Frühere deutsche Kolonie Segeln und sägen in Qingdao

Die frühere deutsche Kolonie Qingdao ist Austragungsort der olympischen Segelwettbewerbe – und eine boomende Metropole mit Charme.

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Qingdao: Fast 50 deutsche Quelle: AP

Als Winfried Michels vor drei Jahren einen geeigneten Standort für eine Fabrik in China suchte, sah er sich lange um. Zum Beispiel fuhr er nach Taicang bei Shanghai, wo fast 100 deutsche Mittelständler Niederlassungen und Produktionshallen aufgebaut haben. Auch in mehreren Städten im Norden hat er die Bedingungen geprüft. Schließlich entschied sich Michels für Qingdao, etwa 600 Kilometer südöstlich von Peking, eine regionale Metropole mit drei Millionen Einwohnern – und eine Olympiastadt, denn während der Spiele finden hier die Segelwettbewerbe statt.

Hier leitet der studierte Ingenieur für den Motorsägenhersteller Stihl die Fertigung in einem Werk mit 180 Mitarbeitern. „Vor allem die niedrigeren Kosten der Stadt haben uns überzeugt“, sagt Michels. So liegen die Löhne in Qingdao im Durchschnitt um 20 Prozent unter denen in der Region Shanghai. Auch die Preise für Industrieflächen und die Kosten für die Erschließung des Landes sind um einiges niedriger als in anderen Städten Chinas. „Dazu kommt die exzellente Infrastruktur“, sagt Michels. Vor allem der Hafen in Qingdao, einer der größten Container-Umschlagplätze der Welt, war für Stihl ein wichtiges Entscheidungskriterium. Denn das deutsche Unternehmen beliefert von Qingdao aus Europa, die USA und Australien mit Sägen, Sensen und Heckenscheren made in China.

Der Kettensägenhersteller ist nicht das einzige deutsche Unternehmen, das sich von den Vorzügen Qingdaos überzeugen ließ. Fast 50 deutsche Firmen unterhalten in der Stadt am Gelben Meer Verbindungsbüros oder Produktionsstätten, etwa der Chemiekonzern Degussa. „Nicht nur die niedrigen Kosten und die günstige Lage machen Qingdao zu einem attraktiven Standort, sondern auch die hohe Lebensqualität“, sagt Andreas Szesny, der mit seinem Deutschen Servicezentrum für mittelständische Unternehmen (QGSC) Firmen aus Deutschland beim Markteinstieg in der Region Qingdao unterstützt. So hat die Stadt einen ausgedehnten Strand, die Luftqualität ist deutlich besser als etwa in der Hauptstadt Peking, und Qingdao ist auch um einiges grüner als viele Städte im sonst trockenen Norden Chinas.

Sun Heng Qin hat sein Büro im 13. Stock des schicken World Trade Center im neuen Ostteil der Stadt. Er ist Direktor des Büros für Außenhandel und wirtschaftliche Zusammenarbeit der Stadtregierung und hat nichts gemein mit den ergrauten Parteikadern, die in China noch häufig in vergleichbaren Positionen anzutreffen sind. Sun spricht perfektes Englisch, trägt einen dunkelgrauen Maßanzug mit bordeauxroter Krawatte. 100 Mitarbeiter und er sollen dafür sorgen, dass sich noch mehr Unternehmen für seine Stadt entscheiden.

„Der Strukturwandel in Qingdao war nicht ganz einfach“, räumt der Chinese ein. Traditionell sei die Stadt von der Leichtindustrie geprägt gewesen: Die lokalen Unternehmen stellten Fahrräder, Textilien und einfache Elektroprodukte her. Dann haben Sun und seine Mitarbeiter begonnen, moderne Industrie- und Softwareparks zu planen. „Wir wollen Finanzdienstleister, Logistiker, Hersteller von Umwelttechnologie und Unternehmen der Outsourcing-Branche in die Stadt holen“, erklärt er, „denn das sind die Zukunftsindustrien.“ Allmählich zahlen sich die Anstrengungen aus: Mittlerweile unterhalten drei japanische Unternehmen in Qingdao ihre Kundenzentren. Dazu kommen mehrere koreanische Firmen, unter anderem die Fluggesellschaft Korean Air, die hier ein Callcenter betreibt. Die geografische Nähe begünstigt Investitionen aus Japan und Südkorea, dessen Hauptstadt Seoul gerade mal eine Flugstunde von Qingdao entfernt ist.

Der moderne Hafen in Qingdao sorgt auch dafür, dass immer mehr Unternehmen traditioneller Branchen in der Stadt investieren. So baut der staatliche Ölkonzern Sinopec eine Raffinerie mit einer Kapazität von zehn Millionen Tonnen Öl jährlich, eine nagelneue Schiffswerft ist in der Nähe des Hafens entstanden, und auch die Automobilbranche zieht es nach Qingdao. „Gerade hat sich General Motors entschieden, hier ein Werk zu bauen“, berichtet Sun. 200 Millionen Dollar wollen die Amerikaner zusammen mit ihren lokalen Partnern in die Fabrik investieren. 200.000 Autos sollen dort jedes Jahr von den Bändern laufen. Insgesamt haben Unternehmen aus dem Ausland im vergangenen Jahr 2,4 Milliarden Dollar in Qingdao investiert.

Chinesische Großkonzerne

Immer noch wird das kräftige Wirtschaftswachstum der Stadt – 2007 waren es 16 Prozent – von großen chinesischen Konzernen getragen. Der weltweit agierende Hausgerätehersteller Haier, der TV-Hersteller Hisense, der derzeit mit Macht auf den europäischen Markt drängt, und die Brauerei Tsingtao gehören zu den größten Arbeitgebern der Stadt. Mehr als 3000 Mitarbeiter beschäftigt allein der von den deutschen Kolonialherren 1903 gegründete Bierhersteller in Qingdao. Dabei war Tsingtao noch vor zehn Jahren ein relativ kleines Unternehmen mit gerade zwei Brauereien. Inzwischen besitzt Tsingtao in 18 chinesischen Provinzen 50 Brauereien; die meisten hat der Bierkonzern von anderen Herstellern übernommen. Durch die Akquisitionen ist das in Hongkong notierte Unternehmen mit einem Anteil von 13 Prozent zum unangefochtenen Marktführer im Reich der Mitte aufgestiegen.

Um die Bekanntheit der Marke zu steigen, ist das Unternehmen Olympia-Sponsor geworden. Wie viel sich der Bierbrauer das Engagement kosten lässt, darf Tsingtao-Managerin Sun Jing nicht verraten; sie ist immerhin sicher, dass sich die Millioneninvestition auszahlen wird. „Samsung aus Südkorea ist erst eine international bekannte Marke, seit sich das Unternehmen regelmäßig bei Olympia engagiert. Genauso wollen wir Tsingtau in den kommenden Jahren als internationale Premiummarke etablieren.“

Nicht nur die Brauerei, die nach deutschem Reinheitsgebot braut, hält die Erinnerung an die einstigen deutschen Besatzer wach. Knapp 17 Jahre lang, von 1897 bis 1914, war Qingdao deutsche Kolonie, und diese Zeit hat architektonische Spuren hinterlassen. In der Altstadt sind zahlreiche Häuser erhalten geblieben, die von Deutschen gebaut wurden; auch weil die Bewohner Widerstand leisteten, wurden Gebäude und Straßenzüge nicht durch Hochhäuser im chinesischen Einheitslook aus Beton, Stahl und Glas ersetzt. Die Menschen in den alten Stadtvierteln schätzen zudem die von den Deutschen gebaute Kanalisation. Sie soll, heißt es, bei starkem Regen zuverlässiger sein als die in der neu gebauten Oststadt.

Tsingtao-Bier: Marktführer im Quelle: AP

Enge Gassen, teilweise mit Kopfsteinpflaster, ziehen sich durch den historischen Stadtkern. Links und rechts stehen rote Backsteinhäuser mit Ziegeldächern und Giebeln. Dazwischen haben Händler ihre Stände aufgebaut, wo sie Süßkartoffeln, Knoblauch und Äpfel verkaufen. Eine schmale, kurvenreiche Straße führt hinauf zur alten evangelischen Kirche. Das ockerfarbene Gotteshaus ist einer von mehreren Bauten, die die Stadtväter jüngst restauriert haben. Auf der Kirchturmuhr steht noch der Name des Uhrmachers: „J.F. Weule, Bockenem am Harz“. Einfach ist die Altstadtsanierung nicht. Es fehlt an Know-how für die Restaurierung der Häuser, berichtet QGSC-Mann Szesny, der die Stadtverwaltung berät. In den Neunzigerjahren haben schon einmal Experten aus München ausgeholfen.

Rat von Deutschen hat sich auch das örtliche Organisationskomitee für die Ausrichtung der Segelwettbewerbe geholt. Segeln ist in China nur eine Randsportart. Die Stadt Kiel hat darum die Olympiaorganisatoren bei den Vorbereitungen der Wettkämpfe unterstützt und in Qingdao mehrere Regatten veranstaltet. Um dem Sport zu größerer Popularität zu verhelfen, haben die Chinesen außerdem 35 Trainer aus Europa eingeflogen, die jungen Leute der Region das Segeln nahebringen sollen. Qingdao soll, so will es die Stadtregierung, zur Segelhochburg Chinas werden.

Einer der Segeltrainer ist Florian Drtina aus Berlin. Er soll in den kommenden Monaten 1000 Kindern aus ganz China Segelunterricht geben. „Das macht riesigen Spaß“, sagt Drtina, „das Problem ist nur, dass in Qingdao im August normalerweise absolute Windstille herrscht.“

Genau dann sollen die Athleten aus aller Welt hier um olympisches Gold segeln.

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