Freytags-Frage
Quelle: imago images

Sind die Olympischen Spiele noch zeitgemäß?

Korruptionsskandale überschatten Olympia selbst in Demokratien. Der olympische Gedanke von Fairness wird mit Füßen getreten. Da kann noch so viel von Völkerverbindung die Rede sein: Viele Menschen glauben das nicht mehr. Eine Kolumne.

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Schon seit einiger Zeit sind die Olympischen Spiele in Verruf. Autokratische Gastgeber kaufen die Spiele, und das Internationale Olympische Komitee (IOC) klatscht ihnen begeistert Beifall. Die Umweltbilanz der Spiele fällt negativ aus, die Kosten gehen durch die Decke. Korruptionsfälle schließlich überschatten die Spiele selbst in Demokratien. Insgesamt bietet die sogenannte olympische Gemeinschaft ein Trauerspiel.

Im Einzelnen gibt es einiges zu konstatieren: Winterspiele finden neuerdings in Sommerregionen mit viel Kunstschnee statt. Überdies sind die betroffenen Gastgeber durch autokratische Strukturen und Völkerrechtsverletzungen der schlimmsten Art aufgefallen. Russland marschierte 2014 direkt nach den Olympischen Winterspielen in Sotchi in die Krim ein und schürte den Konflikt in der Ostukraine danach systematisch. Ähnlich verlief das Muster nach den Winterspielen in Peking; direkt im Anschluss begann der widerwärtige russische Feldzug gegen die Ukraine. Vorher soll der chinesische Präsident Xi Jinping den russischen Kollegen Wladimir Putin gebeten haben, nicht während der Spiele in Peking im Februar 2022 anzugreifen. Diesem Wunsch nach friedlichen Spielen mit glücklichen Sportlern und Zuschauern kam Putin nach.

Doch damit nicht genug. Der Präsident des IOC, der in seiner Zeit als Sportler einen untadeligen Ruf genoss, sonnt sich seit einigen Jahren in der Gegenwart autokratischer Herrscher und redet ihnen nach dem Munde. Jüngst erst beschloss er, russische und belarussische Sportler wieder zu den Sommerspielen in Paris 2024 zuzulassen – dass dies gerade jetzt angesichts massiver russischer Kriegsverbrechen in der Ukraine entschieden wurde, ist kaum zu ertragen. Der Widerstand aus den nationalen Olympischen Komitees ist leider bisher überschaubar.

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Dazu passt die Nachricht, dass im Nachgang der Olympischen Sommerspiele in Tokio 2021 ein Korruptionsskandal Japan erschüttert. Obwohl das Land nach einschlägigen Kennzahlen zu den am wenigsten korrupten Ländern der Welt zählt, hat es offenbar im Vorfeld der Spiele korrupte Deals gegeben, die gerade aufgearbeitet werden. Es geht bei Olympia eben zuerst um viel Geld und dann um Medaillen. Der Fall ist wohl so unangenehm, dass die japanische Bevölkerung die Spiele inzwischen überwiegend negativ sieht.

Insgesamt ist es recht eindeutig, dass der olympische Gedanke des sportlich fairen Wettkampfes unter Gleichgesinnten längst mit Füßen getreten wird. Da kann noch so viel von Völkerverbindung durch Sport die Rede sein. Viele Menschen glauben es nicht mehr. Und das Verhalten des IOC deckt sich schon lange nicht mehr mit westlichen Wertvorstellungen. Deutsche Unternehmen werden zur Verantwortung gezogen, wenn in ihren Lieferketten Menschenrechte verletzt werden. Der Sport hingegen profitiert massiv von diesen Menschenrechtsverletzungen. Denn letztlich geben materielle Gründe den Ausschlag, warum die Olympischen Spiele an bestimmte Orte vergeben werden. Es muss genug für das IOC herausspringen. Da schaut man dann besser nicht so genau hin, wie die Gastgeber es mit Menschenrechten oder Umweltschutz halten.

Solange es gegen diese Praxis keinen ernsthaften Widerstand aus demokratisch verfassten Ländern gibt, ergibt das nicht nur für das IOC, sondern auch für die Autokraten Sinn. Für sie bietet der Sport erstens die Möglichkeit, sich als guten Gastgeber zu präsentieren; das war schon in Berlin 1936 so, denn der Rest der Welt sah auf den ersten Augenschein ein relativ liberales und weltoffenes Deutschland. Zweitens bildet die Präsenz im globalen Sport ein Instrument der Soft Power und kann dazu genutzt werden, die scheinbare Überlegenheit von Regimen zur Schau zu stellen. Wer erinnert sich nicht an die Verbissenheit, mit der wenigstens auf politischer Ebene die deutsch-deutsche Rivalität ausgetragen wurde. Von den Sportlern werden zum Glück andere, menschliche Geschichten in den Vordergrund gerückt.

Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, ob die Olympischen Spiele wirklich noch zeitgemäß sind. Erstens darf eine demokratisch verfasste Gesellschaft eigentlich nicht bereit sein, diese Form korrupten Verhaltens zu dulden oder gar zu unterstützen. Zweitens sind Olympische Spiele regelmäßig mit Investitionsruinen verbunden; man denke an die Anlagen in Athen oder das Olympiastadion in Peking, die vom Steuerzahler der betroffenen Länder getragen werden müssen. Netto sind die Spiele für die Ausrichter bisher immer ein Verlust gewesen; auch das ist ein Grund, warum sich kaum noch eine Stadt in Demokratien für eine Bewerbung gefunden hat. Drittens rückt die ökologische Komponente ins Bild. Müssen wirklich zehntausend Sportler und ein Vielfaches an Besuchern an einen Ort kommen, in dem für 14 Tage Sport die Landschaft komplett umgepflügt und nicht-nachhaltige Anlagen, die danach keiner mehr braucht, erstellt werden?

Es wird augenscheinlich Zeit, dass die Politik hier klar Stellung bezieht. Natürlich darf Herr Bach einladen, wen er will. Und er darf die Spiele vergeben, an wen er will. Aber warum müssen wir ihn dabei unterstützen? Warum müssen europäische Sportler als Staffage für ein politisch und finanziell motiviertes Spektakel herhalten? Warum muss das öffentlich-rechtliche Fernsehen von solcherart korrumpierten Sportveranstaltungen mit dem Geld der Beitragszahler berichten? Dies sind nur drei Fragen, die man sich stellen kann.

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Das heißt nicht, dass der sportliche Wettkampf aufgegeben werden sollte. Ganz im Gegenteil: Es gibt bestimmt sportlich attraktive Formate mit weniger Aufwand, mehr Menschlichkeit und stärkerer Bürgerbeteiligung als diese Art von überkommener Großveranstaltung. Es müsste nur einer den Anfang machen. Warum nicht die sich so moralisch gebenden Deutschen?

Lesen Sie auch: Bei den Olympischen Winterspielen 2022 fragten sich viele: Sollte man das Event im autokratischen China schauen – oder besser boykottieren? 

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