die Türkei übers Meer verlassen wollen. Gleichzeitig warten Zehntausende an der Südgrenze des Landes auf Einlass. Kanzlerin Merkel bietet der Türkei Hilfe an – und verurteilt Putins Politik.

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Geschafft: Diese Flüchtlinge haben die riskante Überfahrt auf die griechische Insel Lesbos heil überstanden. Quelle: dpa

Ankara Angela Merkel ist auf schwieriger Mission unterwegs. Sie sucht in Europa Unterstützer, um gemeinschaftlich eine Antwort auf die Flüchtlingskrise zu finden. Und das Thema drängt: Als die Bundeskanzlerin in Ankara eintrifft, um mit Ministerpräsident Ahmet Davutoglu zu sprechen, macht bereits eine weitere tragische Meldung die Runde. So sind beim Untergang von zwei Flüchtlingsbooten in der türkischen Ägäis mindestens 38 Menschen ertrunken, darunter elf Kinder. Vier Migranten seien gerettet worden, berichtet die Nachrichtenagentur DHA.

Ein Boot sei von der Küste des westtürkischen Bezirks Edremit aus gestartet, das zweite weiter südlich vom Bezirk Dikili bei Izmir. Ziel sei die nur wenige Kilometer entfernt liegende griechische Insel Lesbos gewesen. Zur Nationalität der Flüchtlinge machte DHA zunächst keine Angaben.

Der Kampf gegen Schlepper – auch hier will Merkel ansetzen. In den Gesprächen mit der türkischen Führung plädiert Merkel unter anderem für eine Nato-Beteiligung bei der Seeüberwachung. Kriegsschiffe sollen das Seegebiet zwischen der Türkei und Griechenland sichern. Bereits beim Treffen der Verteidigungsminister des Bündnisses am Donnerstag in Brüssel werde es um die Frage gehen, wie die Nato bei der Überwachung des Seegebiets in der Ägäis helfen könne. Die Türkei hatte der EU Ende vergangenen Jahres zugesagt, die Seegrenzen besser zu schützen. Im Gegenzug hat die EU der Türkei mindestens drei Milliarden Euro für die Versorgung der Flüchtlinge versprochen.

Außerdem wird sich das deutsche Technische Hilfswerk an der Versorgung von Flüchtlingen an der türkisch-syrischen Grenze beteiligen. Denn dort befindet sich der zweite Brennpunkt. Seit der Großoffensive auf Aleppo flüchten Zehntausende Menschen Richtung Türkei und stranden im Grenzgebiet. Am Montag ließ die Türkei die Grenze für die Syrer weiterhin geschlossen. Nach eigenen Angaben hat die Türkei bereits rund 2,5 Millionen Flüchtlinge alleine aus dem Bürgerkriegsland Syrien aufgenommen.

Die Schuld für das neue Flüchtlingsdrama in Nordsyrien gibt die Bundeskanzlerin Russland. „Wir sind in den letzten Tagen nicht nur erschreckt, sondern auch entsetzt, was an menschlichem Leid für Zehntausende Menschen durch Bombenangriffe entstanden ist, vorrangig von russischer Seite“, sagte Merkel. Deutschland und die Türkei würden beim Uno-Sicherheitsrat auf die Einhaltung der Syrien-Resolutionen dringen. Auch Russland habe am 18. Dezember zugestimmt, dass die Angriffe auf die Zivilbevölkerung in Syrien sofort beendet werden müssten.


Es mangele an Unterkünften, Trinkwasser und sanitären Einrichtungen

Syrische Regierungstruppen konnten nach Angaben mehrerer Rebellengruppen dank russischer Luftangriffe vorrücken. „Unsere ganze Existenz ist nun bedroht, wir verlieren nicht nur Territorium“, sagte ein Kommandeur der Rebellengruppe Liwa al-Tauhid. Im Gebiet um Aleppo, das von verschiedenen Rebellengruppen kontrolliert wird, leben geschätzt noch rund 350.000 Menschen, von denen wegen der syrisch-russischen Offensive nun viele gen Norden fliehen.

An der Grenze wird die Situation für die Flüchtlinge, die auf Einlass in die Türkei warten, inzwischen immer schwieriger. Es mangele an Unterkünften, Trinkwasser und sanitären Einrichtungen, sagte die Leiterin der Syrien-Mission von Ärzte ohne Grenzen (MSF), Muskilda Zancada, am Montag. Die Türkei werde die Menschen die Grenze passieren lassen, wenn dies notwendig werde, sagte dazu Ministerpräsident Ahmet Davutoglu am Montag in Ankara nach einem Treffen mit Merkel.

Die Kanzlerin versprach, dass einige EU-Länder der Türkei sogenannte syrische Kontingent-Flüchtlinge abnehmen würden, um das Land zu entlasten. Zudem sollten nun schnell die drei Milliarden Euro der EU für die bessere Versorgung bereits in der Türkei lebender syrischer Flüchtlinge eingesetzt werden, erklärten beide Politiker. Bis zum EU-Gipfel am 18. Februar sollen die ersten konkreten Projekte vorliegen.

Unter den gegenwärtigen Umständen sei es nur schwer vorstellbar, dass in Genf Syrien-Friedensgespräche stattfinden könnten, warnte Merkel. Die syrische Opposition hatte wegen der russischen Angriffe die Teilnahme an den Gesprächen verweigert. Der Uno-Sondergesandte setzte daraufhin die gerade erst wieder begonnenen Gespräche bis Ende Februar aus. Am Donnerstag wollen in München die Außenminister mehrerer Staaten erneut versuchen, die Kämpfe in Syrien einzudämmen.

Sowohl die Türkei als auch andere Nato-Partner werfen Russland vor, entgegen früheren Zusagen nicht etwa Ziele der islamistischen Extremistenmiliz IS in Syrien zu bombardieren, sondern gemäßigtere Rebellengruppen, die teilweise vom Westen oder arabischen Staaten unterstützt werden. Die türkische Regierung hatte bereits in der vergangenen Woche gewarnt, dass bei dem Vormarsch auch die Versorgungsrouten für die Menschen in der seit Monaten umkämpften und fast völlig zerstörten Stadt Aleppo unterbrochen worden seien.

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